Am 22. März unternimmt das katalanische Parlament in Barcelona den dritten Versuch, einen Regionalpräsidenten zu wählen. Vorgeschlagen ist der Jurist Jordi Turull. Aufgestellt haben ihn der Junts per Catalunya (JuntsxCat) und die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC). Die Candidatura d’Unitat Popular (CUP) verlangt von den beiden Koalitionspartnern größere Schritte in Richtung einer katalanischen Unabhängigkeit, nicht nur symbolische. Wenige Minuten vor dem Wahlgang verlässt die CUP mit ihren vier Stimmen das Bündnis. Damit entscheidet sie über die Wahl. JuntsxCat und ERC haben keine absolute Mehrheit. Stunden zuvor hat der Oberste Gerichtshof in Madrid neben Jordi Turull fünf Befürworter der Unabhängigkeit von Spanien zum 23. März einbestellt.
Mit einer raschen Wahl Turulls sollte, so Parlamentspräsident Roger Torrent (ERC), die Absicht des Gerichts unterlaufen werden, ihn in Haft zu nehmen. Bereits im Dezember hatte Turull mehrere Wochen in Untersuchungshaft gesessen, war aber durch Kaution freigekommen. Der 1966 geborene Jurist gehört seit 2006 dem katalanischen Parlament an und ist Mitglied des JuntsxCat. Seit seiner Jugend ist er ein überzeugter Befürworter eines unabhängigen Kataloniens. Ungewöhnlich gemäßigt ist seine Vorstellungsrede im Parlament. König Felipe VI. und der Zentralregierung in Madrid bietet er einen Dialog an.
Sorgen haben auch die ehemalige Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira. Während Forcadell ihr Abgeordnetenmandat niederlegt, flieht Rovira in die Schweiz.
Die Anklageschrift, die Richter Pablo Llarena am 23. März verliest, besteht aus massiven Anschuldigungen. Dreizehn Katalanen werden wegen Rebellion angeklagt, unter ihnen Carles Puigdemont, Jordi Turull, Carme Forcadell, Josep Rull, Dolors Bassa und Raül Romeva. Weitere Anklagen lauten auf Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel. Damit ist der Haftbefehl gegen Puigdemont wieder aktiviert. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft lässt Richter Pablo Llarena die vorgeladenen Politiker Turull, Forcadell, Rull, Bassa und Romeva mit der Begründung »Flucht- und Wiederholungsgefahr« ins Gefängnis sperren.
Das Parlament in Barcelona vertagt sich am 22. März auf den 24. März für einen weiteren Wahlgang mit Jordi Turull als Kandidaten. Es genügt nun für die Wahl die einfache Mehrheit. Durch die Niederlegung der Mandate und die fehlenden vier CUP-Stimmen wird sie verfehlt.
Gelingt es dem Parlament nicht, einen Nachfolger für Carles Puigdemont zu wählen, wird das Parlament aufgelöst, und es kommt zu Neuwahlen. Man kann heute davon ausgehen, dass im Juli neu gewählt wird. Ohne eine neue katalanische Regionalregierung bleibt der Artikel 155 der spanischen Verfassung in Kraft, mit der Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine Partido Popular seit Oktober 2017 Katalonien regieren.
Am 25. März wird Puigdemont auf einem Parkplatz der A 7 auf Grund eines Europäischen Haftbefehls verhaftet. Spanische Tageszeitungen berichten, die Ermittlungen führten die Policía Nacional und der Geheimdienst Centro Nacional de Inteligencia (CNI): zehn Polizisten einer Sondereinheit und zwölf CNI-Beamte. Dank eines Peilsenders seien sie immer bestens über Puigdemonts Aufenthaltsort informiert gewesen. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) weiß seit dem 24. März Bescheid. Die Information sei vom spanischen Verbindungsbeamten, der seinen Arbeitsplatz im BKA hat, gekommen. Justizministerin Katarina Barley, Außenminister Heiko Maas, Kanzleramtschef Helge Braun und der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Hans-Georg Engelke, telefonieren miteinander und sind sich einig, dass es keine politische Einmischung geben dürfe. Mit dieser Entscheidung ist Madrid zufrieden.
Auch für die ehemalige katalanische Bildungsministerin Clara Ponsatí wird am 23. März ein EU-Haftbefehl ausgestellt. Sie lehrt heute als Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von St. Andrews in Fife, Schottland. Gewählt am 21. Dezember 2017 als Abgeordnete der Koalition Junts per Catalunya, ist sie wegen Rebellion angeklagt und wird einen schottischen Richter zur Anhörung aufsuchen. Drei ehemalige Mitglieder der Regierung Puigdemonts, Antoni Comín (Gesundheit), Lluís Puig (Kultur) und Meritxell Serret (Landwirtschaft), leben heute in Belgien im Exil. Die belgischen Behörden sehen keinen Grund, die Politiker in Gewahrsam zu nehmen.
Die Festnahme Puigdemonts und die Überstellung in die Haftanstalt Neumünster mobilisiert am 25. März den Protest in Barcelona und in ganz Katalonien. Demonstranten blockieren in Barcelona die EU-Vertretung, das Konsulat der Bundesrepublik sowie Autobahnen und Landstraßen.
Die spanische Vize-Regierungschefin und kommissarische Regierungschefin von Katalonien, Soraya Sáenz de Santamaría, bezeichnet Puigdemonts Festsetzung als »eine gute Nachricht«. Auch der Oppositionsführer, der Sozialist Pedro Sánchez, verteidigt die Festnahme: »Niemand steht über dem Gesetz. Auch die Politik muss sich innerhalb der Verfassung bewegen.« Kritik kam vom Generalsekretär Pablo Iglesias der Partei Podemos: »Die Krise in Katalonien wird nicht mit Verhaftungen und Gefängnis gelöst.«
Der festgenommene frühere katalanische Präsident Carles Puigdemont bleibt vorerst in deutschem Gewahrsam. Das Amtsgericht in Neumünster spricht nach einem Haftprüfungstermin eine Festhalteanordnung aus. Eine schnelle Entscheidung, ob Puigdemont nach Spanien ausgeliefert wird, werde es nicht geben, so der leitende Oberstaatsanwalt Güntge. Vielleicht noch im April werden wir sehen, ob Carles Puigdemont ausgeliefert wird oder nicht.
Von einer Reihe spanischer und internationaler Juristen wird das harte Durchgreifen der spanischen Justiz kritisiert. Der UNO-Menschenrechtsausschuss in Genf hat am 22. März eine Beschwerde Puigdemonts wegen »Verstoß gegen die politischen Rechte in Spanien« angenommen.
Es war die Regierung Rajoy, die den Konflikt eskalieren ließ. Bei einer Auslieferung würde der Konflikt weitergehen, auch würde diese Entscheidung gegen einen Grundsatz des EU-Auslieferungsrechts verstoßen: keine Auslieferung bei politischen Straftaten. Eine Nichtauslieferung würde die angespannte Situation in Katalonien beruhigen.