Die Massaker deutscher Gebirgstruppen an tausenden Zivilisten in Griechenland und Italien waren nach Ansicht des Präsidenten des Bayerischen Soldatenbundes, Bundeswehrgeneralmajor a.D. Jürgen Reichardt, einfach Überreaktionen. In der Zeitschrift Gebirgstruppe, herausgegeben vom Kameradenkreis der Gebirgstruppe von Wehrmacht und Bundeswehr, befaßt sich Reichardt mit der Frage, ob nicht die heutigen Soldaten der Bundeswehr »in Situationen« geraten könnten, in denen sie wie einst die der Wehrmacht »überreagieren« und dann ebenfalls befürchten müßten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Und er beklagt, daß sich im deutschen Sprachgebrauch der Begriff »unschuldige Zivilisten« fest eingebürgert habe, »was ja wohl bedeuten soll, daß Soldaten immer irgendwie schuldig sind«.
Mit solchen haarsträubenden Überlegungen springt Reichardt dem in München vor Gericht stehenden Leutnant a.D. Joseph Scheungraber bei, der wegen vielfachen Mordes an Zivilisten angeklagt ist.
Reichardt schlägt vor, den Sachverhalt in einem Verfahren zu klären, in dem nicht Scheungraber, sondern die Bundesrepublik Deutschland vor Gericht erscheint – als Rechtsnachfolgerin des kriegführenden Staates, der für alle Handlungen die Verantwortung trägt. Der Generalmajor tut so, als wüßte er nicht, daß die Bundesrepublik solchen Verfahren ausdrücklich entgegentritt. Sie hat entsprechende Urteile höchster griechischer und italienischer Gerichte nie anerkannt; derzeit geht sie sogar vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag dagegen vor. In die Villa Vigoni am Comer See, eine deutsche Immobilie, die zugunsten italienischer Opfer von NS-Kriegsverbrechen beschlagnahmt werden sollte, wurde eine Historikerkonferenz einberufen. Sie soll eine »gemeinsame Erinnerungskultur« schaffen.
Wie die aussehen soll, kann man schon in der Gebirgstruppe lesen. Reichardt: »In der öffentlichen Meinung gilt heute bei uns jeder bereits als schuldig, dem eine Beteiligung an der Partisanenbekämpfung im letzten Weltkrieg vorgeworfen wird, während unsere Alliierten längst die Vorschriften und Erfahrungen der Deutschen auswerten und zu Rate ziehen für ihren aktuellen ›Kampf gegen den Terror‹.« Großartig: die deutsche Wehrmacht als Lehrmeister! Darauf dürfen wir stolz sein! Und können dann nicht mehr zulassen, daß Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen genannt werden!
Unzufrieden äußert sich Reichardt mit dem Bayerischen Rundfunk, der »arglos von Demonstrationen erregter Bürger« berichte. »In Wahrheit« handele es sich bei den Protesten jedoch »um gezielte Terrorakte kommunistischer Organisationen, wie ANTIFA und VVN, zum Teil mit Steuergeldern für den ›Kampf gegen rechts‹ gefördert, die mit großem Propaganda-Aufwand und bundesweiten Aufrufen im Internet versuchen, den Beschuldigten ausfindig zu machen, vor seinem Haus lautstark zu ›demonstrieren‹, womöglich einzudringen und die dortige Öffentlichkeit gegen ihn aufzubringen«. Klar: Der Feind steht allemal links, und Antifaschisten sind Terroristen – klar jedenfalls für einen General, der sich so entschieden auf die Seite von Kriegsverbrechern stellt, die allenfalls »überreagiert« haben.
Der Kameradenkreis Gebirgstruppe bemühte sich kürzlich vergeblich um einen Widerruf der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Die VVN-BdA hatte die Gebirgstruppe als Organisation mit NS-Tradition und mit Kriegsverbrechern als Mitgliedern bezeichnet. Der Präsident des Kameradenkreises, Oberst a.D. Manfred Benkel, dankt nun Reichardt für seine Stellungnahme. Unterstützung erfährt der Kameradenkreis auch durch das Bundesverteidigungsministerium, das dem Bundesvorsitzenden der VVN-BdA, Heinrich Fink, in einem Brief mitteilte, der Kameradenkreis würdige doch auch die Opfer der anderen Seite: In der Opfergemeinde Kommeno in Nordgriechenland – dem Ort eines Massakers der 1. Gebirgsjägerdivision im Herbst 1943 – habe er einen Kranz niedergelegt. Immerhin wiederholt das Ministerium in dem Brief nicht die skandalöse Behauptung des Staatssekretärs und Gebirgsjägers Christian Schmidt (CSU), der in Antworten an die Linkspartei im Bundestag wiederholt geleugnet hat, daß die Gebirgstruppe eine verbrecherische Vergangenheit habe.
»Die Zusammenarbeit mit der aktiven Truppe«, so der wiedergewählte Präsident Benkel, stehe »auf soliden Beinen.« Die alten Kameraden können sich also auf die Bundeswehr verlassen.