Der Begriff »Krieg gegen den Terror« wurde konstruiert, um am Völkerrecht und an den internationalen Konventionen vorbei kriegerische Handlungen moralisch zu legitimieren. Diese Konstruktion eignet sich besonders für Hegemonialstaaten, die sich, neben ihren beträchtlichen Machtprivilegien im UN-Sicherheitsrat, zusätzliche politische und militärische Interventionskapazitäten schaffen und sie möglichst unwidersprochen nach eigenem Gutdünken für eigene Ziele einsetzen wollen. Die Vereinigten Staaten von Amerika legitimierten ihre diversen Kriege und alle ihre völkerrechtswidrigen Handlungen wie das Foltern von Terrorverdächtigen mit der Konstruktion »Krieg gegen den Terror«. Ähnlich verhält sich Rußland in seinem Krieg gegen Tschetschenien.
Historisch steht der »Krieg gegen den Terror« im Kontext von Samuel Huntingtons »Clash of Civilizations«, der – ganz im Sinne der self fullfilling prophecy – maßgeblich zur Stärkung von Al Quaida und zur Internationalisierung des Terrors beigetragen hat. Huntington schuf mit seinen Thesen bei den Eliten der imperialistischen Staaten des Westens das Bewußtsein, daß die aktuellen globalen Brüche und Erosionen entlang der kulturellen Gegensätze aufträten und der Islam mit Abstand die größte Bedrohung für die christlich-westlichen Staaten sei, die sich dagegen zur Selbstverteidigung militärisch abzusichern hätten. Huntingtons These lieferte eine wirkungsvolle Begründung für eine neue Aufrüstung des Westens, folglich auch für ein neues globales Wettrüsten. Sie verstärkte auch in der islamischen Welt die politische Radikalisierung der antiwestlich fundamentalistischen Strömungen und Gruppen einschließlich des internationalen Terrorismus der Gruppen und Banden, die ihrerseits das eigene Handeln mit Verweis auf westlich-christliche Bedrohungen für den Islam religiös zu rechtfertigen versuchen. Dank Huntington dominiert seit Mitte der 1990er Jahre der sogenannte »Krieg der Kulturen« den globalen Diskurs, wodurch permanent Konflikte geschürt werden. Die Ermordung Theo van Goghs durch einen marokkanischen Fanatiker in Amsterdam als Reaktion auf seine antiislamischen Provokationen, die Mohammed-Karikatur in der dänischen Tageszeitung Jyllands Posten und die Folgen des jüngsten antiislamischen Machwerks des rechtspopulistischen Politikers Geert Wilders in den Niederlanden sind prägnante Beispiele eben dieses »Krieges der Kulturen«. Dazu gehört nicht zuletzt das in Deutschland zum Volkssport gewordene Islam-Bashing der um Henryk M. Broders »Achse des Guten« gescharten Agitoren. Auch einige überangepaßte ehemalige Mosleminnen wie Seyran Ates und Nekla Kelek beteiligen sich daran.
Mit dem »Krieg gegen den Terror« verfolgen die USA im ideologischen Rahmen des globalen »Krieges der Kulturen« ihre politisch-militärischen Hegemonialinteressen in strategisch relevanten Staaten und Regionen. Gemeinsam mit den Neokonservativen in den USA um George W. Bush und Dick Cheney verfolgen aber auch Neoliberale in der gesamten westlichen Welt, der militärindustrielle Komplex einschließlich der Atomindustrie und großer Teile des Energiesektors in einer globalen Allianz ihre handfesten ökonomischen und geostrategischen Interessen, indem sie ihre Politik als eine Politik zur Verteidigung der Demokratie und der westlichen Werte gegen die islamische Bedrohung ausgeben. Damit gelang es ihnen bisher, die Mehrheit der Bevölkerungen in den christlich-westlichen Staaten für ihre konfrontativen und teilweise – wie in Afghanistan und im Irak – auch kriegerischen Handlungen zu mobilisieren.
Der Iran-Atomkonflikt, der seit 2003, kurz nach dem Beginn des Irak-Krieges, zu einem Dauerbrenner der internationalen Politik geworden ist, wird allgemein als Teil des »Kriegs der Kulturen« interpretiert und ist mittlerweile dazu hochstilisiert worden. Die Versuche der westlichen Seite, die Islamische Republik Iran als die Speerspitze des sich gegenwärtig angeblich weltweit bildenden »Islamo-Faschismus« zu dämonisieren, und auf der anderen Seite die verbalen Angriffe des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad gegen Israel und das Anzweifeln des Holocaust machen deutlich, auf welche Weise dieser Konflikt aus seinem realen sicherheitspolitischen Zusammenhang herausgelöst und zu einem explosiven Kultur-Konflikt zwischen dem »christlich-demokratischen Westen« und dem Islam gemacht worden ist. Tatsächlich muß das Atomprogramm der Islamischen Republik Iran jedoch als Teil des nuklearen Wettrüstens im Mittleren und Nahen Osten gesehen werden, das schon vor etwa 30 Jahren ausgelöst wurde, als Israel seine atomare Erstschlagskapazität erlangte. Die neokonservative Elite der USA will nicht nur Irans Atomprogramm, sondern unter diesem Vorwand den ganzen iranischen Staat zerschlagen. Ein weiterer Krieg im Mittleren Osten soll dazu dienen, nach Taliban und Saddam Hussein das entscheidende Hindernis zur störungsfreien Wahrnehmung der US-amerikanischen Hegemonialinteressen zu beseitigen, um dann die Energiequellen und Transportrouten des Mittleren Ostens vollständig kontrollieren und die Mengen-, Preis- und Ölwährungspolitik dominieren zu können. In großer Sorge muß festgestellt werden, daß Bush und Cheney ihre Kriegspläne gegen den Iran keineswegs aufgegeben haben. Und McCain, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, macht keinen Hehl daraus, daß er im Falle seines Sieges Bushs Mission weiterführen will. In Übereinstimmung mit Israel findet McCain Unterstützung durch einflußreiche christliche Fundamentalisten (darunter den als Wortführer des sogenannten christlichen Zionismus bekannten John Hagee), die offen nicht nur für einen Krieg, sondern sogar für einen Atomkrieg gegen den Iran plädieren.
Die Politik der Neokonservativen, im Bündnis mit mächtigen Gruppen außerhalb der USA, aber zu Lasten der überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung die US-Hegemonie für weitere Jahrzehnte zu verlängern und sie ideologisch mit dem »Krieg der Kulturen« zu ummanteln, führt die Welt von der einen in die nächste Krise, vom einen zum nächsten Krieg. Dadurch verringern sich die globalen Handlungsspielräume für Demokratisierung, für Armutsbekämpfung und für die Eindämmung der drohenden Klimakatastrophe beinahe auf Null. Feindbilder verfestigen sich, regionales und globales Wettrüsten erhält immer neuen Auftrieb. Es ist an der Zeit, diese Politik und die von ihr geprägten Konfliktstrukturen zu überwinden. Dazu ist nicht nur ein »regime change« in der Vereinigten Staaten erforderlich, der – wie Barak Obamas Erfolge belegen – durchaus möglich zu sein scheint. Es ist auch dringend erforderlich, überall in der Welt den herrschenden Diskurs des »Kriegs der Kulturen« zu durchbrechen.
Der antiislamische Diskurs in Europa und namentlich in Deutschland, geführt von einer unheiligen Allianz extrem rechter und pro-israelischer Gruppen auf der selbsternannten »Achse des Guten« und einem großen Teil der Medien, muß durch eine breite Allianz des Friedens in einen Diskurs für den inneren Frieden, für Integration der moslemischen Minderheit in Deutschland und Europa, für Dialog und für multikulturelles Zusammenleben verwandelt werden. Dieser Diskurswechsel ist eine wichtige Voraussetzung für einen Politikwechsel gegenüber den islamischen Staaten. Deutschland und die EU als Ganzes haben ein existenzielles Interesse an Kooperation und friedlichen Beziehungen zu allen Staaten im Mittleren und Nahen Osten und zur gesamten islamischen Welt. Schon aus diesem Grunde müssen Deutschland und Europa alle Initiativen und Entwicklungen zu einer regionalen Kooperation und gemeinsamen Sicherheit im Mittleren und Nahen Osten unterstützen, beispielsweise die Initiative für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region (s. Ossietzky 17/07). Sie sollten, statt wie bisher einseitig Partei zu ergreifen, alle Staaten der Region einschließlich Israel ermutigen, sich am Dialog für gemeinsame Sicherheit und ökonomische Kooperation aktiv zu beteiligen. Dabei kommt einem Politikwechsel gegenüber der Islamischen Republik Iran zentrale Bedeutung zu. Dazu gehört, der konfrontativen Politik der USA die Unterstützung zu entziehen, den Iran mit seinen sicherheits- und energiepolitische Interessen ernst zu nehmen und durch Dialog ohne Vorbedingungen eine gemeinsame Lösung für den aktuellen Atomkonflikt anzustreben. Dadurch würde aller Wahrscheinlichkeit nach der Politik des gegenwärtigen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, der das eigene Nuklearprogramm symbolisch zum alles bestimmenden nationalen Projekt hochstilisiert hat, die Basis entzogen und der innenpolitische Spielraum für die iranischen Reformkräfte und für eine offene Debatte über die sicherheits- und energiepolitische Zukunft des Landes beträchtlich erweitert.