Das viermalige »Theater ist doch Scheiße« des Vorankündigers in Thomas Ebermanns Hausorgan konkret ermutigte mich nicht, das Stück anzusehen. Wenn auch dort der Satz fiel: »Komisch, je dreckiger es einem geht, desto größer der Wunsch, die Scheiße zu besingen.« Das ergab einen Sinn – was der albernen Auftrags-Vorbesprechung des Partykultur-Spezialisten von konkret völlig abging.
Gezeigt wurde auf Kampnagel in Hamburg »Der Firmenhymnenhandel« von Thomas Ebermann. Einst Mitbegründer und Abgeordneter der Grünen, die er 1990 wegen ihrer Sozialdemokratisierung verließ, tritt er nun mit seiner »Vers- und Kaderschmiede« im Polit-Kabarett, dem Hamburger »Polittbüro«, auf. Seine Freunde wurden allesamt als Mitwirkende eingespannt – vor allem musikalisch, hier werden Hymnen gesungen. Ebermann, der auch die Regie übernahm, dachte wohl, wenn sogar die Universität Bielefeld über den Nutzen von Firmenhymnen forscht, dann kann man daraus auch ein Stück machen.
Vier Personen: der Senior-Chef eines mittleren Unternehmens der Glasbranche (Rainer Schmitt), seine Tochter, die die Firma modernisieren will (Pheline Roggan), und zwei Jung-Akademiker, die ihre einstigen Träume nun mit dem Verfassen von Firmenhymnen begraben müssen. Der depressive Musikwissenschaftler (Tilbert Strahl-Schäfer) und der Ex-Philosoph, der nun die Texte kreiert und seinen Kollegen aufmuntert (Robert Stadlober). Die Junior-Chefin und er kennen sich von früher, auch sie war mal eine linke Studentin. Nun nimmt sie an Führungskräfte-Seminaren teil. Von ihr stammt die Idee der Hymne. Der Vater: Vorbild war Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der in Talkshows in der Rolle eines Menschenfreunds auftritt, der nur in Deutschland produzieren läßt. Von Gewerkschaften hält er nichts. Die Firmenhymne – seine leitenden Angestellten könnten sie ihm doch zum Geschenk machen. Er denkt an seine Zeit beim Militär und an das, »was sie da sangen«. Der Enthusiasmus der Mitarbeiter könnte angefacht werden.
Eine elektronische Präsentationsmappe birgt Musterhymnen. Sie werden auf der Leinwand vorgeführt. Ebermann tritt als schlurfendes Faktotum auf, das die technischen Geräte bedient und unkündbar ist, weil es etwas über die Firma weiß. Musiker der Comedy-Gruppe »Studio Braun« oder der »Goldenen Zitronen« aus dem schnulzenbegeisterten Hamburger Underground singen: »Wir sind Kaisers-Tengelmann.« Oder emphatisch: »Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin, kein Sturm hält uns auf, unser Air Berlin.« Oder: »Ein bißchen Spaß muß sein, sonst kommen keine Kunden rein.« Die meisten Hymnen seien echt, heißt es. Na ja, was Harry Rowohlt und Horst Tomayer da vortrugen, ich kenne es schon: ein Lied – der deutschen Rüstungsarbeiter – mit dem Refrain »fünfunddreißig Stunden sind genug«. Eine Firmenhymne ist das nicht, aber sehr lustig, im Duett gesungen – wenn auch irritierend zur Melodie des Moorsoldatenliedes.
Authentisch, was der Kunde – der hier kein König, sondern schwer schuftender Untertan ist – über eine raffiniert ausgedachte Einrichtung erfährt. »DHL-Pakete-Holen tut so gut. Zum Glück gibt‘s die Packstation, und sie hat immer für mich Zeit.« Und weiter: »Die Packstation, die gibt mir Freiheit. Ich liebe sie dafür.« Das ist Lyrik von verkrachten Philosophen, die sich – hoffentlich – einen Spaß machen. Und die Firmen nehmen es ernst, dieses »Self-Empowerment«. Der Chef denkt zurück: »Wenn man das heutige Arbeitstempo mit dem vor zwanzig Jahren vergleicht, war das ein einziger Bummelstreik.« Am Ende wird gemeinsam eine Hymne für die Glasindustrie gefunden. Der Autor läßt sich und dem Publikum auf der Bühne fünf Schlüsse vorführen, zur Auswahl. Was wir sahen, war, mit den Worten Ebermanns »die Transformation vom Fremd- zum Selbstzwang, die im Subjekt sich spiegelnde Erniedrigung zum Humankapital«.