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Titel717

Bemerkungen

Deutschlehrer Bernd

Ich habe mir die Mühe gemacht, Facebook-Einträge von Björn »Ich heiße nicht Bernd« Höcke am 21. März in der Zeit von 10:40 Uhr bis 10:45 Uhr anzugucken. Zwar wurde ich dauernd aufgefordert, mich zu registrieren (bin nämlich nicht bei Facebook, ich bin Verweigerer), man zeigte aber dennoch einen Eintrag nach dem anderen. Ich habe diese interessanten Formulierungen gefunden:

»Aber das darf nicht der Grund dafür herhalten, die staatliche Ordnung als solche grundsätzlich in Frage zu stellen.« Hm. Darf nicht der Grund dafür herhalten.

 

»Die große Resonanz der AfD ist das herrschende Establishment noch immer ein Rätsel. Deswegen sind die AfD-Anhänger sind ein beliebtes Forschungsobjekt.« Hm. Große Resonanz ist das herrschende Establishment. Sind die AfD-Anhänger sind.

 

»Der Syrer wurde im Saunabereich dabei beobachtet, wie er im Solebecken an seinem Geschlechtsteil manipulierte. Obwohl der Mann von zwei Frauen dabei beobachtet wurde und diese in aufforderten, die Handlungen zu unterlassen, ließ sich der Mann davon nicht abbringen.« Hm. Diese in aufforderten.

 

»Sicherheit ist ein Grundrecht und wir müssen es wieder zur Geltung bringen.« Hm. Vor »und« steht ein Komma, wenn danach ein vollständiger Satz folgt. Mach ich auch immer falsch, weil ich kein Deutschlehrer bin.

 

»Gerade zwei Tage nach dem Berichten über die Waffenfunde in Spanien der türkische Außenminister auf.« Hm. Fehlt da ein Verb? Oder nach »auf« ein Substantiv?

 

»Ein Bündnis einiger religiöser Organisationen rufen zu der Kundgebung am Breitscheidplatz auf.« Hm. Ruft das Bündnis auf? Oder rufen einige Organisationen auf?

 

Also bitte, nicht immer so pingelig. Man weiß doch, was gemeint ist.

 

Beim Bernd weiß man schließlich immer, was er meint.        

 

Matthias Biskupek

 

 

Schöne Wertegemeinschaft

Ach, wie war es ehedem

doch im Kalten Krieg so schön.

Hier der Westen eng vereint,

dort im Osten unser Feind.

 

Heute sieht das anders aus,

wohnt er jetzt im eignen Haus?

Ist nur scharf auf unser Geld,

so, als ob sonst gar nichts zählt?

 

Halt, sagt Merkels Angela,

wir sind uns auch weiter nah,

trinken Weißwein stets zum Fisch

wie es sich gehört bei Tisch.

 

Und auch sonst auf weiter Flur

ist von Feindschaft keine Spur.

Was uns eng verbunden lässt,

ist auch unser Weihnachtsfest.

 

C. T.

 

 

Zwischenrufe

»Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, hat Erich Kästner gedichtet. Im Wahlkampf wird der Spruch abgewandelt. Da lautet er: »Es gibt nichts Gutes, außer man tutet es.« Wahlkampfreden sind Mundwerk.

 

*

 

Unter der Überschrift »Aktionäre bekommen mehr Mitsprache« berichtet die Leipziger Volkszeitung, dass das EU-Parlament eine Richtlinie gebilligt habe, »nach der Anleger künftig über Managergehälter abstimmen können«. Unklar bleibt weiterhin, wann die Wähler über die Bezüge der EU-Parlamentarier abstimmen dürfen.

 

*

 

Die Leipziger Volkszeitung titelt »Wahlrechtsreform ist gescheitert« und schreibt, dass Experten »mit bis zu 700 Abgeordneten« rechnen. Unter den gescheiterten Vorschlägen war der, die Zahl der Wahlkreise zu verringern. Das wird so kommentiert: »Die Deutschen werden sich entscheiden müssen, was ihnen am Ende lieber ist: Wollen sie, dass der örtliche Bundestagsabgeordnete beim jährlichen Sommerfest vorbeischaut – oder verlangen sie ein schlank aufgestelltes Parlament.« Grauenhafte Vorstellung: Sommerfeste ohne Bundestagsabgeordnete!                                        

 

Günter Krone

 

 

Essays über das »Kapital«

Die in dem Band enthaltenen elf Essays sind, wie sein Herausgeber so schön formuliert, Texte »auf mittlerer Flughöhe«, also weder Kaiser-Geburtstags-Artikel noch trockene theoretische Texte. Wer das »Kapital« nur dem Namen nach kennt, wird sie mit Gewinn lesen, und wer sein halbes Leben mit dem immer, und immer wieder, wiederholten Studium des Werks verbracht hat – ebenfalls.

 

Das beginnt schon mit dem Einleitungsessay des Herausgebers über den Nutzen der Marx-Lektüre, der den, selbstverständlich metaphorisch gemeinten Titel »Der Mehrwert der Geschichte« trägt und (auch) das von Marx enthüllte »Geheimnis der Plusmacherei« zum Gegenstande hat. Und der nachfolgende Essay von John Holloway: Nie habe ich eine so aufregend erhellende Analyse des ersten Satzes gelesen, mit dem Marx sein »Kapital« beginnt, wie hier. Nicht, dass ich ihm in allem folgen möchte (schon gar nicht in seinem Verhältnis zur abstrakten Arbeit), aber wie er aus diesem ersten Satz und dessen Verhältnis zum zweiten eine ganze Theorie des Reichtums und der Revolution entwickelt, natürlich mit dem ganzen »Kapital« im Hinterkopf, das ist schon ein Kabinettstück ganz besonderer Art.

 

Wie aktuell die Marx’sche Analyse ist, zeigt auch Elmar Altvater, der den Widerspruch von Natur und Kapital aus dem Doppelcharakter der Arbeit ableitet. Da sind wir immerhin schon bei Punkt zwei von Kapitel eins angelangt. Aber der Band zielt nicht auf eine systematische Darstellung ab. Vieles, was sich auf »mittlerer Flughöhe« nicht abhandeln lässt, bleibt unbetrachtet. Manches wird mehrfach behandelt, etwa die historische Tendenz der Akkumulation von Sahra Wagenknecht und Étienne Balibar, der gleich »drei Endspiele des Kapitalismus« in Szene setzt. Geradezu erratisch nimmt sich dagegen der Beitrag von Hanns-Werner Sinn aus, der ernstlich meint mit dem Unsinn von Jean-Baptiste Say gegen Marx argumentieren zu können; dessen Widerlegung des »Say’schen Gesetzes« ist ihm offenbar nicht bekannt.

 

Wie aktuell selbst die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichenden historischen Analysen von Marx sind, zeigt Wolfgang Streeck in seiner Betrachtung des 24. Kapitels über die ursprüngliche Akkumulation, worin er trocken feststellt, dass die Legende von der Sparsamkeit als Entstehungsgrund des Kapitals hierzulande bis heute fortwirkt, etwa bei jungen Leuten, die Volkswirtschaftslehre studieren und ernsthaft behaupten, der Reichtum der neuen russischen Oligarchen sei »mit rigoroser Zurückhaltung beim persönlichen Konsum« zu erklären. Sehr schöne dialektische Betrachtungen liefert Robert Misiks Aufsatz »Miteinander gegeneinander arbeiten« (über Kooperation) und auch Paul Masons Aufruf »Befreit die Maschinen – denn sie befreien uns« (über die Tendenzen moderner Produktivkraftentwicklung).

 

Etwas schwieriger wird es im Gespräch des Herausgebers mit Michael Quante, in dem es um Entfremdung geht, wie sie einerseits im Zentrum der Marx’schen Frühschriften steht und andererseits unabweisbar Gegenstand im »Kapital« ist, nicht so vordergründig, aber sehr tiefgründig. Und die Darlegungen von David Harvey über »Die schwarze Materie des Kapitals«, nämlich die von ihm so genannte Dialektik von Wert und Anti-Wert, erfordern wirklich das, was Hegel die Anstrengung des Begriffs genannt hat; gut, dass sie in der Reihe der Essays erst an zehnter Stelle (vor den »Endspielen« Balibars) kommen, wenn die Marx’sche Begrifflichkeit durch die vorangegangene Lektüre schon etwas vertrauter ist.

 

Am Schluss seines Einleitungsessays fragt Greffrath nach dem historischen Subjekt einer künftigen Revolution, in deren Ergebnis der Kapitalismus beseitigt sein wird, und er zitiert dazu den französischen Soziologen Pierre Bourdieu: Auf die Frage nach dem Subjekt der Veränderung antwortete dieser schmunzelnd: »Na ja, das sind diejenigen, die es machen.« Fangen wir also wieder an.

 

Thomas Kuczynski

 

Mathias Greffrath (Hg.): »RE. Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert«, Verlag Antje Kunstmann, 240 Seiten, 22 €

 

 

Blamable Zeitgeschichte

»Die Kirschs sind eine Familie mit Berufsverboten«, sagte der Dichter Rainer Kirsch (1934–2015) dem Verleger Joachim Jahns, als dieser für sein Buch »Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge« per Gespräch und in Archiven recherchierte. Kirsch meinte damit seinen Vater, den Literaturwissenschaftler Edgar Kirsch (1903–1978) nach 1945, sich selbst nach seinem Rauswurf aus der Universität Jena in den fünfziger Jahren und seinen Bruder Wolfgang Kirsch (1938–2010) nach 1992. Jahns ist einer interessanten Familie biographisch auf der Spur, zu der zeitweise auch Sarah Kirsch (1935–2013) gehörte. Jahns präsentiert Briefe und Dokumente.

 

Die Geschichte der verschiedenen Berufsverbote belegt deutsche Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert an konkreten Fällen. Besonders gründlich stellt der Autor das jüngste Verfahren, die Vorkommnisse um den Latinisten Wolfgang Kirsch an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dar. So ging es direkt nach der Wende darum, den verdienstvollen Universitätsprofessor und Sektionsdirektor abzuberufen. Dabei mitzuwirken, waren sich einige seiner Kollegen, die Jahns namentlich nennt und in ihrem Werdegang beschreibt, nicht zu schade. Weder fachliche Kompetenzen noch internationales Ansehen wurden befragt. Das Ganze diente einzig dazu, einen »staatstreuen« Mann so schnell wie möglich zu »entsorgen«. Wolfgang Kirsch, der darunter gelitten hat, hat die Dokumente hierzu aufgehoben und Jahns machte daraus das Buch, das minutiös blamable Zeitgeschichte festhält.

 

Christel Berger

 

Joachim Jahns: »Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge«, Dingsda-Verlag, 224 Seiten, 24,99 €, Bestellungen an: dingsda-verlag@t-online.de

 

 

Unsere Zustände

Wenn sich das, was wir jetzt haben, als Demokratie bezeichnet, dann möchte ich keine.

 

*

 

Die Zeit ist nicht mehr fern, wo moderne Forscher weibliche und männliche Roboter erfinden, die selber kleine Roboter zeugen können. Und was wollen wir dann noch?

 

*

 

Die meisten, die mit mir Umgang haben, sagen: »Er schreibt Bücher. Aber sonst ist es ein guter Kerl.«

 

Wolfgang Eckert

 

 

 

Schatzkästlein des Widerstands

Kalendergeschichten – das war dereinst neben der Bibel und dem Gesangbuch die Zeitung für das ganze Jahr. Später, als Bücher weniger rar geworden waren, erhob sie Johann Peter Hebel mit seinem »Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes« zur literarischen Kunstform. Hebels heitere, meist versöhnlich stimmende Texte, die ein Einverständnis mit den bestehenden Verhältnissen suggerieren, seine Volksweisheiten, die in ein mildes Lächeln münden, im Humor, der letztlich rät, sich zu fügen.

 

Die neuen »Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers« Erasmus Schöfer sind keine erbaulichen Miniaturen dieser Art, sie sind fünfzig Beispiele des Widerstands, die beweisen, dass Gegenwehr möglich, ja nötig ist. Kalendergeschichten brauchen keinen langen Atem, es reichen ein, zwei Seiten, um zu schildern, was ist, ironisch. Mit volkstümlicher Anekdotenhuberei hat das nichts zu tun. Schöfers Kalendergeschichten stammen meist aus den letzten achtzig Jahren, einige sind älter und wohlbekannt wie die der Lysistrata (heute gibt es Frauen, die ohne Widerwillen zur Bundeswehr gehen). Manchmal sind es nur Nadelstiche oder harmlose, aber widerständige Worte, wie sie der Kommunarde Fritz Teufel fand, als er sich vor dem Richter erhob mit der Bemerkung: »Wenn`s der Wahrheitsfindung dient.« Oder unerschrockene Handlungen, wie die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld dem NSDAP-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) verabreichte. Mal sind die Handlungen symbolhaft oder zielgerichtet destruktiv wie die Zerstörung militärischer Einrichtungen durch Unbekannte.

 

Der Widerstandsforscher vermag sich über alles zu freuen. Wenn einer der Mutigen in der Sowjetunion gegen die Vorschriften verstieß und damit einen Atomkrieg verhinderte – es gibt Fehl-alarme –, denken wir heute an diesen Präsidenten T., und unser Erschrecken ist groß.

 

Manche Geschichten sind erschütternd. So der Lebenslauf des kommunistischen Lehrers Wilhelm H. aus Hessen. Er kam ins KZ Buchenwald und unterrichtete dort jüdische Kinder. Er rettete sie dadurch, dass er ihnen einschärfte, sie sollten sich als Ungarn ausgeben. Nach 1945 wurde er nach Dachau verschleppt und traf dort auf seine früheren Verfolger, wurde mit ihnen zusammen eingesperrt. Später erreichten Freunde durch Dokumente, die seinen Widerstand bewiesen, seine Freilassung.

 

Was ist ein »Lappenholer«? Es ist die letzte Kalendergeschichte des Bandes (Vorabdruck s. Ossietzky 12/2014). Vom jungen Griechen, der mit seinem Schulfreund im Frühjahr 1941 nachts die große Hakenkreuzfahne von der Akropolis herunterholte. Die deutschen Besatzer suchten lange nach den beiden. Der Schluss der Geschichte und des Büchleins: »Sie sind aber nicht gestorben und leben heute noch.«

 

Und wie! Denn damit muss die erste Geschichte des hoffentlich bald zweiten Bandes der Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers beginnen: Wie 72 Jahre später der nunmehr neunzigjährige Lappenholer Manolis Glezos dem staatsbesuchenden Bundespräsidenten Gauck gegenübertrat, der Reue über die deutschen Massaker an den Griechen heuchelte und in unserem Namen unerbittlich jede Wiedergutmachung verweigerte.

 

In früheren Zeiten waren Hebels Kalendergeschichten selbstverständlicher Bestandteil des Deutschunterrichts. Auch wenn Gauck inzwischen gegangen ist, unseren Kindern täten in den Schulen die wahren Geschichten des Widerstandsforschers vom Rhein gut.

 

 Monika Köhler

 

Erasmus Schöfer: »Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers«, Verbrecher Verlag, 140 Seiten, 12 €

 

 

»Meine Russen«

Schon dieser Titel macht neugierig. Die Autorin und Regisseurin Ingrid Poss war im DDR-Fernsehen verantwortlich für die Berichterstattung über das Medium Film (»Treffpunkt Kino«). Dem historischen Umbruch in der Sowjetunion wollte sie dann selbst einen Dokumentarfilm widmen. Zu ersten Aufnahmen flog sie 1992/93 nach Osten, besuchte in Moskau den Regisseur Sergei Schpakowski, in Riga den Kameramann Anatol Pjatkin und in Bischkek den Regisseur Bolot Schamschijew. Diese Personen stehen nicht nur exemplarisch für die Kunstschaffenden, sondern auch für die gesamte Bevölkerung auf dem Gebiet der zerfallenen UdSSR. Doch aus dem Filmmaterial wurde kein Film, man schrie in diesen Jahren »Go West!« und nicht »Go East!«. Das Projekt bekam keine Filmförderung – das »Aus« für diesen Dokumentarfilm.

 

Aus dem dokumentarischen Rohmaterial sowie ihren Tagebüchern von 1992, 1993 und 2008 ist nun ein Buch entstanden. Neben den persönlichen Erlebnissen der Autorin geht es auch um die Frage, wie es Russland, Lettland und Kirgisistan und seinen Bewohnern seit dem Ende der Sowjetunion ergangen ist. Poss zitiert – typisch für die Dokumentaristin –, fügt die Erfahrungen anderer, so von Gerd Ruge, Gabriele Krone-Schmalz und Peter Scholl-Latour, in getrennten Kapiteln dem Buch bei und macht so Stimmungen und Wertewandel auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR erfahrbar. Im Vorwort schreibt Matthias Platzeck, Ministerpräsident a. D. und Vorsitzender des Deutsch-Russisches Forums: »Entstanden ist eine Collage, die mit ihrem nicht selten lakonisch-bissigen Humor und der Schärfe mancher Zitate die Augen öffnet. Lesenswert in Zeiten einer zerrissenen Welt, in der Kenntnisse über unterschiedliche Kulturen, Lebensweisen und Empathien von außerordentlicher Wichtigkeit sind.«

 

Karl-H. Walloch

 

Ingrid Poss: »Meine Russen. Lebensläufe aus dem Umbruch«, Eulenspiegel Verlagsgruppe – Neues Leben, 304 Seiten, 19,99 €

 

 

Zuschriften an die Lokalpresse

Die Berliner Morgenpost verkündete im März stolz, die Charité habe im Haushaltsjahr 2016 einen Überschuss von 3,8 Millionen Euro bei Gesamterträgen von rund 1,3 Milliarden Euro erzielt. Die Klinikleitung und der Wirtschaftssenator, der in seiner Freizeit in Personal-union zugleich als Regierender Bürgermeister Berlins und als Aufsichtsrat des Klinikums fungiert, bezeichneten das stolz als »bemerkenswertes Ergebnis« und nannten das Klinikum das »gesundheitswirtschaftliche Flaggschiff der Stadt«. Da frage ich mich allerdings, woher der Überschuss kommt und ob es das Ziel einer Klinik sein kann, ein finanzielles Plus zu erwirtschaften. Es ist sicher anzuerkennen, dass die Charité auf Wachstumskurs ist und große Bauvorhaben im Kosten- und Zeitlimit »bei laufendem Betrieb« bewältigte, was sie von den negativen Rekordmarken der meisten anderen hauptstädtischen Langzeitprojekte deutlich unterscheidet. Dass jedoch die durchschnittliche »Verweildauer« der Patienten erneut gesenkt werden konnte, scheint mir nicht unbedingt ein positives Markenzeichen zu sein – aber man ist ja kein Fachmann und hätte gern noch etwas mehr über die Kriterien für Klinikrentabilität erfahren. – Linus Düsterweg (73), freischaffender Analyst, 13587 Berlin-Hakenfelde

 

*

 

Am 22. März berichtete die Berliner Morgenpost stolz, das Berliner SEK habe »in Neukölln eine Familienauseinandersetzung unblutig beendet«. Dazu war eine Hundertschaft samt Psychologen angerückt, die die Umgebung des Wohnhauses abgesperrt und den Verkehr im Kiez stillgelegt hatte. Aber nicht immer verlaufen derartige Einsätze so glimpflich. Als der Mord von Kreuzberg dieser Tage aufgeklärt wurde, schnappte sich das SEK erstmal einen Verdächtigen, der dummerweise auch grauhaarig und zufällig auch Belgier war und sich wunderte, als seine Wohnung gestürmt, er ins Gesicht geschlagen, als »Arschloch« betitelt und in Fesseln gelegt wurde. Solche Kollateralschäden sind allerdings nicht zu vermeiden, dazu ist das Leben zu bunt, und die Ähnlichkeiten sind vielfältig. Ich kann mich auch erinnern, dass schon mal ein angenommener Täter durch die geschlossene Wohnungstür versehentlich erschossen wurde. Ähnliche Vorfälle sollen sich auch in den USA zugetragen haben. Da muss man als Bürger schon hart verpackt sein, wenn einem so eine Verwechslung widerfährt. Nun frage ich mich, wie man unbescholtene Bundesbürger vor solchen Irrtümern schützen und die Einsatzleitungen vor peinlichen Entschuldigungen bewahren kann. Sollte man Häuser oder wenigstens Wohnungen von außen mit Plaketten versehen, die sie als »Gefährdungsfreies Ensemble« kennzeichnen? Oder gehören biometrische Fotos, wie man sie auf Personaldokumenten oder Krankenversicherungskarten verwendet, zur behördlichen Kontrolle auf jeden Briefkasten? Oder Überwachungskameras in jede Sanitärzelle? – Wiebke Mehlhorn-Leidenfrost (41), Mediatorin, 51766 Engelskirchen     

 

Wolfgang Helfritsch