Im ständigen Ringen, die Kernenergie wahrhaftig zu bewerten, war das Leben des Ingenieurs für Elektroenergie Peter Kroll (81) als Reaktoroperateur, Schichtleiter und Abteilungsleiter von 1961 an mit den Kernkraftwerken in Rheinsberg und in Greifswald (Lubmin) eng verbunden. In einem mühsamen an Sisyphos erinnernden Prozess brachte er 2018 im Selbstverlag das Buch beziehungsweise den Ausstellungskatalog »Kunst und Kernenergie« mit 168 Seiten als Bilanz und Resultat hervor. Die im Untertitel als »Beitrag zur Kulturgeschichte der Kernenergie« benannte Sammlung rings um die Kernenergie lässt keinen Bereich aus und umfasst Fotos, Bildreproduktionen, Karikaturen, literarische Beispiele, politische Texte aus Zeitungen und dazwischen knapp formulierte Fachtexte mit persönlichem Zuschnitt und individueller Betonung. Alle Elemente sind meist stichwort- und sprunghaft assoziationsreich miteinander verwoben. Im Kapitel zur weltweiten »Anti-Atombewegung« hat sich Kroll dazu hingearbeitet, die Kernenergie immer mehr problematisch zu sehen. Es fordert Respekt heraus, wie Peter Kroll über sein Leben an und in den Atomkraftwerken, an der Seite seines Zwillingsbruders Paul – Kernkraftwerker wie er – und des Grafikers Armin Münch, Rechenschaft gibt.
Das Buch ist geschichtsdurchdrungen, zeigt das Relief »Bergmann und Pechblende« aus Jáchymov (Joachimsthal), erinnert dabei an das Wirken von Paracelsus und Agricola und die Leistung von Marie Curie und Otto Hahn, Manfred von Ardenne, würdigt die technische, technologische und organisatorische Leistung, die mit sowjetischer Unterstützung in der DDR vollbracht wurde, und schließlich das Sanierungsobjekt Wismut (1990–2007). Das Buch weitet den oft auf Kernkraftwerke reduzierten Blick auf die Kernenergie, weist hin auf nutzbringende radioaktive Isotope für die Medizin, die C-14-Methode in der Archäologie und das für künftige Energienutzung angelegte Fusionsexperiment »Wendelstein 7x« in Greifswald, München-Garching und Marseille.
Kroll unterwirft alles einer dialektisch-materialistischen Betrachtung und stellt dem Foto von der ersten sowjetischen Atombombe (1949) das Motto aus Nowo-Woronesh (1977) »Möge das Atom immer Arbeiter sein, niemals Soldat« entgegen. Dieses hat nicht nur die Sowjetpolitik bestimmt, sondern kann auch als sein Lebensmotto gelten.
Weil durch die DDR mit dem Uranerz der Wismut die Sowjetunion das USA-Atombomben-Monopol durchbrach und die friedliche Kernenergienutzung Einzug hielt, entstanden wichtige Werke der Literatur (Werner Bräunig, Martin Viertel, Christa Wolf), der Architektur – das Verwaltungsgebäude vom KKW Rheinsberg wurde 2005 unter Denkmalsschutz gestellt – bis hin zur Gestaltung von Medaillen und des Zehnmarkscheins. Im Blickpunkt steht die bildende Kunst, neben Hans Grundig, Wolfgang Frankenstein, Gabriele Mucchi und Wolfgang Mattheuer finden die Monumentalbilder »Die friedliche Nutzung der Atomenergie« von José Renau mit einer frühen Version eines Kernfusions-Kraftwerks und von Werner Petzold mit uranschürfenden Bergleuten besondere Aufmerksamkeit.
»Das gute Gesicht des Atoms« prägte mit dem ersten Atomkraftwerk der Welt Igor W. Kurtschatow (1903–1960), der von Armin Münch zu einem »Faust XX« (1984) gesteigert wurde. Er legte den Grundstein zur atomaren Macht der Sowjetunion und stützte sich als Faust des 20. Jahrhunderts auf die Stärke kollektiver Erfahrung. In der Bildmappe KKW Greifswald, 1976-79, von Münch stieg der Künstler mit dem Faust in das Schlüsselproblem der Menschheit ein, zeichnete die antiken Philosophen und Atomisten, also ersten »Physiker«, Leukipp, Demokrit, Epikur. Kroll würdigt den Epikureismus von Lukrez, die Dissertationsschrift von Karl Marx und das Gemälde »Schule von Athen« von Raffael, das wiedergegeben wird. Armin Münch verlangte: »Stoße zum Bildkern vor, suche nach großer Form, nach Hauptbewegung, nach dem Kosmischen im Irdischen«. Dieser Forderung ist schwer nachzukommen, wenn Kroll mit dilettantischer Neigung unmittelbar realistische Bilder von Helmut Maletzke und eigene kühn, auch etwas eitel, einbezieht. Aber er hat recht, anzumahnen, Münchs titanisches Lebenswerk in einer Ausstellung endlich zu zeigen.
Bei Kroll spielt zu recht das Außenwandbild »Mensch und Energie«, 1979, von dem in Danzig geborenen, freischaffend in Eisenach und ab 1954 in Ückeritz lebenden Maler Manfred Kandt (1922–92) eine besondere Rolle. Der monumentale Bildfries von 2,50 Metern Höhe und 36 Metern Länge war im Greifswalder Schönwalde I, wo die meisten Einwohner im nahe gelegenen Kernkraftwerk Nord arbeiteten, an einer Schülergaststätte, jetzt Diskothek, angebracht. Sein politischer Kern, Lenins Plan »Kommunismus = Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes«, unter GOELRO bekannt, mit Lenin an zentraler Stelle, führte nach der Einlagerung des Bildes in den 1990er Jahren zu seiner Entsorgung 2006. Keine Rolle spielte, dass das Bild »mit malerischen und kompositorischen Mitteln in ein Höchstmaß an Übereinstimmung mit dem Gebäude« gebracht wurde (Bruno Flierl im Künstlerkatalog von 1982).
Im 20. Jahrhundert sollte Prometheus in einer neuen Menschengemeinschaft das Licht der Vernunft in die Massen tragen. Mit dem wissenschaftlichen Neugewinn vertiefte sich Krolls Erkenntnis über die Jahre. Erst zögerlich griff die Rücknahme Raum, die Atomenergie, die der Mensch zuerst in der Sowjetunion hervorbrachte und nutzte, nicht mehr als »zweite Fackel des Prometheus« (Weltall, Erde, Mensch, 1968) zu verstehen. Die prometheische Vision bestimmte in der DDR später nicht mehr die Kunst der »Sonnensucher« (Film von Konrad Wolf), sondern das atomare Feuer des neuen Prometheus entwickelte sich zur Crux der Menschheit. Neuere Kunstwerke, die bei Kroll fehlen, beweisen die potentielle Sprengkraft des Mythos von Prometheus, dass sich der Mensch mittels Wissenschaft und (Atom-)Technik, deren Grundlage die Vernunft ist, selbst ausrotten kann.
Peter Krolls »11. Gebot – Du sollst Dich erinnern« fordert zum Umgang mit der Geschichte auf, alles kritisch wahrzunehmen und zu prüfen, ob nicht manches aus der Geschichte weiterhin zu schätzen sei. Er reiht sein Buch ein in die von Robert Funda, Staßfurt, begründete »Erinnerungsbibliothek DDR« (bei Interesse am Buch erbittet Kroll persönliche Absprache: 03834-5202192). Gegen das Vergessen beizutragen, möchte dieser Ossietzky-Artikel dienen.
Peter Kroll gehört zu den Aktiven, die das Atomthema in der Diskussion halten, dessen Aktualität sich dadurch zeigt, dass unter Trump im Grand Canyon (Colorado) mit der Lüge, der Abbau sei ganz anders als zu Zeiten des Kalten Krieges, im Tagebau mit den alten Verfahren der Uranabbau wieder aufgenommen wird, und dass in Deutschland unverfroren wieder von atomarer Bewaffnung gesprochen und nicht für ein Atomwaffenverbot votiert wird.