Es ist eine Schande: Von deutschem Boden geht wieder Krieg aus, obwohl das vereinigte Deutschland den Völkern der Welt feierlich geschworen hatte, dass es – außer zur Verteidigung – keine seiner Waffen jemals einsetzen würde. Solcherart Beliebigkeit im Umgang mit den Verpflichtungen, die uns unser Grundgesetz sowie das Völkerrecht auferlegen, demonstriert, wie weitgehend sowohl der politischen Nomenklatura als auch den militärischen Führungskadern Rechtsbewusstsein und Gesetzestreue sowie Anstand und Moral abhandengekommen sind. Nicht zuletzt dies markiert die Tragik der Demokratie unserer Tage, denn die überwältigende Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen fordert eine völlig andere, nämlich auf Frieden und Gerechtigkeit ausgerichtete Politik.
Deutsche Soldaten in Globalisierungskriegen
Paul Celans berühmte Todesfuge »Der Tod ein Meister aus Deutschland« ist von brisanter Aktualität. Vergessen ist der pazifistische Grundkonsens, zu dem die Bonner Republik nach dem Zweiten Weltkrieg gefunden hatte: »Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg!« Vergessen ist offenbar auch, was der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann der Bundeswehr – und jenen, die über ihren Einsatz entscheiden – dereinst ins Stammbuch schrieb, nämlich: »Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, [...] sondern heute ist der Frieden der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.« Und längst endgelagert in den untersten Flözen der Geschichte ist Franz-Josef Strauß‘ Schwur aus den Gründertagen der Bundesrepublik, dass jedem Deutschen, sollte er jemals wieder ein Gewehr anfassen, der Arm verdorren möge.
Statt dessen gab der SPD-Kanzler Gerhard Schröder seine Parole von der »Enttabuisierung des Militärischen« aus, gemäß der dann die Bundeswehr entsprechend den NATO-Vorgaben – präziser: auf Kommando der US-amerikanischen Imperialmacht – ganz zielgerichtet einem »Transformationsprozess« unterzogen und zur »Einsatzarmee« umgebaut wurde. Im Klartext heißt das, Deutschland hat sich Interventionsstreitkräfte zugelegt, die direkt (wie in Jugoslawien 1999 oder Afghanistan 2001) oder indirekt (wie im Falle des völkerrechtlichen Verbrechens gegen den Irak und seine Menschen 2003) auch für völkerrechts- und grundgesetzwidrige Angriffskriege Gewehr bei Fuß stehen.
Damit einhergehend wurden die in der Charta der Vereinten Nationen kodifizierten Einschränkungen des Rechts zur militärischen Gewaltanwendung immer weiter ausgehöhlt – tatkräftig unterstützt durch das Bundesverfassungsgericht! Gerade die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien missbrauchen ihre Streitkräfte immer häufiger für Einsätze, die mangels völkerrechtlicher Mandate entweder keine hinreichende oder gar keine Rechtsgrundlage haben. In besorgniserregender Weise entwickelte sich ein global ausufernder militärischer Interventionismus. Nahezu unisono konstatiert die politische Klasse dieser Republik – konterkariert allenfalls von der oppositionellen Linkspartei –, dass Deutschland »keinen Sonderstatus« mehr beanspruchen könne. Von der Nation werde fortan erwartet, vermehrt »internationale Verantwortung« zu übernehmen. Darüber hinaus wird proklamiert, dass eine solche »Friedensmacht, die seit langem für Ausgleich und internationale Hilfe« sorge, historisch nunmehr als unbelastet zu gelten habe. Mit derlei Worthülsen versucht die politische Klasse, die unrühmlichen Etappen vor allem der jüngeren deutschen Vergangenheit hurtig zu entsorgen. Doch kann die Bundesrepublik Deutschland nur im Bewusstsein der deutschen Geschichte ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Eine Erkenntnis, die zwingend eine »Kultur der Zurückhaltung« beim militärischen Agieren in der internationalen Politik fordert. Indes handeln die schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu der Maxime: Frieden schaffen mit aller Gewalt. Propagandistisch verbrämt wird diese Politik mit ideologischen Begriffen wie »Politischer Pazifismus«, »Krieg gegen den Terrorismus«, »Humanitäre Intervention« oder auch »Responsibility to Protect«. De facto handelt es sich bei derlei militärischen Aktivitäten jedoch lediglich um ordinäre Globalisierungskriege im Interesse des Clubs der Reichen.
Deutsche Waffen für Angriffskriege und Völkermord
Unterfüttert wird die Politik des »enttabuisierten Militärischen« durch den massiven Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern. Als Sigmar Gabriel noch SPD-Vorsitzender und in der Opposition war, bezeichnete er es völlig zu Recht als »eine große Schande« für Deutschland, dass dieses Land zu einem der größten Rüstungsexporteure der Welt geworden und die Regierung ein »Helfershelfer für die Aufrüstung von Diktaturen« geworden sei. Als Vizekanzler in der Großen Koalition und Wirtschaftsminister sorgte er dann dafür, dass das Multi-Milliarden-Geschäft für die Rüstungsindustrie munter weiter brummte. Dabei verbietet das Kriegswaffenkontrollgesetz den Export militärischer Ausrüstung und Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete. Das ließ diverse Bundesregierungen jedoch nicht im geringsten davor zurückschrecken, massenhaft Pistolen, Sturmgewehre, Maschinenpistolen und -gewehre bis hin zu Mörsern und Panzerabwehrlenkraketen sowie Kampfpanzer und modernste Artilleriegeschütze aus deutscher Produktion weltweit an Abnehmer auch in Krisen- und Kriegsgebieten zu verteilen. Selbst Atomwaffenträgersysteme in Gestalt deutscher U-Boote werden bedenkenlos in das nahöstliche Kriegsgebiet – konkret nach Israel – geliefert, obwohl keine Kriegswaffen in Länder geliefert werden dürfen, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder in denen der Export eventuelle Konflikte verschärfen könnte. Offiziell gilt im Ausfuhrkontrollrecht zudem die Einschränkung, dass die Rüstungsexporte in Krisengebieten »weder konfliktverstärkend wirken noch zu internen Repressionen oder anderen erheblichen Menschenrechtsverletzungen beitragen« dürfen.
Und ungeniert betrachtet man im Kanzleramt die Menschenrechtsverbrecher und Terrorunterstützer in Saudi-Arabien als strategisch wichtige Verbündete, wenn dies nur möglichst viele Arbeitsplätze und dicke Konzernprofite garantiert. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat jedoch bereits vor Jahren geurteilt, dass die Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt wiederum selbst ein völkerrechtliches Delikt darstellt. Analog hierzu lässt sich schlussfolgern, dass, wer sich mit einer feudalistisch-islamistischen Verbrechern verbündet, selbst kriminell ist – in diesem Falle: regierungskriminell.
Dies erweist sich auch im aktuellen Fall unserer Tage, nämlich dem völkermörderischen Angriff der Türkei auf die kurdische Bevölkerung im Norden Syriens und Iraks. Tag für Tag beweisen hier Spitzenprodukte der deutschen Rüstungsindustrie, vom Kampfpanzer Leopard II der Firma Krauss-Maffei-Wegmann bis zum berühmten Sturmgewehr G3 von Heckler&Koch, ihre Leistungsfähigkeit und bescheren dem Tod aus Deutschlands Waffenschmieden reiche Ernte. Dabei spielt es offensichtlich keine Rolle, dass der als strategisch unverzichtbar geltende NATO-Partner hier einen glasklar völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt – wiewohl frei nach Kurt Tucholsky mit Fug und Recht zu konstatieren ist: Türkische Soldaten sind Mörder! Sagte ich Mörder? Ja, denn jeder Soldat, der in einem bewaffneten Konflikt ohne die zwingend erforderliche völkerrechtliche Grundlage andere Menschen tötet, tut dies illegal, und letzteres wiederum nennt man gemeinhin Mord.
Dass deutsche Waffen äußerst effektiv den systematisch betriebenen Mord am kurdischen Volk unterstützen, entspricht bundesdeutscher Tradition. Bereits in den 1980er Jahren dienten Rüstungsgüter aus deutscher Produktion dazu, Abertausende kurdischer Dörfer im Osten Anatoliens dem Erdboden gleichzumachen, Hundertausende Kurden aus ihrer angestammten Heimat zu vertreiben, Tausende kurdischer Männer, Frauen und Kinder zu verstümmeln und zu ermorden, während die NATO-Befehlshaber in Brüssel schweigend dem Treiben zusahen. In den neunziger Jahren dann ergänzten Beutewaffen aus NVA-Beständen das Arsenal der Völkermörder in Ankara, während wiederum alle Proteste einer entsetzten und angewiderten Öffentlichkeit an ihren Unterstützern auf den Regierungssesseln hierzulande abprallten. Angesichts dieser Praxis fortgesetzten Rechtsbruchs erscheint es als Hohn, wenn im aktuellen »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« zu lesen ist, dass »die Proliferation von Kleinwaffen auf globaler Ebene bekämpft werden [soll]« und dass »[w]irksame Rüstungskontrolle, Transparenz und Vertrauensbildung sowie eine restriktive Rüstungsexportpolitik Voraussetzung, Mittel und Grundlage friedlicher Streitbeilegung und Abrüstung [bleiben]«.
»Gezieltes Töten« mit deutscher Beteiligung
Als wären deutsche Soldaten und deutsche Waffen für die Kriege der Welt nicht schon genug, illustriert noch ein weiteres Handlungsfeld den erbärmlichen Zustand bundesdeutscher Friedenspolitik, nämlich die Beteiligung unseres Landes am »Krieg gegen den Terror«, zu dem 2001der damalige US-Präsident George W. Bush im Jahre aufrief. Seitdem stellt neben den Killerkommandos des »Joint Special Operation Command‘s« der massenhafte Einsatz von Morddrohnen das längst nicht nur von der »einzigen Weltmacht« präferierte Instrument im »Global War on Terror« dar. Dabei liefert der aus fernab des Kriegsschauplatzes in den USA gelegenen, unangreifbaren Gefechtsständen gesteuerte, feige und verheerende Drohnenkrieg ein schlagendes Beispiel dafür, wie hoffnungslos kontraproduktiv sich der Versuch auswirkt, Frieden statt mit immer weniger Waffen mit aller Gewalt schaffen zu wollen, indem er sich nämlich als »Terrorzuchtprogramm« manifestiert. Auch nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump hat sich am Grundprinzip des »Targeted Killing’s«, des »Gezielten Tötens«, nichts Wesentliches geändert – im Gegenteil: »Eine neue Leitlinie unter Präsident Donald Trump besagt, dass die USA – am Boden und aus der Luft – öfter und härter zuschlagen sollen.«
An diesem sogenannten »Krieg gegen den Terror« beteiligt sich auch die Bundesrepublik Deutschland von deutschem Territorium aus unter fortwährendem Bruch des Grundgesetzes teils mittels stillschweigender Duldung, teils auch mittels aktiver Unterstützung. Zum einen betrifft dies den unter demokratiepolitischen Aspekten skandalösen und völlig inakzeptablen Einsatz des »Kommandos Spezialkräfte (KSK)« der Bundeswehr, welcher der vom Bundesverfassungsgericht in seiner fundamentalen Entscheidung vom 12. Juli 1994 obligatorisch geforderten wirksamen Kontrolle durch das Parlament und erst recht durch die Öffentlichkeit praktisch entzogen ist, wodurch dieser Teil der vorgeblichen Parlamentsarmee de facto zur Exekutiv- oder vielmehr noch zur Exekutions-Truppe der Bunderegierung mutiert.
Zum anderen bestehen keinerlei Zweifel mehr daran, dass die Bundesrepublik Deutschland, wie die Bundesregierung sich aufgrund bohrender Nachfragen im Bundestag mittlerweile genötigt sah einzuräumen, auch den von den USA weltweit geführten Drohnenkrieg auf vielfältige Weise unterstützt. Den diesbezüglichen Sachverhalt auf den Punkt gebracht hat der frühere Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele mit seiner Strafanzeige beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Darin heißt es: »[W]egen Mitwirkung – auch durch strafbares Unterlassen – oder sonstige Beteiligung an der Steuerung des tödlichen Einsatzes von US-Kampfdrohnen in asiatischen, afrikanischen und arabischen Ländern aus und über den US-Stützpunkt in Ramstein erstatte ich Strafanzeige wegen aller in Betracht kommenden Delikte, insbesondere Tötungsdelikte, gegen alle in Frage kommenden Tatverdächtigen aus den USA und Deutschland.« Den seiner Anzeige zugrundeliegenden Sachverhalt erläuterte Ströbele folgendermaßen: »Die USA lassen mithilfe ihrer Militär-Basis in Ramstein Pilotenteams von Armee und CIA Kampfdrohnen steuern. Die Verantwortlichen haben so bei weltweiten Angriffen […] Hunderte Menschen gezielt oder vorsätzlich – weil deren Tod billigend in Kauf nehmend – getötet. Die US-Basis Ramstein in Deutschland ist aus verschiedenen Gründen wichtig für diesen Drohneneinsatz […]«
Ungeachtet ihrer ans Licht gekommenen Verwicklung in die völkerrechtsverbrecherische US-Politik sieht die Bundesregierung nicht die geringste Veranlassung für eine Änderung ihrer bisherigen Politik der Teilhabe am »gezielten Töten«. Solange die Verantwortlichen rechtliche Konsequenzen für ihre regierungskriminellen Machenschaften nicht zu gewärtigen haben, wird das völkerrechts- und zugleich verfassungswidrige »Targeted Killing« auch von deutschem Boden aus weitergehen.
Forderungen an eine zukunftsweisende Friedenspolitik
Aus der verheerenden friedenspolitischen Bilanz unseres Landes gilt es, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Zuallererst muss eine Rückbesinnung auf das Friedensgebot im Grundgesetz und die bewährte »Kultur der Zurückhaltung« beim militärischen Agieren in der internationalen Politik erfolgen.
Es muss Schluss sein mit den uferlosen Rüstungsexporten an jeden, der zahlt oder angeblich strategisch unverzichtbar ist. Wenn sich schon nicht sämtliche Rüstungsexporte verhindern lassen, weil heutzutage komplexe Waffensysteme oftmals multinational entwickelt und produziert werden, ist zumindest auf strikten Endverbleibsklauseln und Auflagen für den vertragskonformen Einsatz der gelieferten Rüstungsprodukte zu bestehen.
Die als NATO bekannte transatlantische Allianz von Interventions- und Angriffskriegern muss umgehend – besser gestern als morgen – auf dem Schutthaufen der Geschichte entsorgt werden.
Schlussendlich muss angesichts des im Rahmen der Europäischen Union beschlossenen Projektes einer »Europäischen Verteidigungsunion« – welches grundsätzlich im existentiellen Interesse Europas liegt, da es gilt, eine tragfähige sicherheitspolitische Alternative gegen die US-amerikanische Form von Amok-Politik zu entwickeln – Sorge dafür getragen werden, dass daraus nicht wiederum eine verengte militärischen Sichtweise entspringt, die in der Folge nach dem Muster USA jedes politische Problem als Nagel definiert, bloß weil Europa nun über einen schlagkräftigen militärischen Hammer verfügt. Deshalb gilt es, andere Stärken der Europäischen Union auszubauen, nämlich geduldige Diplomatie, multilaterale Konfliktlösung, Stärkung der Vereinten Nationen, kurzum: mühsame Friedensarbeit. Letzteres bedingt zwingend, dass die Europäische Union als Völkerrechtssubjekt den völkerrechtlichen Status der Neutralität erklärt und einnimmt. Für eine auf den Status »immerwährender Neutralität« verpflichtete »Europäische Verteidigungsunion« kann somit lediglich ein militärisches Residualpotential als legitim erscheinen. Aus bitterer historischer Erfahrung klug geworden hat das alte Europa vor allem der Maxime zu folgen: »Frieden schaffen mit möglichst wenigen Waffen«. Wenn der deutschen und der europäischen Öffentlichkeit an einem solchermaßen konzipierten Projekt einer neutralen und unparteiischen Friedensmacht Europa gelegen ist, die sich auf den langen Marsch zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Universalismus begibt, so scheint sie zweifelsohne gut beraten, die Vision einer »Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion« ständig kritisch, fast möchte man sagen: misstrauisch zu begleiten.
Auszug aus Jürgen Roses Ostermarschrede in Oldenburg am 31. März. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung Darmstädter Signal.