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Vorgestern Jugoslawien, heute Syrien  (Hans Springstein)

Syrien ist weiter im Visier derjenigen westlichen Politiker, die Nordafrika und Arabien neu ordnen und ganz den westlichen Interessen unterordnen wollen. Was sie in Libyen erreicht haben, ist ihr Ziel auch im Nachbarland Israels. Eine permanente Kriegshetze gegen Syrien und den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad begleitet diesen Versuch, bei dem die bundesdeutschen Medien an vorderster Stelle mitkämpfen. Die Zeit erweist sich mit Schlagzeilen wie »Das syrische Drama: Und die Welt schaut zu« oder »In Libyen führte der Westen gegen Gaddafi Krieg. Dem Iran drohen Amerika und Israel. Warum darf dann Syriens Machthaber Assad seine Gegner massakrieren, wie es ihm gefällt?« als das führende Propaganda-Blatt. Es erfüllt damit alle Kategorien der Kriegshetze, und die Leser stufen es dennoch weiter als »liberal« ein. Um Journalismus handelt es sich dabei auf keinen Fall.

Mitglieder des oppositionellen syrischen Nationalrates, westliche Politiker, aber auch Kofi Annan fordern Schutzzonen für die syrische Zivilbevölkerung. Sie begründen das mit der Behauptung, Assad würde das syrische Volk massakrieren. Gar von Völkermord war schon die Rede. Dafür wurde auch die Srebrenica-Karte gezogen. Die Zeit meldete sich damit am 1. März an der Propaganda-Front: »Damals Srebrenica, heute Homs. Die Welt darf nicht mehr zuschauen, wie ein Volk massakriert wird.« Belege dafür, daß die syrische Armee Krieg gegen das eigene Volk führt, gibt es nicht. Für den angeblichen Völkermord von Srebrenica gab und gibt es keine Beweise. Aber das kümmert die Kriegshetzer nicht.

Flugverbotszonen, Schutzzonen, Schutz der Zivilbevölkerung, Schlag gegen die eine Konfliktseite, das sind genau die Elemente des bekannten Drehbuches. Es gehört zu den westlichen Feldzügen gegen »Schurkenstaaten«, welche sich, aus welchem Grund auch immer, den westlichen Interessen widersetzen.

Auch im Fall Syrien findet dieses Drehbuch Anwendung. Das klare Muster, je nach Bedarf in Details abgewandelt und angepaßt: Ein potentieller oder latenter Konflikt in dem »Schurkenstaat« (mit meist ethnisierten sozialen Ursachen) wird von westlichen Staaten angeheizt, indem eine Seite mit verschiedensten Mitteln bis hin zu Waffen und Ausbildung unterstützt wird. Das geschieht auch, indem die unterstützte Oppositionsgruppe unerfüllbare Maximalforderungen aufstellt. Anfänglich berechtigte soziale Proteste »entwickeln« sich mit Hilfe von außen aktiv zu Demonstrationen und Aufständen, die nur noch eine Forderung kennen: den Sturz der Regierung oder des jeweiligen »Diktators«. Gleichzeitig erhält die erwartungsgemäß schwächere Seite nicht minder übertriebene Versprechungen aus dem Westen, was bei ihrem »Sieg« alles für sie herausspringt. Dazu gehört, jegliche Dialog- und Verhandlungsangebote abzulehnen oder nur pro forma anzunehmen. Wie die Konflikte angeheizt werden und wer für ihren dann erwartbaren gewaltsamen Ausbruch entscheidend mitverantwortlich ist, das zeigte Jugoslawien seit 1990 samt NATO-Krieg gegen dieses Land. Wie das derzeit abläuft, hat kürzlich Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. in seiner Analyse »Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft der Gewalt« beschrieben.

Warnungen vor diesem Mechanismus und seinen Folgen bleiben ungehört. Die Gewalt der einen Seite wird verschwiegen, die der anderen überhöht und überdimensioniert. Und so machen die westlichen Politiker und Medien im Fall Syrien aus dem Kampf gegen bewaffnete »Rebellen« das Vorgehen der Armee gegen »die Opposition«. Die erwartungsgemäßen Reaktionen der angegriffenen Seite sowie die absehbaren Folgen und unbeteiligten Opfer dienen dann dazu, diese Seite zu dämonisieren. Spiegel online präsentiert den syrischen Präsidenten unter anderem als Teufel, der das Land zur »Hölle« macht. Auch das Muster ist bekannt. So erging es Slobodan Milosevic, Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi. Ohne moralische Zustimmung der eigenen Bevölkerung trauen sich die westlichen Brandstifter nicht, die von ihnen gelegten Brände ausgerechnet mit Bomben zu löschen. Die Propagandamaschinerie, die gegen Syrien eingesetzt wird, ist erprobt und bekannt. Andreas Elter beschreibt sie in seinem Buch »Die Kriegsverkäufer: Geschichte der US-Propaganda 1917–2005«, Mira Beham in »Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik«, Jörg Becker und Mira Beham in »Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod«, John R. MacArthur in »Schlacht der Lügen« oder Norman Solomon und Reese Erlich in »Angriffsziel Irak. Wie die Medien uns den Krieg verkaufen«. Das immer gleiche Drehbuch funktioniert in erschreckender Weise immer wieder. Die wenigen Stimmen der Vernunft kommen gegen den Einheitsbrei der Konzernmedien nicht an.

Mit der sich immer schneller drehenden Gewaltspirale steigt die Zahl der zivilen Opfer. Diese dienen dazu, den bekannten Interventionsmechanismus in Gang zu setzen: Maximalforderungen des Westens an die »Schurken«-Seite, Sanktionen, Schutzzonen, Flugverbot, Aufmarsch von Truppen und Waffen, Zuschlagen auf Grund eines schlimmen Ereignisses oder einer Greueltat in Folge des Konfliktes ... Nicht immer schickt der Westen neben den eigenen Bomben und Marschflugkörpern auch eigene Soldaten in den Krieg. Diese Aufgabe übernehmen gern auch Verbündete des Westens mit eigenen Interessen. Im Fall Syrien stehen unter anderem Saudi-Arabien, Katar und die Türkei längst bereit und sind auch schon aktiv. Was Assad dann blüht, das wurde an Milosevic und Gaddafi vorexerziert. Das Leid derjenigen, die zu Opfern dieser Gewaltspirale werden, ist denen, die dafür verantwortlich sind, auch im Fall Syrien egal. Sie interessieren nur als Propaganda-Argument bei der Kriegshetze. Für diesen Zweck muß die Flüchtlingswelle in und aus Syrien noch größer werden. Das Absurde daran ist, daß das Land mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen hat, nachdem die USA und ihre Partner dieses Nachbarland 2003 überfielen. Der Präsident des Landes, das die Hauptverantwortung für diese Situation trägt, belehrt seit längerem den syrischen Präsidenten, was er zu tun hat ... Zynismus dürfte der harmloseste Vorwurf dazu sein.

Am Ende sind die westlichen Interessen erfolgreich durchgesetzt, der jeweilige Herrscher abgesetzt, ein souveräner Staat zerstückelt oder die Zentralmacht des überfallenen Landes geschwächt nach dem Prinzip »teile und herrsche«. Bei dem Versuch, hinterher Kriegsverbrechen juristisch zu ahnden, messen westliche Politiker und ihre juristischen Vertreter mit zweierlei Maß. Durchgespielt in Jugoslawien, im Irak, in Libyen, derzeit in Arbeit in Syrien und im Iran – die Aufzählung dürfte unvollständig sein.