Brecht schrieb: »Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.« Ich habe Rolf Becker oft Brecht-Texte vortragen hören, vielleicht war auch dieser Satz einmal dabei. Wenn ich Texte von Bertolt Brecht lese, höre ich die Stimme von Rolf
Becker. Rolf ist aber noch mehr für mich: mein Kollege und Kampfgefährte.
Seit über 30 Jahren kenne ich Rolf aus der Gewerkschaftsarbeit. Er engagiert sich in meinem Ortsverein, wir haben zusammen viele Versammlungen erlebt. Ich verdanke ihm viel, vor allem Sichtweisen und Haltung. Zu vermutlich seinem großen Ärger muß er jetzt diesen Satz lesen: Rolf Becker ist ein Ausnahmegewerkschafter. Er ist eine Konstante in der Arbeiter*innenbewegung. Unaufdringlich, hartnäckig. Leidenschaftlich, konsequent.
Wer sich – nicht nur in Hamburg, aber vor allem da – unter Menschen bewegt, die sich für ihre Rechte am Arbeitsplatz und für ihre materielle Sicherheit einsetzen, trifft Rolf. Unweigerlich und immer wieder. Er besucht Streikende vor großen Werken ebenso wie vor kleinen Buden. Er spricht auf Kundgebungen vor Tausenden Menschen ebenso wie vor kleinen Gruppen. Er redet und rezitiert unter freiem Himmel ebenso wie in dunklen Zimmern und kalten Zelten. Wenn er einmal nicht erscheinen kann, obwohl er gebeten wurde zu reden, entschuldigt er sich aufrichtig, und man weiß, es tut ihm wirklich leid. Er macht es eigentlich immer irgendwie möglich, da zu sein. Aber er drängt sich nie auf. Wenn Rolf da ist, ist das ein gutes Gefühl. Streikende hören ihm gern zu. Rolf hat immer die Bereitschaft, Unmögliches möglich zu machen. Und er hat oft Unmögliches möglich gemacht. Dennoch: »Wer bin ich schon, außer einem Mimen?«, könnte ein typischer Satz von Rolf sein. Vermutlich hat er ihn auch bereits einmal gesagt. Gedacht haben wird er ihn öfter.
Rolf vertritt den Standpunkt derjenigen, die auf ihre Hände und ihren Kopf angewiesen sind, um zu überleben. Derjenigen, die Arbeit benötigen, um zu essen zu haben, eine Wohnung und um Kinder aufzuziehen. Rolf betrachtet die Welt immer aus dieser Sicht. Rolf hat die Fähigkeit, Menschen eine Orientierung zu geben. Eine Orientierung, die heißt: Bleib bei dir, du bist stark, wir stehen zusammen. Er hat sich nie gemein getan mit jenen, die emporgestiegen waren in den Hierarchien, die sich wichtig fühlen, die Schlipse tragen. Aber auch jenen begegnet er mit Respekt. Und sie haben Respekt vor ihm.
Als junge Betriebsratsvorsitzende habe ich Rolf oft zu Betriebsversammlungen in den Bauer Verlag eingeladen. Er hat vor Angestellten und Redakteur*innen geredet. Besonders unsere Buchhalterinnen waren entzückt von ihm. Seiner Kunst und seiner Stimme ist es gelungen, Botschaften in die Herzen der Menschen zu transportieren. Die Buchhalterinnen erinnerten sich nach den Versammlungen nicht etwa an den eloquenten Geschäftsführer, der auf geschmeidige Art Diagramme und Umsatzerlöse präsentiert hatte. Sie behielten Rolf Becker in Erinnerung. Er hatte ihnen nämlich nicht zugeredet. Er hatte nicht auf sie eingeredet. Er hat sie nicht zu überzeugen versucht. Er hatte vorgetragen, und das Gesprochene hatte sich wie eine warme Wolke über den Versammlungssaal verteilt und herabgesenkt auf die Teilnehmenden. »Kannst du ihn nächstes Mal wieder einladen?«, fragten sie mich. Nach dem Geschäftsführer haben sie nicht gefragt.
Verlag und Redaktion Ossietzky gratulieren Rolf Becker herzlich zum 80. Geburtstag. Am 30. April findet mit Rolf Becker im Haus der Demokratie und Menschenrechte eine Vesper zum Thema »Griechenland unter Druck. Und was Deutschland Griechenland schuldet« statt. Moderation: Eckart Spoo, Veranstalter: Redaktion Ossietzky, Internationale Liga für Menschenrechte, Stiftung und Verein Haus der Demokratie und Menschenrechte, Beginn: 19 Uhr, Ort: Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin.