Nichts über 68 im Heft. Muß sich denn nicht jeder dazu äußern? Müßte nicht gerade ich …
Nein, ich bin kein 68er, auch wenn ich an vielem, was damals geschah, nicht nur journalistisch beteiligt war. Ich habe nie als 68er gelten wollen – schon weil ich dann in die Gesellschaft der Vielen geraten wäre, die nach 68 unbedingt als 68er gelten wollten, obwohl sie damals allenfalls am Rande beteiligt waren. Am wenigsten mag ich mit denen zu tun haben, die sich heute so aufspielen, als wären sie große Revolutionäre gewesen und als wären sie dadurch legitimiert, spätere Generationen vor revolutionären Umtrieben zu warnen.
Diejenigen, die damals mit revolutionären Phrasen in Veranstaltungen der außerparlamentarischen Opposition stürmten, kosteten uns viel Zeit und Nervenkraft und waren unseren Aktionen – gegen den Vietnamkrieg, gegen die Notstandsgesetzgebung, gegen die Hetze der Springer-Presse – wenig nützlich, im Gegenteil. Vor allem die Provokateure, die sich an die Spitze der APO drängten, um sie ins Abseits zu führen. Ich als 58er habe das Jahr 1968 nicht als Jahr des Aufbruchs, eher als Jahr des Niedergangs erlebt.
1958 – wer erinnert sich noch daran? Welche Zeitung oder Zeitschrift außer Ossietzky (Arno Klönne in Heft 6/08) hat 50 Jahre danach des Bundestagsbeschlusses gedacht, der mindestens so umstritten war wie in den Sechzigern die Notstandsgesetzgebung und Anfang der Achtziger der sogenannte Nachrüstungsbeschluß – ich meine den Beschluß zur atomaren Aufrüstung der Bundeswehr vom 25. März 1958. Nie wieder fand in Hamburg, der größten Stadt der damaligen BRD, eine so große Kundgebung statt wie 1958 unter dem Motto »Kampf dem Atomtod«. Das ist längst aus dem öffentlichen Gedächtnis entschwunden (erwähnt ist es in dem Buch »Tabus der bundesdeutschen Geschichte«, Verlag Ossietzky). Daß die Geschichte der ersten Studentenbewegung der BRD, der Studentenbewegung gegen atomare Aufrüstung, bis heute ungeschrieben ist (Jutta Ditfurths aus dem Interesse einer Nachgeborenen geschriebenes Buch über Ulrike Meinhof enthält immerhin einige Details), muß ich vielleicht mir selber vorwerfen; viele der damaligen Akteure sind nicht mehr am Leben, Erika Runge, Eva Rühmkorf und ich fast als einzige noch übrig.
Wir 58er versuchten dann, uns bei Abendroth oder Adorno mit Theorie zu versorgen, wir politisierten den SDS, den damaligen Studentenverband der SPD, wir taten uns mit anderen, außeruniversitären Jugendorganisationen zusammen, wir erhoben die zentrale außenpolitische Forderung für die Sechziger: die Forderung nach Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Und wir begründeten nach britischem Vorbild die Ostermärsche. Um deren organisatorisches Zentrum, die Kampagne für Demokratie und Abrüstung, entwickelte sich die außerparlamentarische Opposition. Dort thematisierten wir in den folgenden Jahren all die gesellschaftlichen Mißstände, zu denen die angepaßte SPD im Parlament schwieg, und der Ostermarsch wuchs von Jahr zu Jahr. Aber nach dem blutigen Ostern 1968 – dem Attentat auf Dutschke folgten Demonstrationen, bei denen in München ein Student und ein Fotojournalist getötet wurden, vermutlich durch Polizeigewalt – war für viele Jahre Schluß damit. Einige Revoluzzer verschwanden so schnell, wie sie in der APO erschienen waren, in den Institutionen, durch die sie dann ganz im Sinne ihrer Eltern Stufe um Stufe aufwärts marschierten.
Ein kurzzeitig berühmter Studentenführer rief damals hessische Schüler auf, sie sollten das Unmögliche fordern. Ich als nächster Versammlungsredner nannte einiges Mögliche, wofür sie sich engagieren sollten, um es zu erreichen. War ich 1968 ein Konterrevolutionär?