Zeitungsüberschriften, sinngemäßer auch Schlag-Zeilen (zu deutsch: Headlines) genannt, können keine Leser mehr nachhaltig in Angst und Schrecken versetzen, denen man schon in jungen Jahren solche Presse-Parolen um die Ohren gehauen hat wie »Leiche in Badewanne ertrunken«, »Herabprasselnde Hagelkörner drohten noch nicht gezählte Feldmäuse zu erschrecken« und dergleichen.
Der journalistische Böllerschuß »Herzog warnt« (Berliner Zeitung, 12.4.08) machte aber sogar uns ein bißchen nervös. »Wo ist der nächste Luftschutzkeller?« rief ich. Meine Frau sagte: »Sowas gibt’s hier gar nicht. Was ist denn los?«
»Herzog warnt! Also aufgepaßt, meine Liebe. Es kann sich nur um den ehemaligen Bundespräsidenten handeln. Solche Menschen haben in ihrer Amtszeit viele Reden gehalten, und wenn sie nun plötzlich im Ohrensessel von einer vorbeitrampelnden Eintagsfliege geweckt werden, erschreckt sie ihr eigenes Schweigen, und sie fangen unverzüglich zu reden an, in diesem Fall zu warnen. Also: ›Herzog warnt ...‹ Warte mal. ›Herzog warnt vor Demokratie‹. Nanu! Ist er nicht auf die Demokratie vereidigt worden? Na, man kann ja mal was vergessen.«
Meine Frau las weiter vor: »Herzog warnt vor Demokratie der Rentner. Alt-Bundespräsident Herzog hat mit Blick auf die größer werdende Zahl der Senioren vor einer Übervorteilung der jüngeren Generationen gewarnt. ›Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie. Die Älteren werden immer mehr, und alle nehmen überproportional Rücksicht auf sie. Das könnte am Ende in die Richtung gehen, daß die Älteren die Jüngeren ausplündern.‹ Die außerplanmäßige Rentenerhöhung von 1,1 Prozent hält er für verfassungskonform, da die Kaufkraft der Renten seit Jahren nicht zugenommen hat. Eine anhaltende Übervorteilung der Jüngeren könne aber grundgesetzwidrig sein.«
Der möglicherweise altersbedingte Rededrang des Ex-Bundespräsidenten entsteht keineswegs aus dem Mitteilungsbedürfnis eines früheren hohen Würdenträgers, denn dieser hat eigentlich gar nichts mitzuteilen, abgesehen von der fixen Idee, daß die in Deutschland lebenden Senioren mittels ihrer Rentner-Demokratie die Angehörigen der »jüngeren Generationen« auszupündern gedenken.
Die Bedrohlichkeit der zu allem entschlossenen, bis an die Zähne unbewaffneten Renter-Horden wird durch ein unheimliches Satzgefüge charakterisiert: »Die Älteren werden immer mehr, und alle nehmen überproportional Rücksicht auf sie.« Das Groteske besteht darin, daß der große Warner selbst zu den Älteren und gerade zu denjenigen Pensionären gehört, die speziell nach der »verfassungskonformen« Rentenerhöhung um 1,1 Prozent noch nicht am Hungertuch nagen müssen, sofern sie überhaupt schon eines besitzen oder im Altwarenhandel ergattern können.
Roman Herzog, offenbar ein Ökonomie-Amateur von Rang, hat herausgefunden, daß »die Kaufkraft der Renten seit Jahren nicht zugenommen hat«. Die des Euro auch nicht; aber vielleicht werden erst Herzogs künftige Untersuchungen ergeben, daß die Renten immer weiter hinter den Preisen zurückbleiben, die zur Zeit um drei bis vier Prozent steigen.
Falls Ihnen dieser Mensch nächstens im Halbdunkel der Nacht seine Warnungen unterjubeln will, so sagen Sie ihm, daß sie sich nicht ausplündern lassen, nicht einmal von ehemaligen Präsidenten im Unruhestand. Er könnte es sogar auf Ihr Wahlrecht abgesehen haben, sofern Sie schon das Rentenalter erreicht haben. Denn seine Schreckensvision von der Rentnerdemokratie zwingt doch zu der Konsequenz, die Bürgerrechte den Alten abzuerkennen – obwohl die meisten bestimmt nicht so gaga sind wie er.