Bei Heinrich Fink, dem Jubilar, der die Schwelle zum neunten Lebensjahrzehnt überschreitet, müßte an diesem letzten Märztag der Briefkasten überlaufen, würden sich all jene an sein ihnen zugute gekommenes Verdienst erinnern, ihnen in den sogenannten Zeiten der Wende wenigstens eine gewisse Galgenfrist verschafft zu haben, bevor sie aus der Humboldt-Universität als nicht mehr gebraucht oder gewollt entlassen wurden. Daß sie nicht nur Monate länger bezahlt wurden, sondern auch eine Zeitspanne gewannen, in der sie über das »Wie-Weiter?« nachdenken konnten, war durch die Klage bewirkt, die der damalige Rektor der Universität gegen das Abwicklung genannte Verfahren bei Gericht eingereicht hatte und mit Erfolg durchkämpfte. Diejenigen, die mit der »Methode naßforsch« gescheitert und nun auf das langwierigere, sie vielfach auch entlarvende Verfahren »Einzelfallprüfung« verwiesen waren, haben ihm das nicht vergessen. Da half der heutige Bundespräsident, das damalige Haupt der Behörde für die Verwertung der Akten der Staatssicherheit, als Racheengel weiter. Es wurde die Geschichte vom IM Heiner verbreitet, über die zwei höhere Offiziere des Ministeriums aussagten, daß diese Figur nicht real, sondern von ihnen zusammengeschustert worden war. Beide, vom Landesarbeitsgericht als Zeugen geladen, wurden vom Vorsitzenden des Verfahrens kurzerhand für unglaubwürdig erklärt. Heinrich Fink war über den Gauck-Weg »rechtskräftig« entlassen. Enttäuschend war, wie wenig Humboldtianer an diesem Tag gekommen waren, ihrem einstigen Rektor ein Zeichen ihrer Solidarität zu geben. Der Briefkasten wird also nahezu ein Vierteljahrhundert später von derlei Post nicht überquellen. Von anderer schon, und Heinrich hat die Gratulantenmasse hochverdient. An diese Episode – eine bedeutsame in seiner Biographie – wird erinnert, nicht allein weil sich in ihr ein Geist des Widerstandes ausdrückt, sondern auch wegen ihrer fortdauernden Aktualität.
Ja, es gibt andere Geschichten die Menge. Für welche sich entscheiden? Eine davon ist die unseres Miteinander-Bekanntwerdens, aus dem eine Freundschaft wurde. Heinrich Fink war in DDR-Zeit zu einer Gruppe Westdeutscher, vorwiegend Bremer, gestoßen, die der anhaltend feindlichen Haltung der Bundesrepublik gegenüber der Tschechoslowakei ein Ende machen wollten. Dazu hatten sie eine kleine Gesellschaft gegründet, die Menschen verschiedener Gesinnungen vereinte: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Antifaschisten jeden Typs. Den Kern der Gruppe bildeten Bremer Pastoren, die auch den Vorsitzenden stellten. Das Unternehmen nannte sich Lidice-Initiative. Ihre Mitstreiter trafen sich mit tschechischen Partnern in Bremen und in Kladno bei Lidice, in Prag, Marburg und Bratislava zu Debatten über Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Denen täte ein Historiker gut, meinte Heinrich Fink. Der darauf angesprochene Prorektor lud mich ein. Und so und nicht durch Universitätspflichten trafen wir zueinander. Damit wäre ein Stück Geschichte der DDR erzählt, das auch in Vergessenheit gebracht ist: die Arbeit zur Herstellung eines neuen, gut nachbarlichen, ja freundschaftlichen Verhältnisses zu unseren unmittelbaren Nachbarn, den Tschechen und den Polen. Das Verdienst wird heute ganz Willi Brandt und mehr noch Helmut Kohl zugeschrieben. Früher, länger, ausdauernder haben da einige andere gewirkt. Unter ihnen Heinrich Fink. Gruß dem Theologen, Hochschullehrer und Forscher, dem ideenreichen, leidenschaftlichen Antifaschisten, dem bis vor kurzem noch Vorsitzenden ihrer bundesrepublikanischen Organisation. Sto lat!