Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der westlichen Industriestaaten haben das öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, stark verändert. Neue Runden im Wettrüsten und neue Kriege stehen bevor. Der Krieg soll zum Alltag werden. Regeln des Völkerrechts, die das Kriegführen behindern, werden ebenso beiseite geschoben wie grundgesetzlichen Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung. An die Stelle des Grundgesetzes tritt die Militärdoktrin der EU. Und zur Militarisierung des Landes gehören Abbau der Demokratie, Formierung eines autoritären Überwachungsstaates und geduldeter Neonazismus.
Hierzulande herrscht große Unkenntnis über das, was die Militärs politisch vorhaben. Aber sie selber konstatieren offen die Transformation von der Verteidigungsarmee zur weltweit agierenden Einsatzarmee. Zu diesem Zweck wurden und werden Waffen und Gerät beschafft. Nun geht es an die Transformation der Gesellschaft, die in Bundeswehrzeitschriften als Aufgabe des Militärs bezeichnet wird; ein Bundeswehr-»Zentrum für Transformation« besteht bereits. Dazu paßt diese Meldung: Christian Schmidt (CSU), Gebirgsjägeroffizier und Staatssekretär im Kriegsministerium, fordert, daß die »unerläßliche Wehrpflicht an die neuen Risiken für die innere und äußere Sicherheit angepaßt werden« müsse.
Was läßt Militärs und Militärpolitiker um die innere Sicherheit fürchten? Es sind die wachsenden Widersprüche in der Gesellschaft. Über viele politische und soziale Probleme hat die Mehrheit der Bürger andere Vorstellungen als die Mehrheit im Bundestag. Das Parlament befürwortet Krieg, zum Beispiel in Afghanistan. Die Bevölkerung nicht. Die Parlamentsmehrheit befürwortet im Gegensatz zur Bevölkerung Hartz IV, Agenda 2010, ausufernde Geheimdienstaktionen, hohe Managergehälter, den Bruch des Datenschutzes, die jugendfeindliche Bildungspolitik, es verweigert Mindestlöhne und Sozialtickets sowie den Schutz der Renten. Früher oder später können diese Widersprüche zu außerparlamentarischen Auseinandersetzungen führen, zu Klassenkämpfen von unten – nicht länger nur von oben – und zu wachsender Gewalt eines autoritären Staates, der sich nicht mehr allein auf den Parlamentarismus stützt. Eine Vorstellung zur Probe bekamen wir im vergangenen Jahr: Ohne Abstimmung im Bundestag wurde die Bundeswehr, die angebliche »Parlamentsarmee«, in ein weiteres Land zu einem Kampfeinsatz entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Panzerwagen, Kriegsschiffen und Tornado-Flugzeugen.
Nach Darstellung der Bundesregierung geschah dieser verfassungswidrige Einsatz per »Amtshilfeersuchen« ziviler Behörden nach Artikel 35 GG. Solche Amtshilfeersuchen müßten auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden, wenn »die Amtshilfe von verfassungsrechtlicher Bedeutung ist.« Das sei »regelmäßig der Fall, wenn Polizeibehörden der Länder die Bundeswehr anfordern«. Doch nicht etwa das Verfassungsgericht oder den Bundestag prüfen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, sondern die Abteilung Recht im Verteidigungsministerium. Polizei und Bundeswehr genehmigen sich damit gegenseitig die Verfassungsbrüche. Der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos hat im Falle Heiligendamm den Antrag als »zulässig nach Artikel 35 Grundgesetz« beurteilt und seine Befolgung angeordnet. Den örtlichen Militärbefehlshabern wurde offenbar signalisiert, sie sollten der Polizei gegebenenfalls auf bloßen Zuruf zu Hilfe kommen, unkompliziert und abseits aller Dienstwege
Der Abbau der Freiheitsrechte wird allgemein mit dem »Krieg gegen den Terror« begründet, der von außen in unser Land getragen werde. Bundesinnenminister Schäuble malt sogar »nukleare Angriffe« auf die Bundesrepublik an die Wand, um sein Ziel zu erreichen, durch weiträumige Online-Durchsuchungen Freiheitsrechte abzubauen. Kriegsminister Jung will eine Grundgesetzänderung erzwingen, um die Bundeswehr auch zum Kriegführen im Innern des Landes legal einsetzen zu können – und wenn dieser Verfassungsbruch nicht erlaubt wird, dann werde man eben den »übergesetzlichen Notstand« ausrufen, um gegen die Verfassung zu handeln, zum Beispiel verdächtige Flugzeuge abzuschießen.
Die Bundeswehr steht seit Mitte vorigen Jahres »Seite an Seite« (Bundeswehr-Homepage) mit den zivilen Dienstellen. In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in den Rathäusern und Landratsämtern zwölfköpfige Kommandozentralen der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit (»ZMZ Inneres«) geschaffen. Sie bestehen aus Reserveoffizieren, welche die Reservisten am Ort mobilisieren können. Als Zentrale wurde das »Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum« in Berlin-Treptow eingerichtet, an dem Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst, Generalbundesanwalt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligt sind. Noch 2003 hatte der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Eckart Werthebach eine solche Zentralisierung des Sicherheitsapparats aus »historischen und rechtspolitischen Gründen« abgelehnt: Die »Assoziation mit dem Reichssicherheitshauptamt« der Nazizeit liege zu nahe. Doch die Zentralisation schreitet voran: Die Einsatzführungsstäbe der Bundeswehr wie der Bundespolizei sind nunmehr beide in Potsdam angesiedelt, noch in verschiedenen Immobilien. 40.000 Bundespolizisten werden seit einigen Wochen aus einer zentralen Kommandostelle in Potsdam befehligt.
Ausdrücklich heißt es in Bundeswehr-Publikationen, die Militäreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus – womit das bewaffnete Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition gemeint ist. Laut Information für die Truppe 3/2002 heißt der Kampfauftrag: Gegen »Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner«. Ein Foto in der Europäischen Sicherheit 2/2007 zeigt »Soldaten des JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten«; die Demonstranten tragen Arbeitskleidung. Die Anlässe für den Einsatz der Truppe im Innern werden »Großschadensereignisse« genannt. Dieser Begriff ist im Amtshilfe-Artikel 35 GG nicht zu finden, dort kennt man nur Unglücks- und Katastrophenfälle. Für den Einsatz im Innern werden Reservisten bezeichnenderweise vor allem an Feldjägerschulen ausgebildet.
Der geschilderten Militarisierung des Landes liegt das noch unter sozialdemokratisch-grüner Regierung geschaffene neue Reservistenkonzept zugrunde. Im Februar 2005 wurde das Reservistenalter von 45 auf 60 Jahre angehoben; damit stehen der Bundeswehr insgesamt rund 4,5 Millionen Reservisten zur Verfügung. In Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die Bundeswehr möglichst laufend Kontakt hält. Mit immer mehr Geld der Steuerzahler verbreiten die Reservisten- und Traditionsverbände militaristische Ideologie und wirken so daran mit, einem autoritären Staat, der repressiv gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung handelt, dennoch eine Massenbasis zu verschaffen. Dazu soll auch die Aufwertung des Soldatenberufs beitragen: Schönere Uniformen sind geplant, ein neues Eisernes Kreuz, ein zentrales Ehrenmal in Berlin. Und die Besoldung wir verbessert. Junge Leute, die sonst auf Hartz IV sitzen blieben, werden mit Geld in die Bundeswehr gelockt. Das geht soweit, daß der Rekrut Folter einübt und erleidet, um ja nicht der Schlußzahlung verlustig zu gehen.
Die Union hat noch weitergehende Pläne. In einem Papier der CDU/CSU, abgefaßt 2004 vom schon erwähnten heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im Militärministerium, Christian Schmidt, wird die Schaffung eines neuen »Organisationsbereichs im Verteidigungsministerium mit dem Titel ›Landesverteidigung und Heimatschutz‹« angekündigt, dessen Aufgabe darin bestehen soll, bis zu 50 miteinander vernetzte »Regionalbasen Heimatschutz« mit einer Stärke von jeweils bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren Städten Deutschlands aufzubauen. Bei einem Einsatz könnten die Regionalbasen durch Reservisten auf bis zu 5.000 Soldaten aufgestockt werden. Die »Heimatschutztruppe« soll zu 80 Prozent aus Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als Führungspersonal bestehen.
So entsteht eine rechtsextreme Bewegung – aber in der Öffentlichkeit ist kaum davon die Rede. Wenn ein demokratisch gewissenhafter Offizier wie Jürgen Rose wegen seiner Forderung nach Einhaltung des Grundgesetzes von einem rechtsextremen »Kameraden« aus dem Kommando Spezialstreitkräfte mit Mord bedroht wird und wenn die Bundeswehrführung dazu schweigt, müßten da nicht alle zivilen Alarmglocken schrillen?
Die Gewerkschaften, einst führend im Kampf gegen Notstandsgesetze und Bundeswehreinsätze im Innern, nehmen sich nur zögernd dieses Themas an. Nun haben ver.di und IG Metall auf ihren Kongressen dazu erste Beschlüsse gefasst. Und der DGB lehnte nach Heiligendamm Grundgesetzänderungen zur Einschränkung des Versammlungs- und des Presserechts ab. Er warnte auch davor, »daß die Länder beim Versammlungsrecht einen Wettlauf um die strengsten Regelungen beginnen.«
Der Wettkampf ist schon im Gange. Das vom mecklenburg-vorpommerschen Landtag zu SPD/PDS-Zeiten eingeführte Polizeigesetz hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß mittlere Polizeiführer die Bundeswehr zur »Amtshilfe« anfordern dürfen und damit die Verfassung brechen. Und Bayerns CSU legte ein neues Versammlungsgesetz vor, das bereits Versammlungen ab zwei Personen anmeldepflichtig macht.
Gegenwärtig häufen sich Erinnerungsartikel an das Jahr 68 und die 68er. In der damaligen massenhaften Protestbewegung gegen die Notstandsgesetze – über welche die heutige ZMZ (I) weit hinausgeht – wurden auch Forderungen nach dem Generalstreik laut. Doch heute? Still ruht der See.