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Titel718

Bemerkungen

Walter Kaufmanns Lektüre

Als Landolf Scherzer am zweiten Märzmontag im nd-Gebäude sein Kuba-Buch vorstellte, bewies er sich als fesselnder Erzähler, als ein Schriftsteller mit Bühnenpräsenz. Ausgesuchte Passagen, geradezu schauspielerisch vorgelesen, vermittelten einen schönen Gesamteindruck, der sich dann bei der Lektüre des Buches bestätigte: ein »mittendrin«-Report, lebensprall und wahr und, wie man so sagt, dem Volk aufs Maul geschaut. Scherzers genaue Beobachtungsgabe, und wie er aus kleinstem Fenster eine weite Sicht vermittelt – beispielhaft! Was die von ihm Befragten über sich und ihr Leben sagen, trifft ins allgemein Gültige: Einem Köhler im weit abgelegen La Guinea wurden durch die Elektrifizierung Welten eröffnet; ein Tabakpflanzer meint zu seiner Arbeit, Tabak könne man nicht einfach pflanzen, verheiratet müsse man mit ihm sein; und Marilin, die bildhübsche Bibliothekarin auf dem Lande, freut sich über grüne Wälder, die auf Geröllhängen angelegt wurden, und Blumen, die zuvor nie da blühten; ein schwarzer Kubaner, dem Scherzer zufällig begegnet, erinnert sich in reinstem Sächsisch –»nu gugge ma« – an Dresden; und ein Scherenschleifer weiß sich Scherzer gegenüber zu behaupten, indem er für ein Foto von seiner selbst gefertigten Schleifmaschine einen Euro fordert; wiederholt bringt Scherzer den schwarzen Freund der blonden Dolmetscherin Julie ins Spiel, einen tüchtigen Stuckateur, der zerbröckelnde Fassaden renoviert und keineswegs unkritisch sein gegenwärtiges Havanna-Leben schildert, dabei von einer 90-Tage-Reise nach Deutschland träumt. Die Lebensgeschichte dieses jungen Mannes von knapp dreißig Jahren würde den Leitfaden für einen Kuba-Roman hergeben! Und überhaupt, wer auch immer Landolf Scherzer bei seinen mehrwöchigen Erkundungen über den Weg läuft, den bringt er zum Erzählen, zum Darlegen seiner Ansichten, Wünsche, Hoffnungen – was wiederum den Leser zu Erkenntnissen jenseits vom Klischee verhilft, jenseits vom Propagandistischen hin zum tatsächlich gelebten kubanischen Alltag. Wären fünf Sterne zu vergeben, von mir erhielt »Buenos días, Kuba« alle fünf.

W. K.

 

 

Landolf Scherzer: »Buenos dìas, Kuba. Reise durch ein Land im Umbruch«, Aufbau Verlag, 367 Seiten, 22 €

 

 

 

Auf der Suche nach Gorki

Die Gorki-Rezeption heute hat zwei Seiten. Vielen ist der Russe nur ein Begriff als Verfechter der Revolution, und sie lehnen ihn zudem als staatsnahen Schriftsteller, der er am Ende seines Lebens geworden war, ab. Andere jedoch, die sich darüber hinaus mit seinen Werken beschäftigt haben und zum Beispiel auch seine Kinderbücher kennen, verehren ihn. »Man muss den Mut haben, den Menschen Gorki im Ganzen zu sehen«, forderte Karin Lehmann aus Heringsdorf auf. Sie hat sich in dem Usedomer Kurort erfolgreich für den Erhalt des Hauses als Gedenkstätte eingesetzt, in dem der Dichter 1922 seiner Gesundheit wegen geweilt hat. Aus Anlass des 150. Geburtstages von Maxim Gorki am 28. März sprach Karin Lehmann in Bad Saarow im Scharwenka-Kulturforum auf einem Kolloquium, zu dem die Arbeitsgruppe Literaturkabinett des Kurortfördervereins Bad Saarow am Wochenende davor eingeladen hatte.

 

In Bad Saarow weilte Gorki von Oktober 1922 bis April 1923. Anders als in Heringsdorf gibt es in Bad Saarow keine Gedenkstätte mehr. Burkhard Teichert vom Literaturkabinett konnte jedoch in seinem Vortrag immerhin sieben Örtlichkeiten benennen, die mit Gorki in irgend einer Weise im Zusammenhang stehen, und sei es das Hotel am Bahnhof, wohin dieser seine russischen Freunde aus Berlin zur Silvesterparty eingeladen hatte. Bei Gästeführungen wird auf die Orte hingewiesen. Außerdem gibt es von einer noch bis 1997 existierenden Gedenkstätte Archivmaterial, mit dem im SaarowCentrum jetzt eine kleine Ausstellung eröffnet werden konnte.

 

Ebenfalls bedauerlich sieht es andernorts laut dem dritten Vortragenden aus, einem Mediziner im Ruhestand, Klaus Hockenjos aus Freiburg im Breisgau. Das Haus im dortigen Ortsteil Günterstal, in dem Maxim Gorki 1923 weilte, befindet sich in Privatbesitz, und die regionale Gorki-Forschung und -Ehrung liegt in erster Linie in den Händen von Hockenjos als Nachbar und als Vorstandsmitglied des Ortsvereins Günterstal. Er hält europaweit mit Vorträgen das Andenken an den Schriftsteller wach. In Freiburg aber sei das Interesse an Gorki eher verhalten.

 

Aus allen drei Vorträgen wurde deutlich, dass die Gorki-Rezeption problematisch ist. »Gorki hat gesagt, Kunst muss man erleben, und unser Gorki-Haus, das Museum Villa ›Irmgard‹ in der Maxim-Gorki-Straße 13 im Seebad Heringsdorf lebt weiter und wird mit vielfältigen Veranstaltungen zu Literatur und Kunst gut angenommen«, ist Karin Lehmann zufrieden. »Aber Gorki als Schriftsteller fehlt in der Schulliteratur«, beklagt sie. Das weiß auch Burkhard Teichert. Der Anstoß, eine Gorki-Gedenkstätte in Bad Saarow zu errichten, sei in den 1950er Jahren durch die Schule gekommen, die noch heute den Namen »Maxim Gorki« trägt. »In der Grundschule werden seine Kinderbücher gelesen, aber im Oberschulbereich kommt Gorki nicht mehr vor«, sagt er. »Jedoch wir haben sie noch, die Maxim-Gorki-Straße«, freut sich Teichert.           

                              

Elke Lang

 

 

Ausstellung zu Gorki: Mo. und Fr. 10 – 12 und 13 – 16 Uhr / Di. und Do. 10 – 12 und 13 – 18 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr im SaarowCentrum, Altes Moorbad

 

 

 

Morgenstern, nicht Busch

Inhaltlich stimme ich Harald Kretzschmars Aussagen in seinem Artikel »Mehrheit Minderheit« zu, und ich teile auch seine Empörung (Ossietzky 5/2018). Ich möchte jedoch einen Satz korrigieren, den er – sinngemäß – zitiert: »Immer habe ich Wilhelm Buschs Bemerkung im Ohr, dass eben oft genug nicht geschehen sein konnte, was nicht sein durfte.«

 

Kretzschmar meint offensichtlich die Verse: »›Weil, so schließt er messerscharf,/ ›nicht sein kann, was nicht sein darf.‹« Die aber stammen von Christian Morgenstern; sie stehen am Ende seines Gedichts »Die unmögliche Tatsache«, das mit den Zeilen beginnt: »Palmström, etwas schon an Jahren,/ wird an einer Straßenbeuge und von einem Kraftfahrzeuge/ überfahren.« Es dürfte wohl einleuchten, dass der milde Palmström des Dichters Morgenstern nicht mit dem rabiaten, bisweilen sadistischen Busch verwechselt werden sollte.       

 

Lothar Zieske

 

 

 

Eine Rarität

»Urstrom« beginnt mit Gilgamesch, dem Helden eines Ur-Ur-Ur-Epos aus der Wiege aller Kultur an Euphrat und Tigris, Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung. Literarische Entdeckung der sexuellen Liebe, Verrat, Todesangst, alle Götter der Himmels. Und es endet mit Günter Wallraff, der Heins lobt, weil er »aus sozialen Themen literarische Kulissen zu bauen« vermag.

 

Zwischen Gilgamesch und Wallraff: ARME Kinder, STRASSENkinder erzählen von ihrem Leben. Heins reiste durchs Land, suchte die Alleingelassenen auf, brachte die Interviews in die Zeitungen. »Die Straße, der Dreck, und das Geld« beherrschen auch das Theaterstück »FEE: ›Ich bin ein Straßenkind‹« in »Urstrom«. Bis hin zum Straßenstrich für Minderjährige: »Du würdest sie am liebsten alle abknallen. Aber du machst es, weil du das Geld brauchst.« Und die muslimischen Frauen: »Heilige Töchter«, Gefangenschaft in der Familie als Privateigentum des Vaters, Zwangsehe, Flucht. »Weg mit dem Schleier, weg mit der Bevormundung durch Männer!« Doch der Koran wird gelesen, bis es heißt: »Mein Leben änderte sich.« Die Befreiung kommt nicht vom Westen, sondern vom aufgeklärten Islam.

 

Diese ganze Welt-Bühne vermittelt Heins auch den TeilnehmerInnen seiner Seminare im INKAS (INstitut für KreAtives Schreiben, Bingen am Rhein). Schriftstellerei und Dichtkunst stehen allen offen, die sie lernen wollen – Scheitern inklusive. Sabine Kleczewski in »Zu Wort kommen. Medien – Demokratie – Mediendemokratie!«: »Ergänzend  ... gibt es Autorenlesungen, wo AutorInnen ihre Texte vor unbekanntem Publikum vorstellen können, und jährlich wird eine Nacht der Autoren veranstaltet« (Informationsdienst: für kritische Medienpraxis, Berlin 2003, S. 16). Und wie heißt der Literaturpreis von INKAS? Heins glaubt an das Talent von allen, hat aber offene Augen. Der Preis heißt also: »Bumerang«.

 

Respekt für Heins! Dank für die andauernde Unterstützung, Wallraff!

 

Richard Herding

 

 

Rüdiger Heins: »Urstrom«, Wiesenburg Verlag, 159 Seiten, 14,80 €

 

 

 

Steuer-Splitter

Die Spitzen der Gesellschaft finden es bestimmt Spitze, dass sich die GroKo beim Spitzensteuersatz weiterhin auf horrende 42 Prozent orientiert und nicht etwa – wie noch in den 1980er Jahren – auf lächerliche 56 Prozent.

 

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Die sehr Vermögenden mögen die Vermögensteuer nicht sehr und vermögen es erfolgreich, deren Wiedereinführung durch die GroKo zu verhindern.

 

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Die Steuer steuert den Geldfluss von unten nach oben.

 

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Der Mächtige erklärt dem Finanzamt seine Steuererklärung so lange, bis die Beamten begriffen haben, dass keine Steuer anfällt.

 

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Selbst wenn die Politik der Steuerflucht einen Riegel vorschieben sollte, wird sie auf keinen Fall ein Schloss einhängen.

 

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Steuerfluchtlöcher verursachen Löcher in der Staatskasse.

 

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Steuerfahnder – ein aussterbender Beruf.

 

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Der Steuerbetrug betrug in letzter Zeit Milliarden, weil Banken eine Steuer-Geheimnis-Krämerei betrieben.

 

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In Steueroasen sprudelt das Geld, welches zum Bewässern der Wüste fehlt.

 

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Der Briefwechsel zwischen den Superreichen und dem Finanzamt ist erschwert, weil die Postboten den Briefkasten nicht finden – in Panama.

 

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Schwarzgeldboten sind zu beneiden; sie reisen in Paradiese – Steuerparadiese.

 

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Die Schweiz ist neutral, aber auch nahezu steuerneutral.                 

 

 Dietrich Lade

 

 

 

Die Grillsaison ist eröffnet

Man will es einfach nicht glauben …, aber bei meinem letzten Baumarkt-Besuch musste ich feststellen, dass trotz der immer noch kühlen Außentemperaturen die Grillsaison schon längst eröffnet ist. Während unser zusammenklappbarer Grill noch in der Garage seinen Winterschlaf hält, wurden hier auf einer riesigen Freifläche Hightech-Geräte angeboten. Wackliger Dreifuß war einmal, wer heute vor den Nachbarn bestehen will, muss schon etwas mehr Geld in die Hand nehmen. Die modernen Grills sind wahre Wundermaschinen mit zig Armaturen und Knöpfen. Man könnte meinen, man sitzt im Cockpit einer Boeing.

 

Mit digitaler Unterstützung werden da Bratwurst, Steak & Co. auf die richtige Temperatur befeuert, und die kann man per Smartphone sogar fernüberwachen. So eine Grill-Thermometer-App beeindruckt auf jeden Fall den Nachbarn. Früher brauchte man zum Grillen neben Holzkohle nur eine Grillzange, heute gehören Drehspieße, Marinierspritzen, Pizzastein oder Rippchenhalter zur Grundausstattung. Auch das lästige Pusten war gestern, heute muss ein Heißluft-Grillfön her.

 

Das Ganze gleicht also eher einer Multifunktions-Outdoor-Küche. Dabei ist Grillen immer noch Männersache. Diese heilige Zeremonie lassen wir uns trotz aller Emanzipation von unseren Frauen nicht rauben. Nein, die Bedienung des Grillgerätes verlangt schon eine gehörige Portion männlicher Erfahrung. In Neandertaler-Zeiten war das Feuer Frauensache, während wir uns mit der Jagd beschäftigten. Aber heute spielen wir gern den Götterschmied Vulcanus – so mit Grillschürze und feuerfesten Handschuhen. Und die bitterbösen Blicke der Gartennachbarn, die an Atemnot leiden, übersehen wir einfach.

 

Manfred Orlick