Im Spiegel vom 18.3.2010 übertitelt Henryk M. Broder seinen Essay mit »Das grüne Band der Sympathie – Der Islam, die Intellektuellen und ihr Hang zum Appeasement«. Wie unerschrockene Lektüre zeigt, geht es tatsächlich Satz um Satz gegen den Islam. Ersetzt der Leser Islamist durch Jude und Islamismus durch Judentum, wirkt der Essay so antisemitisch, wie er mit Islam anti-islamisch wirkt. Die kleine semantische Operation wird zur Dekonstruktion. Der Rest sind inferiore Gehässigkeiten unter ironischer Maske.
Nun wäre es zu simpel, Broder als Antisemiten abzutun, nur weil er der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, mal ein paar Steine ins Glashaus schleudert. Logischer scheint zu sein, in unserem Glückskind Henryk den bestallten Popbeauftragten des Spiegel zu sehen, einer muß schließlich die Chuzpe besitzen, als »Bauchredner des Guten und des Wahren« (Broder) aufzutreten, bevor uns die Scharia mißbraucht. Da nun Broder als bombenbesitzender Kriegsspiegelfürst uns armseligen Appeasementlern auf dem Schlachtfeld keine Chance läßt, bleibt nur der Ausweg in die Phantasie.
Kürzlich geriet ich in eines seiner unzähligen Fernseh-Interviews. Diesmal war der Sender Alpha vom Bayerischen Rundfunk dran, wo eine unerschrockene Blondine versuchte, zwischen 100 Broder-Sätzen einen eigenen schüchternen Einwand unterzubringen. Es ging um sein und Erich Follaths weltstürzendes Werk mit dem Titel »Gebt den Juden Schleswig-Holstein«. Wir lachen schon mal auf Vorrat und denken uns eine schöne Parallelgeschichte aus. Da gab es zum Beispiel am 18. Januar 2010 in Berlin, der Hauptstadt des geeinten Deutschland, die zweite gemeinsame deutsch-israelische Kabinettssitzung, die, wie berichtet wurde, in voller Harmonie stattfand, weil Erörterungen heißer Themen (israelische Atomwaffen, Goldstone-Bericht, verweigerter Siedlungsbaustopp) nur gestört hätten. Zugleich erkennen wir: Der vielbeschworene Friede zwischen Israelis und Palästinensern ist nicht herstellbar, die absehbare Eskalation aber kann zum totalen Weltreligionskrieg führen. So herrscht weltweit eine Atmosphäre wie kurz vor 1914 und 1939. Der Machtkampf ums Land wird auch religiös im Namen des einen und/oder anderen Gottes geführt. Schon kursieren in unterschiedlichen gläubigen Kreisen mystische Untergangsszenarien, die vom Geheimnis des Papst-Attentäters bis zur Warnung vor völkervernichtenden Erdbeben reichen. Je realer die Ängste, desto blühender die Endphantasien. Weil der Irrationalismus immer mehr Völker, Staaten und Amtsreligionen so heftig durchdringt, daß die wiederholende Fortsetzung der Vernichtungsfeldzüge des 20. Jahrhunderts ins 21. zu befürchten steht, sollten wir in Deutschland uns entschließen, den Palästinensern Heimatrecht anzubieten. Sahen wir uns am Ende des 2. Weltkrieges gezwungen, mehr als zwölf Millionen Vertriebene einzugliedern, könnten wir freiwillig, allein der humanitären Logik folgend, Palästinenser aufnehmen, wenn damit die drohende Atomkriegsgefahr gemindert wird. Schließlich sind wir als Deutsche in die Existenznöte der Palästinenser mindestens indirekt verstrickt. Überdies hülfe uns die Aufnahme des bedrohten, aber intelligenten und aktiven Volkes aus unseren demographischen Nöten heraus, wonach unsre riesenhaft wuchernden Schulden von immer weniger jungen Bürgern zu bezahlen wären. Selbst zaghafte Konservative sollten wenigstes den zählbaren Nutzen des Palästinenser-Transfers einsehen. Von der humanitären Dringlichkeit ganz abgesehen.
Neulich warnte Israels Staatspräsident Peres von Berlin aus vor »nuklearer Aufrüstung im Nahen Osten; wenn nichts Grundlegendes passiert, wird es ein schrecklicher Teil der Welt sein …« Die Juden blieben fast 2000 Jahre im Exil, bevor sie zurückkehrten. Die Auswanderung von Palästinensern nach Deutschland böte die klügere Lösung für den »schrecklichen Teil der Welt«, der als »gelobtes Land« Gefahr läuft, atomzerbombt zu enden, wenn »nichts Grundlegendes passiert«. Kann sein, falls der Iran angegriffen und partiell oder total zerstört wird, setzt es Aufstände und asymmetrische Kriege im nahen und fernen Osten. Heimatrecht für Palästinenser in der Berliner Republik wäre zumindest eine Möglichkeit der Entspannung.
Mag sein, H. M. Broder fürchtet nicht nur den palästinensischen Islam, sondern diese Glaubensrichtung in toto. Zugegeben, das ist mir ein paar Nummern zu groß. Am 18. Januar 2009 las ich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über den aus Deutschland stammenden und wegen Hitler emigrierten israelischen Nobelpreisträger Robert Aumann: »Krieg ist das Thema seines Lebens. In Israel erforscht er die Ökonomie der Konflikte. Er glaubt an gezielte Tötungen und an Gott.« Artikelüberschrift: »Der Kriegsökonom«. Als unverbesserlicher Phantast frage ich mich: Hätte jemand den Schlesiern vor 1939 das schreckliche Ende nach 1945 glaubhaft vorausgesagt, wären sie dann nicht lieber freiwillig früher weggegangen? Mal ganz ohne Ironie: Ob Broder oder der Islam auf dem Vormarsch ist – der Klügere gibt nicht nach, er sorgt nur vor. Und weil mein alter Freund aus Kölner Tagen die Juden so pragmatisch nach Schleswig-Holstein bittet, stelle ich mir vor, die bedrohten Palästinenser fänden in Sachsen eine neue Heimat. Danach könnten alle zufrieden sein. Der Dresdner Ministerpräsident Tillich, als Sorbe selbst eine bedrohte Minderheit, dürfte den zahlenmäßigen Machtzuwachs zu schätzen wissen. Das aussterbende Sachsenvolk hätte endlich Nachwuchs an Steuerzahlern, und die Palästinenser fänden für die nächsten 2000 Jahre ihre Heimstätte. Zwischen den von Broder nach Schleswig-Holstein abgeordneten Juden sowie den an Elbe und Pleiße siedelnden Palästinensern brauchte es wegen der Pufferzone nicht mal eine Mauer. Auch Broder selbst kann geholfen werden. Er wird schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, schließt mit bedrohten dänischen Karikaturisten und holländischen Nationalen einen neoheroischen Bund und erklärt dem Islam den asymmetrisch-totalen Krieg.
Wie aus dem Spiegel ersichtlich, stammt Broders Schleswig-Holstein-Idee ursprünglich von Ahmadineschad. Wen wundert’s. Don Quichote und Sancho Pansa waren schon immer ein unterhaltsames Paar. Don Quichotes Transportmittel war der Gaul Rosinante – diese Funktion übernimmt heute der Spiegel als Sturmgeschütz gegen die Toleranz.