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Italien: Nach der Wahl ist vor der Wahl  (Susanna Böhme-Kuby)

Stimmenmäßig gesiegt haben am 4. März bei den Parlamentswahlen in Italien bei gut 75 Prozent Wahlbeteiligung drei politische Minderheiten, die nicht allein regieren können und sich miteinander mehr als schwertun. Die Lage ist um einiges komplizierter als die vor einem halben Jahr in Deutschland.

 

Stärkste politische Einzelkraft mit fast 33 Prozent ist die 5-Sterne-Bewegung unter Luigi Di Maio, ihrem 31-jährigen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Doch keine der anderen Parteien will eigentlich mit ihr koalieren; die Bewegung galt immer schon als politisch schwer berechenbar. Seit ihren Anfängen unter Beppe Grillo versucht das Establishment, die über das Internet organisierte Protestbewegung auszugrenzen. Daher gibt man nun sogar der Lega freie Hand, das Ruder zu übernehmen, denn unter ihrem neuen Anführer Matteo Salvini hat sie sich von der Nord-Partei, die einst »Padanien« vom Rest des Landes abspalten wollte, »national« gemausert und mit 17 Prozent landesweit ausgebreitet. Die Lega hat innerhalb des Rechtsbündnisses, das mit insgesamt 37 Prozent die meisten Stimmen erhielt, die Forza Italia Berlusconis (noch 14 Prozent) überholt, was dieser Wiederauferstandene nicht oder nur schwer verwinden kann.

 

Mit nur noch 18 Prozent Zustimmung ist die bisher führende Kraft der letzten Jahre, der Partito Democratico von Matteo Renzi, zur dritten Minderheit geschrumpft. Auch nach Renzis Rücktritt vom Parteivorsitz fühlt sich die einstige »Linke« nun abgewählt und damit in der Opposition, obwohl einige doch noch hoffen, eventuell Zünglein an der Waage bei einer Regierungsbildung sein zu können. Letzte radikale und kommunistische Gruppierungen, die sich ad hoc erst kurz vor der Wahl zusammenfanden, haben wenig Zuspruch erhalten, zusammen nur noch etwa fünf Prozent. Der große Protest der Wähler Italiens manifestierte sich quer durch alle Schichten in Stimmen für die 5-Sterne, die vor allem den Süden erobern konnten, der seit Jahren von wirtschaftlicher Entwicklung abgehängt ist. Last but not least mit dem Versprechen, der dort überwiegend arbeitslosen und armen Bevölkerung endlich – wenn schon keine Arbeitsplätze – so doch eine allgemeine Unterstützung zu gewähren: ein sogenanntes Bürgergeld (reddito di cittadinanza), das nur ganz entfernt an deutsche Hartz-Gesetze erinnert. Doch es wird kaum zu realisieren sein, denn zum einen ist dort keine entsprechende soziale Kontrolle seitens des Staates denkbar, und zum anderen fehlen jedweder Regierung die Mittel dafür, solange die Sparauflagen der EU gelten. Nicht zuletzt deshalb fordert die Mehrheit aller Wähler zumindest eine Lockerung derselben, doch die EU stellt sich bisher taub.

 

Dass es durchaus Berührungspunkte zwischen Lega und 5-Sternen gibt, erwies sich bei der Wahl der beiden Kammerpräsidenten nach Eröffnung des neuen Parlaments am 23. März. Dort konnten die 5-Sterne ihren Kandidaten Roberto Fico vom linken Flügel als Parlamentspräsidenten durchsetzen – im Gegenzug für die Tolerierung einer Politikerin aus dem Rechtsbündnis beziehungsweise der Forza Italia, Maria Elisabetta Alberti Casellati, als Senatspräsidentin.

 

Das Parlament ist zu zwei Dritteln mit deutlich jüngeren Abgeordneten erneuert und hofft auf mehr Relevanz nach seiner De-facto-Entmündigung in den letzten Legislaturperioden, in denen die Exekutive überwiegend per Dekret und Vertrauensfrage herrschte. Doch abzuwarten bleibt eigentlich nur, was in dem engen, bereits aus Brüssel vorgegebenen Spielraum der Haushaltsplanung für die kommenden drei Jahre möglich sein wird, das entsprechende Dokument ist in Arbeit und muss gleich im April in Brüssel zur Prüfung vorgelegt werden.

 

Staatspräsident Sergio Mattarella wird nun »die Lage sondieren«, das heißt die Parteiführer nacheinander mit einer Regierungsbildung beauftragen. In maximal zwei Monaten, spätestens zum Tag der Republik am 2. Juni, sollte die Quadratur des Kreises gelungen sein. Vorerst noch federführend ist der bisherige Regierungschef Paolo Gentiloni (PD), seit Renzis Rücktritt als Regierungschef im Dezember 2016 im Amt. Auch Übergangsregierungen von sogenannten Tecnici (Fachleuten) haben in Italien bereits Tradition, und eine solche würde sicher in Brüssel und Berlin gern gesehen. Denkbar wäre damit vorerst eine Koalition von 5-Sternen und Lega, wofür Berlusconi sich allerdings aufs Altenteil zurückziehen müsste, denn die 5-Sterne könnten ihn nicht im Hintergrund tolerieren, nachdem sie ihn jahrelang bekämpft haben. Die Lega will Berlusconi nicht offen brüskieren und nicht aus dem Rechtsbündnis ausscheren, dessen Anführer Salvini ja werden möchte, denn sein Blick ist auf die weitere Zukunft gerichtet. Ohne Berlusconi wird die Forza Italia voraussichtlich auseinanderbrechen; nicht nur die Lega, sondern auch eine Rest-PD könnten dann auf neuen Zulauf aus dem Parlament hoffen. Und sogar für Matteo Renzi könnte sich eine neue Bühne öffnen. Möglich wäre zunächst also eine Koalition auf Zeit, die weder von Di Maio noch von Salvini, sondern von einem Parteiexternen angeführt werden könnte. Doch viele setzen lieber auf Neuwahlen, die dann nach einem nochmals erneuerten Wahlgesetz erfolgen sollen, das die Mängel der letzten Wahlgesetze beheben müsste.

 

Auf die großen Fragen jedoch, die nach einer Regierungsbildung zur Überwindung der tiefen Wirtschaftskrise – von wem immer – in Angriff genommen werden müssen, gibt es von den Parteien unterschiedliche und einander widersprechende Antworten. Sie sind jedoch allesamt weniger gegen »Europa« als gegen die Bevormundung aus Brüssel gerichtet. Auf konkrete, in die Realität umsetzbare Antworten aber wartet die Mehrheit der Italiener dringend: auf Rücknahme beziehungsweise Reformierung der bisherigen (Gegen-)Reformen im Arbeitsrecht, im Bildungs-, Renten- und Gesundheitssystem. Der soziale Druck wächst und schürt den Kampf unter denen, die sich zunehmend ausgegrenzt fühlen.