Künstliche Natürlichkeit – das ist es, was zwei sehr unterschiedliche Ausstellungen verbindet. In der Hamburger Kunsthalle (bis zum 15.6.): »Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models«, im Doppelpack, aber streng getrennt. Anselm Feuerbachs Gemälde und Karl Lagerfelds Schwarzweißfotografien auf Leinengewebe, teilweise silber- und goldfarben antikisierend, der Untergrund. Beim Maler sind es seine Muse (und Geliebte) Anna Risi (Nanna) und später Lucia Brunacci, die alle Bilder, oft im Halbprofil, füllen. Beim Modefotografen posieren seine Models, vor allem Baptiste Giabiconi und Bianca Balti, als Daphnis und Cloe in der bukolischen Landschaft Südfrankreichs. In Rom hat sich Feuerbach ganz der Antike hingegeben und seine Modelle – statisch mit Lorbeerkranz oder Fächer ausgestattet – mythologisch überhöht. Er wurde schon zu seinen Lebzeiten kritisiert wegen der Starrheit seiner Figuren. Doch er konnte auch ironisch sein. Im »Urteil des Paris« (1870 – nicht 1970, wie im roten Booklet zur Ausstellung angegeben – 3,50 Euro) liegen am Boden mehrere goldene Äpfel, und ein gelangweilter Paris hält auch noch einen in der Hand – der Trojanische Krieg hätte nicht stattfinden müssen. Außerdem: Hera, Athena und Aphrodite, es ist immer dieselbe, mal nackt, mal bekleidet. Auch aus dem Jahr 1870, die »Ruhende Nymphe«. Nackt auf Leinen und ein Leopardenfell gebettet, liegt sie lasziv in der Natur, wie im Studio ausgeleuchtet in »künstlicher Natürlichkeit«, so sehen es die Ausstellungsmacher selbst.
Womit wir bei Lagerfelds Models angekommen sind. Das, was hier in dunklen Räumen zelebriert wird – der Text auf Bütten an den Wänden –, nennt sich »Moderne Mythologie«; auch wenn alles vom griechischen Dichter Longos aus Lesbos aus dem 2. oder 3. Jahrhundert stammen soll, so ist es hier als Fotoroman angekommen. Schöne Jünglinge in kindlichen Posen. Sie wollen nur spielen. Nicht nur die Naivität, alles wirkt falsch. Das Model Baptiste auf weißem Pferd oder mit dem Finger im Mund (da war er schon achtzehn) – dieses Bild fehlt in dem großen Prachtband (48 Euro) mit dem »gesamten Bilderzyklus«. Warum? Ärger mit dem BKA? Im Raum mit Fotos von knorrigen Bäumen (die sind von Natur aus schön) liegt ein Knabe (Baptiste?) nackt auf einem Sockel, eine Skulptur.
Eigentlich war das ein Schokoladenguß, heißt es in der Pressekonferenz. Das Lieblingsmodel von Lagerfeld, inzwischen ist es verdorben. Die zarte Haut, so schön vor der schrundigen Baumrinde: jetzt ist sie tätowiert, überall. Ein tätowierter Daphnis – unmöglich. Das Starmodel Bianca, Flöte spielend, mimt Cloe mit Lendenschurz und Schmuck im Haar. Alles so ungeheuer schön, daß es weh tut. Und wenn er und sie auf dem Fell nebeneinander liegen, rechts und links Amphoren oder eine Venus aus Gips hinter dem Paar: Es »tendiert zum Kitsch«, sagte der Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner in einem Gespräch wahrheitsgemäß aus. Auf die Frage: »Ist das nun Kunst, was Lagerfeld da macht?« war seine Antwort: »Jedenfalls hängt es jetzt im Museum.« Und ist damit geadelt.
Es gab böse Kritiken. Und Gaßner hatte sofort eine Idee. Die Kunsthalle öffnet ihre Schubladen und holt – ganz schnell und unangekündigt – zum 100. Jahrestag des Weltkriegs den Radierzyklus von Otto Dix »Der Krieg« hervor. Vom 8.3. bis 27.4. ist er im Saal der Meisterzeichnung ausgestellt.
Wer Mode sehen will, gehe ins Museum für Kunst und Gewerbe zum »Mythos Chanel« (bis 18. Mai). Da hängen die bekannten Kostüme mit Bordüren und Goldknöpfen als Original oder als »autorisierte Kopie«. So wie Jackie Kennedy sie, in rosa, trug – damals in Dallas. Kurios, ein ganzer Raum mit »Kleinen Schwarzen« auf roten Podesten – inspiriert von Chanel. An der Wand gegenüber ein Print eines Gemäldes von Alex Katz von 1960: sechs Frauen, alle im gleichen schwarzen Kleid mit Pumps. Außerdem Modeschmuck, Taschen und ein Flakon des legendären Parfüms – alles von Chanel. Auch hier wieder Karl Lagerfeld, der seit 1983 als künstlerischer Leiter des Hauses Chanel fungiert. Merkwürdig: In der Kunsthalle ist er fünf Jahre jünger als im Museum für Kunst und Gewerbe.
Coco (ursprünglich Gabrielle) Chanel mochte keine Hosen für Frauen, wie sie in einem Interview von 1969 gestand. Dennoch schuf sie sehr elegante, schlichte Hosenanzüge für Marlene Dietrich privat. Ihr Wandtext: »Sie positionierte sich – im Gegensatz zu Gabrielle Chanel – eindeutig gegen den Nationalsozialismus, was ihr internationale Ehrungen einbrachte. Im Nachkriegsdeutschland wird sie dafür jedoch angefeindet.«
Ihr haben die Deutschen nie verziehen. Der Mythos Chanel aber, er lebte wieder auf, 1954. Da kehrte Coco aus dem »selbst gewählten Exil in der Schweiz« zurück, wohin sie »aus Furcht vor Repressalien auf Grund ihrer Beziehung zu dem ehemaligen Nazi-Offizier« geflohen war. Dieser Offizier war Baron Hans Günther von Dincklage, der für die Auslandsabwehr der Wehrmacht als Agent arbeitet – verrät lediglich der dreiseitige Pressetext (einen Katalog gibt es nicht). Auch, daß Chanel den jüdischen Hauptanteilseigner ihrer Parfümproduktion beim Generalkommissariat für Judenfragen denunzierte. Und daß »ihre Verbindungen zu Entscheidern des Dritten Reiches heute kontrovers diskutiert« werden. Kontrovers, wo? Die Besucher erfahren das nicht.
Es gibt ein ermäßigtes Kombiticket für den Besuch von »Mythos Chanel« und »Lagerfeld/Feuerbach«. Das paßt.