Nun ist er gegangen und lässt uns allein. Doch wenigstens bleiben uns die Lieder, die er zum Abschied auswählte. Klar, das Kirchenlied Martin Luthers von der »festen Burg« war so etwas wie Pflicht für den ehemaligen – zu DDR-Zeiten – evangelisch-lutherischen Pastor und Kirchenfunktionär Joachim Gauck aus Rostock. Allein schon wegen der Wendung »gute Wehr und Waffen«. Immerhin hat er schon vor drei Jahren für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr geworben. Den »alt bösen Feind« gibt‘s ja immer noch, samt all seiner Macht und List.
Wunsch Nr. 2: die »Sieben Brücken« von Karat, die Peter Maffay nachinterpretierte. Über wie viele Brücken Gauck gegangen ist, um schließlich elfter Präsident der Bundesrepublik Deutschland werden zu dürfen, und über welche Untiefen diese führten: wer weiß. Vielleicht erinnerte er sich in diesem Augenblick daran, jedenfalls war er zu Tränen gerührt. Die Fernsehkameras zeigten es hautnah.
»Es war ein Abschied ganz nach Gaucks Geschmack«, schrieb die Frankfurter Neue Presse am Tag danach. Sie hatte ihren Hausdichter zur Feier entsandt: »Wehmut und ein bisschen Nostalgie, aber auch Genugtuung und Zufriedenheit schwebten über dem Park von Schloss Bellevue, als das Stabsmusikkorps der Bundeswehr für Joachim Gauck zum Großen Zapfenstreich aufspielte. Fackelträger säumten den Weg …« 400 Soldaten stark war das Ehrenaufgebot.
Nun fehlt noch der dritte Baustein in diesem Abschiedskonzert, nach Kirchenlied und Pop. Es ist ein Volkslied: »Freiheit, die ich meine«. »Gaucks musikalische Bilanz also – zog sich das Thema Freiheit doch wie ein roter Faden durch die Amtszeit des Protestanten«, schickte tagesschau.de kurze Zeit später, um 1.06 Uhr, die das Geschehen einordnende Botschaft uns in den Schlaf nach. Die Geisterstunde war gerade vorbei.
»Freiheit, die ich meine«, ein Volkslied also, wie alle Welt schrieb. Max von Schenkendorf (1783–1817), Spross aus einer Niederlausitzer Adelsfamilie, Freimaurer, Freiwilliger in den Freiheitskriegen (1813 bis 1815) gegen Napoleon und Teilnehmer der Völkerschlacht bei Leipzig, hat es gedichtet.
»Freiheit, die ich meine, / Die mein Herz erfüllt,
Komm` mit deinem Scheine, / Süßes Engelsbild!«
So beginnt der Text, der mit Vers 14 klangvoll endet:
»Freiheit, holdes Wesen, / Gläubig kühn und zart,
Hast ja lang erlesen, / Dir die deutsche Art.«
Diese »deutsche Art« und die eingängige, volksdümmliche Melodie des Komponisten und evangelischen Geistlichen (sic!) Karl August Groos (1789–1861) – nach der auch das »Pommernlied: Wenn in stiller Stunde« und ebenso Fallerslebens »Abend wird es wieder« gesungen wird – begünstigten die Karriere des Textes, schufen die Basis dafür, dass aus dem politischen Weckruf gegen den französischen Usurpator nach Vereinnahmung im Biedermeier eine Hymne im Dienste der preußischen Vaterlandsliebe wurde, empfohlen für den Schul-unterricht der siebten und achten Klassen, in der Kategorie Vaterlands-, Helden-, Kriegs- und Siegeslieder zum damaligen Bildungskanon gehörend. 1932 fand es sich im »Nationalsozialistischen Volksliederbuch« wieder und 1933 im »SA-Liederbuch«.
Mitte der 1960er Jahre verteidigte pardon den damaligen Bundespräsidenten mit der Schallplatte »Heinrich Lübke redet für Deutschland«. Die Redaktion wollte damit zeigen, »wie wenig Heinrich Lübke die Angriffe von allen Seiten verdient«, eine Satire reinsten Wassers, wie es sich für eine satirische Zeitschrift gehört. Was aber intonierten Chor und Kapelle zum Besuch des zweiten Bundespräsidenten (1959–1969) an einem 17. Juni in Helmstedt auf dieser LP? »Freiheit, die ich meine …«
Und jetzt also, im Deutschland des Jahres 2017, fast genau 200 Jahre nach seinem Entstehen, darf dieses Lied wieder zu uns kommen, beim Großen Zapfenstreich zum Abschied von Joachim Gauck, auf dessen ureigenen Wunsch. Und der scheidende Bundespräsident weinte. Es war zum Heulen.