Ende 2006 war es. Nach einer Wahlveranstaltung schlenderte Kurt Beck – »So, jetzt wolle mer abber zu de Leut« – über den Wiesbadener Weihnachtsmarkt. Und als er nun ganz nah bei den Menschen war, da trat der Arbeitslose auf ihn zu, mit struppigem Haar, ungepflegtem Bart, leicht alkoholisiert, und pöbelte ihn an, wegen Hartz IV. Und der Vorsitzende Beck gab ihm den guten Rat: »Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job.«
Dafür bekam Beck bei allen besseren Menschen draußen im Land – denen, die nie SPD wählen würden – leidenschaftlichen Beifall. Bei den anderen aber – denen, die so was immer noch machen, frage bloß keiner warum – kam sein Ausflug zu den Menschen schlecht an, trotz des unbestreitbaren Erfolges: Dem inzwischen rasierten und gewaschenen Mann wurde eine Stelle in einem Fernsehsender angeboten, die er hoffentlich noch hat.
Doch jetzt war der Bartträger Beck dran. »65 Prozent der Deutschen sagen: Beck muß weg«, meldete FAZ.net aus glaubwürdiger Quelle: Bild am Sonntag habe eine entsprechende Umfrage »in Auftrag« gegeben.
Einer, der für viele zählt, wußte das schon vorher. Beck habe die SPD mit der plötzlichen Öffnung zur Linkspartei in Hessen in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise gestürzt, erklärte der wichtige Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs vor SPD-Senioren. Beck habe seinen 2007 erklärten Abgrenzungskurs gegen die Linke »aus opportunistischen Gründen« verlassen. »Das hat uns in Hamburg das Genick gebrochen«, sagte Kahrs und (laut Flensburger Tageblatt, das mitgeschrieben hat): »Dafür muß er büßen. Damit hat sich die Kanzlerfrage schon erledigt.« Den Ausdruck »büßen« dementierte Kahrs, aber ansonsten blieb er dabei: Beck muß weg.
Man muß Kahrs, der in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, aber in der SPD nicht nur als Sprecher des Seeheimer Kreises viel zu sagen hat, ernst nehmen: Er vertritt die Interessen des deutschen Volkes innerhalb der SPD als Lobbyist der deutschen Rüstungsindustrie im Haushalt- und Verteidigungsausschuß des Bundestages und kann somit jederzeit über Spenden aus der Rüstungsindustrie verfügen, was er gern und bedenkenlos tut. Wenn solch ein Mann sich öffentlich gegen Beck erklärt, dann hat das mehr Gewicht als ganze SPD-Parteitage.
Ich habe verstanden, signalisierte Beck, nahm ein Bad und setzte, um doch noch Kanzlerkandidat werden zu können, in der entscheidenden Frage der Privatisierung von öffentlichem Eigentum sein Signal auf Kapitulation.
Der Parteitagsbeschluß zur Verhinderung der Bahn-Privatisierung ist für ihn nur ein Bart, den er sich – dem Rat guter Freunde folgend – abrasiert.
Er hat dafür die Zauberformel. Man sei den selbst gesteckten Zielen für die Bahnreform, verkündete er, so nahe gekommen, »wie die Kreiszahl Pi der Quadratur des Kreises nahe kommt«.
Die Zahl Pi, die sich zahlenförmig nicht korrekt darstellen läßt, gilt unter Mathematikern darum als reelle, nicht aber als rationale Zahl.
Für Händler ist sie hervorragend geeignet. Und so kann aus den rational erscheinenden 24,9 Prozent Privatisierung unseres Bahneigentums reellerweise noch viel werden.
Die bereits versprochene Koalition für 2009 von CDU und FDP hat keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr sie sich über die Beck-Rasur freut. Zu Recht. Die 24,9 Prozent sind nur die Einstiegsdroge. Eine schwarzgelbe Koalition kann daraus im Handumdrehen – oder auch Handaufhalten – schnell 49,9, 50,1, 75,1 oder 100 Prozent machen.
Becks Zahl ist sehr reell. Mehdorn freut sich mit.
Vordringlichste Aufgabe einer noch nicht völlig verwahrlosten SPD wäre es aber, ihm, dem Bahn-Chef, nach seinen jüngsten Auftritten ein Ende zu bereiten.
Mehdorn muß weg, zuallererst. Dieses Ungeheuer, das über Kinderleichen geht, nein Kinderasche zertritt und dafür noch Geld will, aus dem Amt zu entfernen, ist die wichtigste Aufgabe, solange die Bahn noch unser aller Eigentum ist. Sie in den Händen dieses Mannes zu lassen, das heißt: Ein neues Auschwitz wird nicht am Fahrplan scheitern.