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Titel715

Bemerkungen

Schluß mit Blockupy?
»Gespielte Naivität und kalte Berechnung« sagte Werner D'Inka, Mitherausgeber der F.A.Z., »der politischen Linken und manchen Gewerkschaften« nach, in einem Leitkommentar unter dem Titel »Ein böses Spiel«. Weil diese »Spieler« aufgerufen haben zum Protest von Blockupy in der Börsenstadt am Main, in der eine (demokratisch nicht kontrollierte) Instanz des europäischen Finanzmarktes ihr teures Domizil einweihen wollte. »Heuchler« seien sie, die Unterstützer von Blockupy, »die jetzt so tun, als hätte man Haß und Zerstörungswut nicht kommen sehen können«.


Ausschreitungen kleinerer Gruppen bei diesem Protest wird so mancher publizistische Verfechter ungestörten Schaltens und Waltens der Finanzeliten vorausgesehen haben, sie sind, das weiß auch so einer, spricht es aber nicht aus, beim besten Willen durch Demo-Veranstalter nicht immer zu unterbinden. Die Randale jetzt kam seinen Interessen entgegen; es kann, aus dieser Sicht, nicht so weitergehen mit der »Demonstratitis«, deshalb soll diese um jede Legitimität in der öffentlichen Meinung gebracht, zudem durch verschärftes Polizeirecht stillgelegt werden. Selbstverständlich verdiene das Recht zum öffentlichen Protest so etwas wie Respekt, schreibt der F.A.Z.-Editor, aber es müßten »die Folgen« einer Inanspruchnahme desselben »bedacht werden«. Dazu aber seien die linken »Genossen« gar nicht bereit: »Sie wußten, was sie taten. Sie nahmen Tote in Kauf.« Solche gab es in Frankfurt nicht, die Blockupy-Freunde jedoch hätten sie, suggeriert der F.A.Z.-Deuter, sehr wohl und bösartigerweise als Eventualität einkalkuliert. Die Folgerung, die dem Publikum des deutschen Intelligenzblattes nahegelegt wird: Schluß mit Blockupy, damit das »böse Spiel« ein Ende findet.


Kapitalismuskritik? Im Feuilleton einer Zeitung wie der F.A.Z. darf sie gelegentlich zu Wort kommen, »radikal« und auf der Straße jedoch nicht mehr stattfinden, auf Dauer würde das die Reputation des großkapitalistischen Geschäftsbetriebs beschädigen.


Wer so auf Blockupy reagiert, ist ein spezieller Fan der Demokratie – in deren Fassadenversion: Die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« behält ihre Gültigkeit – auf dem Verfassungspapier. In der Alltagswelt politischer Konflikte hat sie sich zu verabschieden; Ruhe muß herrschen, wenn das Kapital seine »Verantwortung« praktiziert.

A. K.


Coca Cola immerdar?
Der französische Philosoph Jean François Lyotard verkündete schon Ende der 1970er Jahre das »Ende der großen Erzählungen«. Gott, Vernunft, System, Ich – die Rede über Derartiges sollte keinen Schlüssel zur Erklärung von Grundlegendem mehr liefern. Radikal und spielfreudig zugleich sprach man auch vom »Abschied vom Prinzipiellen« (und wer mag schon sture Prinzipienreiter?).


Aber halt: Fehlt in der Auflistung der Großerzählungen nicht etwas? Ein Zitat des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Fredric Jameson lautet, von mir übersetzt: »Jemand sagte einmal, es sei leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.« Nach dem Ende der Welt, so die kollektive Vorstellung, werde es also immer noch Coca Cola, Microsoft-Betriebssysteme und die Deutsche Bank geben. – Wenn das keine ganz große Geschichte ist! Tief unterhalb der Kapitalherrschaft mögen sich die postmodernen Sprachspieler ihre Geschichtchen erzählen, lachen die Herren des Geldes, keineswegs neben ihr und niemals über ihr.


Es sei denn, jemand und dann viele könnten sich etwas anderes vorstellen und mit dessen Realisierung beginnen. Spielerisch wird es dabei voraussichtlich nicht zugehen.

Carsten Schmitt


Klassen-Wahl
Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten in der Hansestadt Hamburg hat jüngst ihre Stimme für die Verteilung der Sitze in der Bürgerschaft abgegeben. Aufregend finden die Parteien das nicht, denn es geht ihnen ja um die Prozentanteile bei den abgelieferten Stimmen, und die stehen auch im Mittelpunkt der Berichterstattung. Da kommt eine HH-Wahl-2015-Studie der Bertelsmann-Stiftung etwas in die Quere; darin wird ausgewertet, wie sich die Wahlbeteiligung in den einzelnen Stadtteilen darstellte und welche jeweiligen sozialen Bedingungen dafür gegeben sind. Das Ergebnis: Weiter polarisiert hat sich die Wahlbeteiligung zwischen sozial »prekären« Wohnvierteln und materiell gut situierten Quartieren. Die Wohlhabenden sind wahlfreudig, die Ärmeren zeigen immer weniger Neigung, ihre Wahlstimme einzusetzen. Kurz formuliert: Die individuelle Kaufkraft sortiert bei dieser Angelegenheit. Irgendwie wird dies mit einer Beobachtung von politischen Realitäten zusammenhängen, mit einer Nutzenrechnung, auf beiden Seiten des wählenden oder nicht wählenden Volkes.

M. W.


Plebis Zittern

Immer mal wieder erklingt die Forderung, Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen, besonders dann, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung anderer Auffassung ist als die regierenden Politiker. Zur Zeit werden solche Meinungsverschiedenheiten demokratisch von der Regierung entschieden, weil dem gewöhnlichen Volk vielfach die Fähigkeit abgeht, in Schicksalsfragen der Nation die richtige Entscheidung zu treffen. Da das Abstimmen über Dinge, von denen man nichts versteht, das Vorrecht von Abgeordneten ist, lehnen viele von ihnen diese Plebiszite ab, zumal die Fragestellung bei Plebisziten ganz einfach sein muß, so einfach, daß es nur ein Nein oder ein Ja gibt. Und solchen simplen Fragestellungen mißtrauen viele Volksvertreter noch mehr als den Vertretenen.


Der erfolgsorientierte Berufspolitiker beantwortet eine Frage, die mit ja oder nein zu beantworten ist, routinemäßig so: »Nun, für Ja spricht vieles, aber auch für Nein gibt es starke Argumente. Das muß man genau prüfen.« So kann er nicht auf die eigene Meinung hereinfallen. Sich um eine klare Aussage zu drücken gehört zur Existenzsicherung. Unentschlossenheit stärkt die eigene Position und irritiert den Gegner, der es auch nicht schlechter kann. Bei Plebisziten funktioniert das nicht. Da besteht der Zwang zur Entscheidung, und dieser Druck zu müssen hemmt den Politiker bei seinem Tun wie den Liebhaber im Bett. Da überkommt ihn die Versagensangst. Wo nur ja oder nein gesagt wird, kann keiner behaupten, er sei falsch zitiert worden oder er habe etwas anderes gemeint, als er gesagt hat. Da sind Kompromisse nicht möglich. Ein Ja als ein Nein zu verkaufen, erfordert Fähigkeiten, die nur ganz große Persönlichkeiten haben. Ein Nein für ein Ja auszugeben, gelingt nur bei den Allerdümmsten, und nicht einmal auf die ist immer Verlaß. Auch ist es ausgeschlossen, die geistige Gemächlichkeit durch in die Rede eingeschobene Ähms und Ehehs auszuleben. Mit anderen Worten, so ein Volksentscheid verstößt gröblich gegen die Grundübel der Politik. Und nicht nur das. Er kollidiert auch mit bewährten Methoden der Entscheidungsträgheit.


Jeder Abgeordnete hat ein Gewissen, dem er nach dem Grundgesetz unterworfen ist. Bei allen anderen ist das zweifelhaft. Manche haben gar keins, manche nur ein schlechtes. Zudem sind unter diesen Leuten viele, die ihre Meinung nicht von einer Partei gemacht bekommen, sondern sie sich selber bilden müssen. Das ist dann, wie wenn einer, der kein Fleischer ist, eine Sau schlachten will. Er kriegt das arme Schwein nicht fachkundig tot. Häufig, allzu häufig sind die Wähler auch noch in ordentlichen Berufen befangen, haben ein spezielles Studium absolviert, eine bestimmte Lehre durchlaufen, sind also einseitig ausgerichtet und haben nicht die universale Unbefangenheit dessen, der keine ordinäre Ausbildung hinter sich gebracht oder diese durch Nichtausübung im politischen Mandat überwunden hat und der, so wie ein trockener Schwamm jede Art von Flüssigkeit aufsaugen kann, jedes Thema aufzugreifen imstande ist. Da kämen womöglich Leute zum Zug, die ohne Beratungsfirmen loslegen und die Anstoß an jeder Dummheit nehmen. Das Bedenklichste an solchen Plebisziten ist aber, daß Bürger den Abgeordneten etwas vorschreiben wollen, ohne Rücksicht auf deren Gewissen zu nehmen. Und das ist nur Fraktionsvorsitzenden gestattet.

Günter Krone


Wer wen?
Einen Großindustriellen dürfen die Journalisten in den tonangebenden Konzernmedien keinesfalls »Boß« nennen. Denn das wäre klassenkämpferisch, ist also nicht erlaubt. Aber die Vorsitzenden deutscher Gewerkschaften als »Bosse« zu verulken, ist nicht nur erlaubt, sondern nachgerade erwünscht.


Die Bedeutung und Wirkung der Wörter im Klassenkampf richtet sich allemal danach, wer sie benutzt, wofür und gegen wen.


Es war die metallzeitung, Organ der Industriegewerkschaft Metall, die neulich den Vorsitzenden einer mit ihr verschwisterten ausländischen Gewerkschaft als »Chef« vorstellte – ohne den geringsten Anflug von Ironie. Da fehlt nicht mehr viel, bis sich der Vorsitzende der IGM selber als Chef bezeichnen läßt und auch als solcher auftritt.


Die metallzeitung porträtierte auch eine »Managerin des Alltags«: eine Mutter von zwei Kindern, die morgens um 4.30 Uhr aufsteht und um 5.30 Uhr, nachdem die Pausenbrote gestrichen sind, ins Auto steigt, um rechtzeitig bis 6 Uhr ihren 25 Kilometer entfernten Arbeitsplatz zu erreichen. Nach dem Schichtende um 15 Uhr genießt sie es auf der Rückfahrt als großes Glück, die Schlager aus dem Autoradio laut mitsingen zu können, bevor sie sich mit Einkäufen, Arztbesuchen, Schulaufgaben der Kinder, Kleidung für den nächsten Tag und so weiter beschäftigt. Nach alledem resümiert sie: »Ich möchte kein anderes Leben. Es ist gut, wie es ist.« Und wenn Unvorhergesehenes passiere, müsse man »gelassen bleiben«.


Da fällt kein einziges Wort des Unmuts oder der Kritik. Kein Gedanke an eine Verkürzung der tariflichen Arbeitszeit auf 30 oder, was dem heutigen Stand der Automatisierung in den Fabriken und Büros entspräche, auf 28 Stunden in der Woche. Daß die IGM einmal gemeinsam mit der damaligen IG Druck und Papier erfolgreich für die 35-Stunden-Woche gekämpft hat, ist vergessen. Heute gelten wieder längere Arbeitszeiten. Da kann die vorbildliche »Managerin des Alltags« nichts anderes äußern als Zufriedenheit und eben die Empfehlung, gelassen zu bleiben.


Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren und sich gezwungen sehen, auf einen schlechter bezahlten zu wechseln, erhalten in der Gewerkschaftszeitung die beruhigende Auskunft, »daß sich die Lücke zwischen altem und neuem Verdienst innerhalb von fünf bis sieben Jahren wieder schließt«. Der Markt wird es wohl irgendwie richten.


Zur Vorbereitung des Gewerkschaftstages der IGM im Herbst dieses Jahres hat der Vorstand ein Heft mit Themen für die künftige Gewerkschaftsarbeit zusammengestellt. Das Thema Arbeitslosigkeit fehlt – als hätte es sich erledigt. Einer kämpferischen Gewerkschaft, die noch Ähnlichkeit mit der IGM Otto Brenners hätte und deren Zeitschrift den Spuren ihres einstigen leitenden Redakteurs Jakob Moneta folgen würde, bedarf es dann wohl nicht mehr.


Die heutige, mehr von Gerhard Schröder und Peter Hartz und deren Devise »Wettbewerbsfähigkeit« geprägte IGM scheint zu fürchten, daß ihr Konkurrenz erwachsen könnte. In Übereinstimmung mit den Unternehmern und der Bundesregierung wünscht sie jetzt, daß der Gesetzgeber diese Gefahr abwendet. »Tarifeinheitsgesetz« ist der scheinheilige Name der Attacke gegen das Grundgesetz, das in Artikel 9 gebietet: »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.«


Die Verfassung garantiert also das Koalitionsrecht nicht etwa als Privileg einer bestehenden Organisation, sondern als Individualrecht, als Grundrecht jedes und jeder abhängig Beschäftigten. Statt daran zu rühren und sich dann aller Voraussicht nach gemeinsam mit Kapital und Kabinett eine peinliche Niederlage beim Bundesverfassungsgericht zu holen, muß sich die IGM auf ihre Aufgabe besinnen, Vollbeschäftigung zu erkämpfen. Wenn sie dafür mobilisiert, wird sie merken, wie stark sie immer noch ist.

E. S.

 

»Vertagte Zukunft« – der SPD?
Der sozialdemokratische Ex-Kanzlerkandidat hat noch einmal auch als Autor sein Publikum. Seinem Buch »Unterm Strich« (2010) ist nun »Vertagte Zukunft« gefolgt, Peer Steinbrück reüssiert wieder in den Medien und geht auf Vortragsreisen. Als »selbstkritisch« wird seine neue Publikation gelobt, die vorhergehende galt mehr dem Lästern über sozialdemokratische »Heulsusigkeit«. Aber die Partei hat der Autor auch diesmal aufs Korn genommen – sie ist ja selbst schuld daran, daß sie ihn, wie er beklagt, zum »Meßdiener« machen wollte, der als Herausforderer von Angela Merkel »parteipolitische Wahrheiten« zu verkünden hatte; die waren nämlich für Steinbrück gar keine. Die Rolle eines Bändigers kapitalistischen Übermutes hatte er, der bewährte Deregulierer des Finanzmarktes und Bankenretter, wahlkämpfend zu übernehmen; wie kamen selbsternannte Spitzenmanager der SPD nur auf eine so abstruse Idee? Da wundert sich der ehemalige Kanzlerkandidat und animiert sein Publikum dazu, solches Erstaunen zu teilen. Daß diese Botschaften der SPD dazu verhelfen könnten, trotz jetziger »Vertagung« ihrer Probleme demnächst wieder zukunftstüchtig zu werden, aus dem Niedrigstand in der Demoskopie herauszukommen, ist nicht anzunehmen.


Bei der Präsentation ihres Spitzenpersonals hat die Partei in ihrer Geschichte nach Willy Brandt in zunehmendem Maße Pleiten erlitten. Gerhard Schröder erschien für einen Moment als neuer Hoffnungsträger; dann entschied er sich, beraten durch die Bertelsmann-Stiftung, für die Agenda-Politik, und es ging rapide abwärts mit der SPD, hin zu einem Stimmenanteil bei Bundestagswahlen und derzeitigen Sonntagsfragen, der unterhalb des Standes zu Gründungszeiten der Altbundesrepublik liegt.


Um Zufallspech in Personalien handelt es sich da nicht. Sondern um einen Verlust an politischer Glaubwürdigkeit, der nebenbei seinen Zusammenhang hat mit der Auswahl von Kandidaten fürs Kanzleramt.

M. W.


Im Zeichen der Blauen Rose
Spitzenleistungen der Grafik der DDR erwarten den Besucher der neuen Ausstellung in der Galerie der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM). Hier hatten die nach der Annektierung der DDR oft als Staats- und Auftragskünstler Gebrandmarkten seit 1999 die Möglichkeit, ihre Arbeiten auszustellen. Die Besucher waren und sind dankbar dafür. Eine Welle der Solidarität gab den Ausstellern Mut. Es waren zumeist Künstler, die sich, wie Martina Dost in ihren einführenden Worten sagte, »politisch engagierten, sich einmischten, die einbezogen wurden in die Entwicklung der DDR«, die soziale Sicherheit zu schätzen wußten, die gebraucht wurden. »Welcher Künstler kann heute von sich behaupten, daß er mit seiner Arbeit gebraucht wird?«, so die Journalistin, die selbst eine erfolgreiche Malerin ist.


Die bisher 84 Ausstellungen, die der GBM-Arbeitskreis »Kultur« bisher organisierte, hatten stets eine gute Resonanz. Werkschauen waren zu sehen von Willi Sitte, Gudrun Brüne, Ronald Paris, Heidrun Hegewald, Gabriele Mucchi, Rudolf Grüttner, Wolfram Schubert, Emerita Pansowová, Hans und Lea Grundig, um nur einige zu nennen. Die gegenwärtige Ausstellung trägt den Titel »Kunst im Zeichen der Blauen Rose«. Die GBM wählte nach ihrer Gründung die Blaue Rose als ihr Symbol für die Sehnsucht nach Frieden. Walter Womacka hatte auf Bitten der GBM 1999 ein Bild mit dem Titel »Die Blaue Rose« gemalt, in dem er die blaue Blume der Romantik symbolträchtig zu einer Zeit als zentrales Bildzeichen nutzte, als in Jugoslawien Bomben fielen und Menschen starben. Das Gemälde nimmt in der Ausstellung einen zentralen Platz ein.


Die Mehrzahl der ausgestellten Grafiken befaßt sich mit den Themen Krieg und Frieden. So auch das Blatt »Landschaft 1944«, in dem Bernhard Heisig seine Fronterlebnisse verarbeitete. Es gehört zur Folge »Der faschistische Alptraum«, zeigt aufgerissene Erde, Waffenreste, einen Schützengraben, zerstörte Natur und Menschen in Panik. Heisig bekannte, daß dieses Thema ihn beschäftigte, solange er arbeiten konnte. Auch Gabriele Mucchis Lithografie »Hommage à Käthe Kollwitz. No alla guerra!« hat eine klare Aussage. Fritz Cremers »Aufsteigender«, Willi Sittes »Wenn ihr die Zeit bestimmt«, Herbert Sandbergs Holzschnitt »Verschiedener Meinung« gehören ebenso zu den Exponaten wie Harald Metzkes Farblithografie »Wenn der Frühling läßt empor hoch den Himmel steigen« und Christine Perthens Radierung »Menschen, laßt uns Menschen werden«. Eine einfühlsame Lithografie mit dem Titel »Zeit zum Wandern« von Altmeister Arno Mohr stellt eine Landschaft um den Müggelsee dar; sie fand viele Liebhaber. Alle Blätter der Ausstellung, die sich im Besitz der GBM als Schenkung befinden, sind verkäuflich. Gezeigt werden auch aquarellierte Federzeichnungen von Peter Muzeniek, Rainer Ehrt und Rainer Schwalme, die in den Karikaturenbüchern der GBM reproduziert waren.


Die Ausstellung wird längere Zeit gezeigt werden, in größeren Abständen unterbrochen von Sonderausstellungen. Eine solche Sonderschau wird anläßlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom 24. April bis zum 31. Mai Bilder der Foto-Journalistin Gabriele Senft unter dem Thema »Ringsum prangten leuchtend Apfelblüten« präsentieren.

Maria Michel

GBM-Galerie, Weitlingstraße 89, 10317 Berlin, Mo bis Fr 10 bis 15 Uhr


Konrad Wolf – eine Entdeckung
Vor 50 Jahren wurde der berühmte Filmregisseur Konrad Wolf zum Präsidenten der Akademie der Künste der DDR gewählt. Im selben Jahr begann er mit der Arbeit an einem ungewöhnlichen Filmwerk, mit dem die Ära des Farbfernsehens der DDR eröffnet werden sollte: »Der kleine Prinz« nach der berühmten märchenhaften Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry. Berühmt waren auch die beteiligten Schauspieler, darunter Eberhard Esche, Wolfgang Heinz, Horst Schulze, Fred Düren, Jürgen Holz, Inge Keller, die in der Rolle der »Schlange« glänzt, Klaus Piontek als aufklärerischer »Fuchs«, der das Geheimnis ausspricht: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, und Christel Bodenstein, die Hauptdarstellerin.


All das deutete auf einen großen Erfolg hin. Aber der Film wurde erst sieben Jahre später einmalig im Zweiten Programm des DDR-Fernsehens gezeigt. Der Grund dafür lag wohl in urheberrechtlichen Differenzen mit den Erben des Autors und leidenschaftlichen Flugzeugpiloten Saint-Exupéry, der 1944 von einem Aufklärungsflug im Auftrag der U.S. Air Force nicht zurückgekehrt war.


Doch jetzt ist der Film endlich ins Kino gekommen: in Bernau, wo Wolf vor 70 Jahren (»Ich war 19«) für kurze Zeit sowjetischer Stadtkommandant war und seit 40 Jahren Ehrenbürger ist. Veranstalter war der »Arbeitskreis Konrad Wolf« im Kulturbund Bernau. Der ehemalige Babelsberger Chefdramaturg Dieter Wolf führte ein. Tief bewegt vom Wiedersehen nach 43 Jahren nahm auch Christel Bodenstein teil und schilderte spontan Einzelheiten von den Dreharbeiten.


Mit kindlicher Naivität nimmt der Film die Zuschauer auf eine Erkenntnisreise, die auf solche Lebensfragen wie Freundschaft und Verantwortung, Lebensziele und -inhalte, Wesentliches und Unwesentliches eingeht. Die autobiographischen Hintergründe der Erzählung Saint-Exupérys nutzt Wolf als Rahmenhandlung und weist in einem Prolog – ähnlich wie sein Freund Roman Karmen in dem Film »Der gewöhnliche Faschismus« – auf Bezüge zur Gegenwart hin.


Zum 90. Geburtstag Konrad Wolfs im Oktober plant nun Studio Hamburg Enterprises die Herausgabe des Films als DVD.

Eberhard Gumpel


Männerfilm ohne Träume
Der neue Dresen-Film »Als wir träumten« ist ein Männerfilm.


Es wird geprügelt, geboxt, es werden Autos geknackt, kaputtgeschlagen, Mütter beiseite gedrängt, es wird gekokst, gesoffen, es werden Pornos geguckt. Alles spielt sich im Dunklen und laut ab, in Ruinen, Kellern, auf Dächern, in verlassenen Fabrikhallen, zwischen Hochhäusern und Müllbergen. Nebenbei bügeln Frauen Wäsche. Briketts werden einer Oma gegen Geld hochgetragen, in verrauchten Kneipen sitzt die Elterngeneration und ist dem Alkohol verfallen.


Nachdem fünf 16jährige Jungen eine Underground-Disko in einer verlassenen Russenkaserne aufmachen und damit Erfolg haben, werden sie von einer straff organisierten Glatzen-Nazibande nacheinander auf den Pflastersteinen verlassener Straßen fertiggemacht, beinahe totgeprügelt. Die Freundin von Dani, der Hauptperson, aus Kindertagen, ist ausgerechnet mit dem Mafioso, der dieser Gang, weit oben, vorsteht, liiert.


Die Redundanz der Handlungen der kleinen Machismo-Clique, die zunächst zusammenhält, dann aber zerfällt, ist zuweilen ermüdend und geht nicht wirklich tief. Das Verhalten der Jugendlichen zeigt aber eindrücklich, daß sich unter ihnen ein Abgrund geöffnet hat, in dem eine eben noch intakte Gesellschaft wie in einem Höllenschlund versunken ist. Insofern leuchtet mir der Titel: »Als wir träumten«, nicht ein. Worauf soll er anspielen? Auf den herrschaftsfreien Abgrund, der sich kurzzeitig in Abrißhäusern auftat, oder auf die Kindheitssequenzen, die dem ganzen kunstvoll untergemischt sind?


Die Erinnerungsszenen sind die stärksten des Filmes; feinfühlig angelegt wirken sie authentisch und wahr. Geschickt hat Dresen hier den üblich westbornierten DDR-Blick vermieden und ist doch keineswegs unkritisch geblieben. Die Hauptpersonen sagen FDJ-Sprüche auf, die von Gerechtigkeit handeln und für den Aufbau des Sozialismus eintreten. Da gibt es Militärisches und autoritäre Drangsal, aber es gibt auch den Satz der Lehrerin: »Du willst Reporter werden?«, und es ist klar, das liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Und die Freundin aus Kindertagen, die am Ende als Stripperin arbeitet und mit jedem für einen schnellen Fick ins Klo geht, die liest wunderbar begabt vor, von Frieden und Freiheit und Gerechtigkeit. Und nie hätten diese Kinder, die damals wohlbehütet schienen, geahnt, daß sie sich nur einige Jahre später in solch einem Abgrund wiederfinden würden.


Am neuen Leben sehen sie zunächst auch etwas enorm Erhebendes: nämlich niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen, frei zu sein, wild, auf alles zu scheißen, sich selbst etwas auf-bauen zu können. Aber sie verlieren sich. Sie vergeuden ihre Kraft im Knacken von Autos, im Herumfahren und Kaputtmachen von Autos, im Prügeln, im Klauen, im Dealen. Sie sind durch den Machtwechsel all ihrer Autoritäten, all ihrer Werte, all ihrer Vorstellungen beraubt worden, einzig die Freundschaft zu ihrer Clique ist ihnen geblieben. Sie sind nun Outlaws und feiern das in den Trümmern, die der Machtwechsel übriggelassen hat.


Der Film spielt einige Jahre nach und mit den Kindheitserinnerungen vor der Wende, läßt die unmittelbare Wendezeit geschickt aus. Vom Träumen fand ich da wenig, eher Verzweiflung und Wut. Am Ende nur noch Trauer.

Anja Röhl


Preisverdächtig
Das ist ein raffiniertes Stück Literatur, das harmlos als Familiengeschichte daherkommt. Da gibt es einen Bruder, der durch einen Unfall hirngeschädigt ist, zwei Väter – einen leiblichen und einen engagierten – und vor allem Marta, die Pflegerin des Behinderten, in die sich der Erzähler verliebt. Erst während des Studiums werden sie ein Paar, doch Marta verbindet mit dem Kontakt noch andere Interessen: Als Mitglied einer linksextremen Gruppe erschießt sie den einen Vater.


Verantwortung, Schuld, die Frage nach verschiedenen Moralprinzipien und verschiedener Intelligenz stehen zur Debatte. Michael Wildenhain läßt allen Protagonisten das Recht auf ihre eigene Wahrheit. Marta ist kein Monster und der sich redlich um den Jungen mühende Stiefvater nicht der Mediziner mit der weißen Weste. Der Autor macht so deutsche Geschichte zum Prüffeld, und er macht es spannend und gekonnt. Das Buch war ein Kandidat für den Preis der Leipziger Buchmesse, den zum ersten Mal ein Lyriker, nämlich Jan Wagner erhielt. Schade oder: auch gut.

Christel Berger

Michael Wildenhain: »Das Lächeln der Alligatoren«, Klett-Cotta, 242 Seiten, 19,95 €


Das Gegenteil-Syndrom
Seit geraumer Zeit grassiert eine Krankheitswelle in unserem Land, die aber nicht die Wartezimmer der Hausärzte füllt. Es ist das hochansteckende Gegenteil-Syndrom, das sich von der Nordseeküste bis an den Alpenrand ausbreitet.


Krankheitszeichen sind weder Übelkeit noch Gliederschmerzen, sondern merkwürdige Verhaltensweisen. So schimpft mein Nachbar ständig über die hohen Benzinpreise, nun hat er sich aber einen Neuwagen mit einer 200-PS-Maschine zugelegt. Meine Frau ärgert sich über das Aussterben der Fachgeschäfte in der Innenstadt, doch dann fahren wir ins Outlet-Center auf der grünen Wiese.


Irgendwie hat uns der Virus befallen, daß wir immer das Gegenteil von dem machen, was uns eigentlich unser Verstand sagt. Da haben wir zum Beispiel längst die Schnauze voll von irgendeiner Partei, doch am Wahlsonntag machen wir genau dort wieder unser Kreuz. Wir wettern zwar über Massentierhaltung, doch beim Einkauf gieren wir regelrecht nach Schnäppchen in der Tiefkühltruhe. Nur Spott und Häme haben wir für das allabendliche Fernsehprogramm, aber dann ziehen wir uns »Dschungelcamp« oder »Bauer sucht Frau« rein.


Kurzum, es hat den Anschein, daß wir gern an diesem Gegenteil-Syndrom leiden. Sind wir so vergeßlich oder unbelehrbar? Oder ist es unser innerer Schweinehund, der uns bei jeder Gelegenheit einflüstert: »Mach das Gegenteil!«

Manfred Orlick