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Titel0710

Volksverblödung  (Wolfgang Bittner)

Zwanzigtausend Fans brechen in emphatisches Gekreische aus, als die Darsteller des Vampir- und Werwolf-Films »New Moon«, einer Fortsetzung von »Twilight«, die Bühne betreten und anfangen, dumm daherzureden. Die Filme sind noch schlechter als die läppischen reaktionären Romane der US-amerikanischen Mormonin Stephenie Meyer, die inzwischen weltweit eine Auflage von über 85 Millionen erreicht haben. Wie in New York so scheuen Vampir- und Werwolf-Hooligans auch in Paris, Berlin, München und anderswo keine Kosten und keine Mühe, um ein Winken ihrer Idole zu erhaschen.

So etwas nennt sich jetzt »Hype«. Darunter versteht man kurzlebige, durch die Medien hervorgerufene Massenhysterien, die zumeist der Umsatzförderung für ein bestimmtes Produkt dienen. Das können Filme sein, aber auch Strickhandschuhe, wie sich während der Olympischen Winterspiele in Kanada gezeigt hat. Schon morgens um sechs standen lange Schlangen von Souvenirjägern vor den Warenhäusern in Vancouver, um rot-weiße Fäustlinge, genannt »Mittens«, zu erwerben. Nachdem sie ausverkauft waren, wurden sie zu hohen Preisen schwarz gehandelt.

Lauter vorgebliche Wichtigkeiten, die mich nicht im geringsten interessieren. Mein Blick bleibt in der Zeitung an einer Notiz hängen, wonach der Innenminister von Niedersachsen, Uwe Schünemann (CDU), die Partei Die Linke vom Verfassungsschutz beobachten läßt. Die Linke ist eine zu Wahlen zugelassene Partei mit gewählten Abgeordneten im Bundestag, in Länderparlamenten und in Rathäusern. Nach Artikel 21 unseres Grundgesetzes wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, stehen also unter dem Schutz der Verfassung. Wie kommt ein Innenminister dazu, die Mitglieder dieser Partei bespitzeln zu lassen?

Die ehemalige Landesvorsitzende der Jungsozialisten in Niedersachsen, Jannine Menger-Hamilton, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt hat, wartet seit 2007 vergeblich auf einen Bescheid der Einbürgerungsbehörde. Nach Paragraph 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kann die Einbürgerung zwar verweigert werden, wenn ein Antragsteller Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützt. Einziger Hinderungsgrund scheint hier jedoch die Mitgliedschaft in der Partei Die Linke zu sein, auf die nach Angaben des Anwalts der Antragstellerin der Verfassungsschutz die Einbürgerungsbehörde hingewiesen hat. Der Landtagsabgeordnete der Grünen, Ralf Briese, nannte den niedersächsischen Verfassungsschutz daraufhin ein »reaktionäres Kontrollorgan« zur Diskreditierung politischer Gegner.

Doch das scheint den Innenminister nicht zu beeindrucken, wie sich auch bei der Besetzung hochrangiger Polizei- und Verfassungsschutzposten zeigt. Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten, eine vom Grundgesetz gebotene Konsequenz aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit, wird nach und nach aufgehoben. So konnte zum Beispiel der bisherige Polizeipräsident von Göttingen, Hans-Werner Wargel, der sich mit Repressionen gegen linke Aktivitäten hervorgetan hatte, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes werden. Im Wechsel erhielt der bisherige Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Robert Kruse, das Amt des Göttinger Polizeipräsidenten.

Kein Wunder, daß die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Niedersachsen zweitrangig wird. Hartwig Hohnsbein hat in Ossietzky 4/10 schon über andere einschlägige Erfahrungen mit Schünemann berichtet.

Doch der deutsche Michel schaut zu, auch in der Bundespolitik. Kein Aufstand dagegen, dass die Verursacher der Finanzkrise so weitermachen wie bisher und sich dazu noch weiter aus Steuermitteln bedienen. Die gewissenlose Ausplünderung der öffentlichen Kassen zu Lasten von Sozialleistungen, Kultur und Bildung hat eher noch zugenommen. Keine Massendemonstrationen, keine zwanzigtausend aufgebrachte Bürger, die von den Medien gefeiert werden. Zwanzigtausend Verblödete jubeln irgendwelchen Kaspern zu, die ein paar Sätze auswendig gelernt haben, ohne sie verstanden zu haben. Fünfzehn Prozent der Deutschen wählen – entgegen ihren ureigensten Interessen – die FDP. Eine Mehrheit der Italiener wählt zum zweiten Mal den Schandfleck Berlusconi, eine Mehrheit der Franzosen wählt einen Sarkozy. Ist der Menschheit zu helfen? Schwerlich, solange die Massenmedien die Massen ungehindert ablenken, irreführen und systematisch entpolitisieren.