Unsere Zustände
Wer befürchtet, Böses zu ernten, weiß, dass er Böses gesät hat.
*
Wenn jetzt in Deutschland zehn Bürger zusammenkommen, entstehen zwanzig Meinungen.
*
Das ist der Trümmerhaufen deutscher Politik: Die Vergangenheit scheint immer schöner zu werden.
Wolfgang Eckert
Seefahrt tut not
Ein trüber Freitag Mitte März im Sandtorhafen von Hamburg: Dort liegt ein Schiff, das getauft werden soll, eines, dem auch der Laie ansieht, dass es nicht mehr taufrisch ist. Es ist zwar, wie zu erfahren ist, generalüberholt worden, doch das halbe Jahrhundert, das seit seiner ersten Schiffstaufe vergangen ist, ließ sich nicht übertünchen.
Im Hintergrund ist die – immer noch nicht fertige – Elbphilharmonie zu sehen; die postmoderne Architektur der Hafencity dominiert, wenn man den Blick in die andere Richtung schweifen lässt. Das Schiff wirkt etwas verloren inmitten dieser Umgebung.
Die Geschichte des Schiffs ist Ausdruck einer fast schon verzweifelten Hoffnung: Die Sea-Watch 2 wird dieselbe Aufgabe erfüllen müssen wie zuvor die Sea-Watch 1, die vor der libyschen Küste kreuzte, um Flüchtende aus dem Mittelmeer zu retten. Die Sea-Watch 2, die doppelt so groß ist wie die Sea-Watch 1, wird Menschen bergen, bis Hilfe herbeigeholt worden ist. Auf Militärschiffe kann sie dabei nicht rechnen. Die Handelsschifffahrt wird die Ehre der Seefahrt retten müssen.
In den Worten, die der Schiffstaufe vorausgingen, klang die Enttäuschung des Initiators des Rettungsprojekts, Harald Höppner, durch: »Die Flüchtlinge, die in Europa aufgenommen werden, müssen wieder vom Himmel fallen.« Denn zu Wasser und zu Lande werden sie Europa nun nicht mehr erreichen können. Der Sea-Watch-Kapitän Ingo Werth klagte die Verbrechen gegen Flüchtlinge in Deutschland und den Nationalismus in vielen EU-Staaten an, stellte aber auf der anderen Seite die Hilfsbereitschaft vieler Menschen heraus. Es war ein Symbol, dass eine Frau, die ehrenamtlich in einer Kleiderkammer arbeitet, und ein Flüchtling aus Mali als Taufpaten fungierten.
Die Sea-Watch 2 muss fahren, weil ohne sie eine Hoffnung sterben würde.
Lothar Zieske
Schuldgefühl
Liegt der Unbeugsamkeit von Frau Merkel ein tiefes Schuldgefühl zugrunde? Ein Wissen darüber, was die modernen westlichen Industriestaaten und in Übersee die USA in Jahrzehnten den heutigen Flüchtlingsländern angetan haben durch geostrategische militärische Maßnahmen und Wirtschaftsgeschäfte, in denen sie sich bevorteilten und diese Staaten zum Nachteil behandelten? Indem sie gewinnbringend Waffen in die Hände von Machthabern dieser Länder lieferten, wohin sie nie hätten geraten dürfen? Wenn die Flüchtlinge in den modernen Wirtschaftsländern des Westens bleiben, wird die Kultur dort maßgebend verändert werden, und das Gleichgewicht verlagert sich. Notwendig ist eine selbstlose Hilfe durch diese modernen Industriestaaten für die geschundenen Flüchtlingsländer, damit die meisten Flüchtlinge wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehren können. Aber wo hat es schon jemals einen Kapitalismus gegeben, der sich schuldig fühlte und selbstlos war?
Wolfgang Eckert
Leyendarsteller
Gegen die Doktorarbeit der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurden Plagiatsvorwürfe erhoben. Der Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover, die der Ministerin auf Grund der kritisierten Arbeit die Doktorwürde verliehen hat, sagte nach Prüfung der Vorwürfe, es gebe zwar Plagiate, deren Muster spreche aber nicht für eine Täuschungsabsicht. Die Ministerin darf den Titel behalten. Denn: »Es geht hier um Fehler, nicht um Fehlverhalten.« Sagte der Präsident. Ein Fehlverhalten aber ist es, wenn sich nun manche Leute über dieses Urteil aufregen. Denn man muss die Sache im Zusammenhang sehen. Schließlich kann man die Verteidigungsministerin nicht schlechter behandeln als die Bundeswehr. Die wird auch nicht abgeschafft, nur weil ein paar Gewehre nicht richtig schießen und Hubschrauben nicht fliegen können.
Günter Krone
Keine Regierung in Sicht
Seit dem 2. März wird im spanischen Parlament versucht, eine Mehrheit für die Wahl des Ministerpräsidenten zu finden. König Felipe VI. beauftragte den Vorsitzenden der Sozialisten, Pedro Sánchez (PSOE), mit der Regierungsbildung. Sánchez nahm den Auftrag mit dem Vorsatz an, »vier weitere Jahre mit Rajoy zu verhindern«. Weder die Konservativen noch die Sozialisten haben eine Mehrheit für eine Regierungsbildung. Sánchez hätte die Unterstützung von Podemos und den kleineren baskischen und katalanischen Parteien benötigt. Da aber die Provinzfürsten der PSOE das nicht goutierten, kam als Partner nur die bürgerliche Partei Ciudadanos (C´s) – der FDP ähnlich – in Frage. Das Bündnispapier zwischen Pedro Sánchez und dem C´s-Vorsitzenden Albert Rivera war jedoch mehr als vage und interessierte niemanden im Parlament. Die PSOE brachte 90, die C´s 40 Stimmen in das Wahlbündnis ein. Bei der ersten Wahl am 2. März bekam das Bündnis von 350 nur 130 der erforderlichen 176 Stimmen. Auch im zweiten Wahlgang am 4. März wurde die Mehrheit verfehlt. Bekommt Spanien in den nächsten zwei Monaten keine neue Regierung, wird es Neuwahlen geben.
Mehr Dynamik bieten die Korruptionsfälle. »In der Partei gibt es nun einmal viel Schwarzgeld«, erklärte eine Stadträtin der Partido Popular (PP) in Valencia ihrem Sohn in einem von der Guardia Civil mitgeschnittenen Telefonat. Es stamme von Firmen, die sich bei der Stadt für erteilte Aufträge erkenntlich zeigen. »Dieses Geld darf natürlich nicht an Licht kommen«, erläuterte die PP-Politikerin weiter. Alle Stadträte haben von den Zuwendungen 1000 Euro auf das Parteikonto eingezahlt, um es sich dann wieder auszuzahlen. Mit der fingierten Spende habe PP im vergangenen Jahr die Kommunalwahlen in Valencia finanziert. So werde das Geld gewaschen, endete die Mutter mit ihren Erläuterungen zum Thema, denn das Einzige, was in diesem Land funktioniere, sei nun einmal die Korruption.
Mehr als 50.000 Euro flossen so 2015 in den Kommunalwahlkampf der PP in Valencia. Trotzdem wurde die dortige Bürgermeisterin der PP, Rita Barberá, nach 24 Jahren abgewählt. Inzwischen steht die gesamte Parteiführung der PP in Valencia vor dem Untersuchungsrichter.
Anders die Ex-Bürgermeisterin Rita Barberá, sie sitzt seit dem 20. Dezember 2015 als Abgeordnete im spanischen Senat und genießt parlamentarische Immunität. Die 67-Jährige, die noch immer in der PP ehrfürchtig als »La Jefa«, die Chefin, bezeichnet wird, will von den Machenschaften in dem von ihr regierten Rathaus nichts gewusst haben. Nun drohen jedoch Ermittlungen. Das abgehörte Gespräch von Barberás Stadträtin mit deren Sohn belastet auch die Ex-Bürgermeisterin.
Karl-H. Walloch
Spanien war ihre Hoffnung
»Wir deutschen Antifaschisten gingen 1936 nach Spanien nicht als Söldner, nicht als Legionäre, sondern wie wir immer sagten, schrieben und sangen, als Alibi des ›anderen Deutschland‹. Viele von uns haben später erlebt, wie unsere Ideale vom Stalinismus verraten wurden. Viele gingen dann andere Wege, wie André Malraux und Ernest Hemingway, viele wurden sogar zu eifervollen Antikommunisten, wie Arthur Koestler, Gustav Regler und George Orwell. Aber ich wüsste keinen, der sein Engagement für das republikanische Spanien widerrufen hätte. Der Kampf gegen Franco war für uns alle zugleich ein Kampf gegen Hitler, und damit für Freiheit und Menschenrechte.« So der deutsche Schriftsteller und Spanienkämpfer Alfred Kantorowicz. Er thematisiert die Widersprüche einer zunächst solidarischen Politik für die Spanische Republik. Aber die von den westlichen Demokratien verweigerte Unterstützung, auch von der französischen Volksfront-Regierung unter Léon Blum, führte zur Abhängigkeit der Spanischen Republik von den Waffenlieferungen der Sowjetunion. Die Sowjetunion schaffte die Voraussetzungen für das (befristete) Überleben der Republik. Aber sie nutzte zugleich auch den damit verbundenen Einfluss auf die Politik der Spanischen Volksfront zu Konflikten mit den als Trotzkisten diffamierten linken Anhängern der POUM und den Anarchosyndikalisten der CNT-FAI. Eine Politik, die das linke Lager in Europa spaltete. Gerade diese Ereignisse läuteten jenen »Bürgerkrieg im Bürgerkrieg« ein (Broué/Témime). Er endete mit der Niederlage der Anhänger der Spanischen Republik und eröffnete Hitler eine Probebühne für den Zweiten Weltkrieg (Legion Condor).
Wie sind diese Ereignisse und Polarisierungen zu erklären, welche Folgen zeitigen sie bis heute? Welche Lehren ziehen wir aus den Erinnerungen der deutschen Spanienkämpfer von Augustin Souchy, Carl Einstein, Ludwig Renn, Willy Brandt, Peter Blachstein, August Thalheimer, Ernst Busch, Rolf Reventlow bis zu Anna Siemsen, Erika Mann oder Maria Osten?
Die Ausstellung »80 Jahre Spanischer Bürgerkrieg – Eine Spurensuche« wird am 10. Mai um 18 Uhr im Bremer Presse-Club eröffnet. Mit dabei ist unter anderem der Schauspieler Rolf Becker aus Hamburg, der Texte der Spanien-Kämpfer liest.
Als Wanderausstellung konzipiert, kann die Schau ab Juli 2016 ausgeliehen werden (Infos: wollenberg@uni-bremen.de).
Jörg Wollenberg
Angezeigt wegen SS-Enteignung
Vor 110 Jahren kam er zur Welt, Emil Bahr, der einst »stärkste Mann der Welt«, dessen Leben unter dem Artistennamen Milo Barus einiges über die vergangenen Deutschländer und das letzte Jahrhundert erzählt. Der Zirkus-Publizist Roland Weise (1928–2013) schrieb schon vor Jahrzehnten über Barus, jetzt gibt es eine neu bearbeitete und von Uwe Träger ergänzte Ausgabe. Auch die scharfzüngige Filmkritikerin des Eulenspiegel, Renate Holland-Moritz, widmet darin dem Athleten »Ein starkes Stück«.
Milo Barus, geboren im böhmischen Alt Rothwasser (Stará Červená Voda), zunächst also österreichischer, später tschechischer Staatsbürger, bereiste per Zirkus die Welt, machte von Frankreich bis Argentinien und den USA Furore, stemmte und zog Elefanten und Autos, drehte Hufnägel zu Korkenziehern und sprengte Ketten, war aber in Nazi-Deutschland wenig gelitten. Zu sozialdemokratisch – folglich wurde er, der Sudentendeutsche, »wegen Landesverrats« 1937 zu Zuchthaus verurteilt und für »wehrunwürdig« erklärt. Nach 1945 führte er alliierte Befehle in seiner tschechischen Heimat aus. Was ihn selber vor der Aussiedlung nicht bewahrte.
Genau das wurde ihm 1950, nun wieder in (West-)Deutschland, zum Verhängnis: Haftbefehl. Angezeigt vom »letzten deutschen Kampfkommandanten von Weidenau« (Vidnava), weil er nach der Befreiung als Hilfspolizist bei der Enteignung von SS-Villen mitwirkt hatte …
Barus ging mit seiner Frau in die DDR, lebte zunächst in Südthüringen und dann zwanzig Jahre im Thüringer Holzland, im Mühltal. Hier betrieb er eine Gaststätte, die bis heute berühmte »Meuschkensmühle«, bekam von der Universität Jena den Titel »Doctor honoris causa athleticae« und trat des Öfteren mit seinen alten Kunststücken im DDR-Fernsehen auf, hochgeehrt zum 70. Geburtstag 1976. Doch inzwischen lebten die Kinder aus der ersten Ehe seiner Frau längst in Bayern, denen wollte man nahe sein: »Ich gehe doch nicht als Feind von der DDR weg, sondern wegen Krankheit und Familienzusammenführung. Ich tue das meiner Marthel zuliebe, dass sie zu den Kindern kommt.« (Brief an Roland Weise vom 16.7.1976)
Im Kalten Krieg war dies dennoch Anlass für die bundesdeutsche Presse, den am 1.10.1977 verstorbenen Milo Barus nunmehr als Verfolgten des Stasi-Regimes zu bezeichnen. Auch der stärkste Mann der Welt konnte die ideologischen Fronten nicht zerbrechen.
Matthias Biskupek
Uwe Träger, Roland Weise: »Milo Barus – der stärkste Mann der Welt«, Verlag Erhard Lemm, 96 Seiten, 12,95 €
Ein Leben unter Sternen
Sie hatte einen Beruf ohne Vorbilder, sie war Weltraum-Architektin. Fast 30 Jahre stand sie in Diensten der sowjetischen Kosmonautik. Sie gab den Weltraumkapseln, Weltraumstationen und Weltraumfähren eine zweckmäßige und ästhetische Form. Ihr Arbeitsauftrag reichte von der ergonomischen Gestaltung des Wohnbereichs über komfortable Kosmonautensitze bis zu einer weltraumtauglichen Toilette – unter Berücksichtigung ausgewogener Proportionen und eines harmonischen Farbklimas.
Das außergewöhnliche Leben und Werk der 1931 geborenen Architektin und Designerin Galina Balaschowa wird erstmals durch eine Monographie gewürdigt. Der Architekt und Verleger Philipp Meuser präsentiert eine einzigartige Sammlung von Entwürfen und realisierten Planungen, von denen der größte Teil noch nie veröffentlicht wurde. Dazu gehören die Wohnmodule für die Raumschiffe der Sojus-Reihe, den Raumgleiter Buran und die Weltraumstationen Saljut, Mir und ISS, außerdem Wappen, Medaillen, Abzeichen, Flugwimpel und Briefmarken für einzelne Missionen. Und nicht zu vergessen ihre beachtenswerten autobiographischen Ausführungen unter der Überschrift »Mein Leben unter Sternen«.
Eine späte Würdigung für eine einmalige Frau, die einzige in der Geschichte der Weltraumforschung, die vier Generationen von Raumfahrzeugen maßgeblich mitgestaltet hat. Ein Zeitdokument der sowjetischen Raumfahrt.
Herbert Altenburg
Philipp Meuser: »Galina Balaschowa: Architektin des sowjetischen Raumfahrtprogramms«, übersetzt von Ekaterina Petrova, DOM publishers, 159 Seiten, 28 €
Feinde – Geschichte einer Liebe
Nein, es reicht nicht, ein Buch dieses Nobelpreisträgers, Isaac Bashevis Singers in Jiddisch geschriebenen Roman »Feinde«, auf die Zerrissenheit des jungen Juden Herman Broder zwischen drei Frauen zu reduzieren – ihn zwischen Yadwiga zu stellen, der einstigen Dienstmagd in Polen, die ihn vor den Deutschen auf dem Heuboden versteckt gehalten und vor dem Tod bewahrt hatte, ihm später als seine Frau in die Emigration nach New York gefolgt war, und Mascha, der einstigen Geliebten aus dem Nachkriegsflüchtlingslager in Deutschland, sowie letztlich Tamara, seiner tot geglaubten Ehefrau aus Polen, die aber am Leben geblieben und unerwartet in New York aufgetaucht war, um ihre Rechte einzufordern. Drei Frauen also und entsprechend maßlos Broders Zerrissenheit! Wenig mehr als eben diese Zerrissenheit wird in der Bühnenfassung deutlich gemacht – Verfolgung und Elend in Polen bleiben weitestgehend ausgeblendet, auch die Nachkriegszeit und wie Herman Broder, angestellt für einen Rabbi mit Büchern zu hausieren, in der Fremde seinen Unterhalt verdient. Hin- und hergerissen zwischen den Frauen bleibt ihm dafür wenig Kraft, und am Ende rettet er sich erschöpft und ausgelaugt in die Versenkung – buchstäblich: Ein Gullydeckel fällt geräuschvoll über ihm zu.
Und doch – das Stück, dieser Torso eines Stücks, entbehrt nicht der Spannung. Die Emotionen der Frauen, ihre sich steigernde Eifersucht, und wie sie alle mit Leib und Seele um den Mann ringen, lassen ihre Einsamkeit und Verlassenheit in der beängstigenden Metropole ahnen und die Bedrängnisse, denen sie vor ihrer Flucht hierher ausgesetzt waren. Überdeutlich bleiben ihre Verzweiflung, ihre Aussichtlosigkeit – überdeutlich auch ihr Leben als Flüchtlinge.
Die Schauspieler, hauptsächlich sie, tragen das Stück zum Erfolg: Aleksandar Radenković als Herman Broder, Çiğdem Teke als Tamara, Orit Nahmias als Yadwiga und Lea Draeger als Mascha. Zusammen mit Ruth Reinecke und Daniel Kahn (beide in Doppelrollen) bilden sie ein bemerkenswertes Ensemble in der wirkungsvollen Regie der in Jerusalem geborenen Theatermacherin Yael Ronen.
Walter Kaufmann
Nächste Vorstellungen im Gorki Theater am 4. und 7. April um 19.30 Uhr.
Tipp zur Neuanschaffung
Man will es einfach nicht glauben …, aber ständig hat man neue Scherereien mit seinem Rechner: Programmabstürze, Virenattacken, Treiberprobleme, Festplattencrash … Die Palette der Computergrausamkeit ist lang. Der blanke digitale Terror. Doch kaum hat man sich dazu entschlossen, »das gute Ding« bei der nächsten Sperrmüllaktion zu entsorgen, funktioniert der Blechkumpel wieder einwandfrei. Erst nervt er ständig, und plötzlich tut er ganz brav, so als würde er es merken, dass man ihn loswerden will.
Ähnlich erging es mir vor Jahren mit meinem Kassettenrecorder. Nur noch Ärger und Bandsalat. Als ich jedoch in seinem Beisein einem Freund gegenüber äußerte, ich würde mir demnächst ein neues Gerät anschaffen, funktionierte die Kiste wieder tadellos.
Mir ist schleierhaft, wie und woher diese verdammten Dinger es merken, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Aber sie merken es, keine Frage. Daher: Vorsicht mit Neuanschaffungsabsichten! Die sollten stets streng geheim bleiben. Beim Computerneukauf tut man am besten einfach so, als würde man im Supermarkt den stinknormalen Wochenendeinkauf erledigen, und erst im wirklich allerletzten Augenblick biegt man in die Technikabteilung ab. Will man aber sein altes Schätzlein behalten, könnte nach meinen Erfahrungen die angedrohte Neuanschaffung Wirkung zeigen, wenn das Gerät mal wieder zickt.
Manfred Orlick
Zuschrift an die Lokalpresse
Nachdem sich die Medien über eine am 25. Februar von Flüchtlingen angezettelte Schlägerei in einer Karlshorster Notunterkunft empört hatten, folgte einen Tag später im Stile der Radio-Jerewan-Berichterstattung das Dementi des Vorfalls. Die Schlägerei hatte zwar stattgefunden, aber nur im Prinzip. Denn sie war nicht von den Migranten ausgegangen, sondern von den privaten Sicherheitskräften. Bestätigt wurde auch, dass die SozDia-Stiftung als Betreiber der Anlage und der Heimleiter aufgefordert wurden, sich zu den Konsequenzen zu äußern. Das dürfte dem Heimleiter allerdings noch schwerfallen, weil er durch die laut Bericht von Wachrambos auf ihn geworfenen eisernen Souvenirs einen Schädelbruch erlitt und daher seine Eindrücke noch nicht so recht ordnen kann. Aber im Prinzip stimmt alles, denn wären die Flüchtlinge nicht in die Notunterkunft in Karlshorst eingewiesen worden, wäre es gar nicht erst zu dem Vorfall gekommen. Dann hätten die Sicherheitskräfte ihren Frust anderswo ablassen müssen, vielleicht in der U-Bahn oder in der Revaler Straße. Es kommt bei Berichterstattungen eben auf das Prinzip an und nicht unbedingt auf die Sachverhalte. – Waldi Drauffzu (29), Körpertrainer, 76846 Hauenstein
Wolfgang Helfritsch