Der Schatten des Körpers des Tänzers an der Wand gleicht dem Bild von Alfred Kubin, dieser Metapher des Krieges, der mit seinen Riesenschritten über die Menschlein hinweg alles niederwalzt. Aber der Tänzer trägt keine Eisenschuhe, er ist barfuß und gehört zur Compagnie Jant-Bi aus Dakar, die auf Kampnagel in Hamburg auftritt. In Kooperation mit dem deutschen Förderverein, der sich für ein Ausbildungszentrum für junge Tänzer im Senegal einsetzt, stellte die Choreographin Germaine Acogny das preisgekrönte Stück »Fagaala« vor. Dieses senegalesische Wort steht für Völkermord. Das Stück über den Bürgerkrieg in Ruanda 1994, bei dem 800.000 Menschen starben, entstand in Zusammenarbeit mit dem japanischen Butoh-Tänzer Kota Yamazaki. Auf der Bühne werden keine Grausamkeiten zelebriert, aber die durch eine sehr differenzierte Musik unterstützten Bilder brennen sich ins Gedächtnis ein. Mit solchen einfachen Mitteln wie dünnen weißen, schwarzen und roten Stoffbahnen schaffen die sieben männlichen Tänzer Erstaunliches. Sie verbinden sich miteinander oder fesseln sich, verhüllen sich so, daß merkwürdige Wesen über die Bühne schlurfen. Mit Stoff läßt sich das Gesicht bedecken, damit man nicht mehr sehen muß. Oder die Wunden werden weiß bandagiert. Eine lange weiße Stoffbahn hängt auf der Bühne wie eine Himmelsleiter. Ein Baumgerippe wird darauf projiziert, dann – in Verzweiflung oder Wut – heruntergerissen. Die Musik: sehr rhythmisch oder wie ein sanftes zartes Streicheln der traditionellen Violine oder des Cellos. Ein Stein auf dem Rücken oder ein Mensch wird getragen, auch er mit einem Stein beschwert. Die Körperteile scheinen ein Eigenleben zu führen. Der Tänzer: zusammengesetzt aus gegeneinander kämpfenden Gliedern. Menschen sind in Matten eingerollt wie Tote. Tänzer versuchen, ihnen Leben einzuhauchen durch rote Schläuche, die sie mit den Liegenden verbinden wie Lebensadern. Eine Blutspur aus Blüten am Boden.
Ein Sturm kommt auf, und ein rotes Wesen mit Flügeln erscheint am Horizont. Vielleicht ein Engel? Der Engel der Geschichte Afrikas? Zum Schluß steht ein weiß gepuderter Tänzer – oder mit Asche bedeckt – auf der roten Blütenspur. Ein ritueller Trauertanz, hockend, mit aufgerissenem Mund, die Hände wie fest gebunden. Der Butoh-Tanz, der japanische Tradition mit westlichem Tanztheater zu einer ganz eigenen expressiven Darstellung verbindet, fügt sich zum afrikanischen Tanz, als gehöre er seit jeher dazu.
P.S. Kampnagel erhält für sein Sommer-Theater-Festival keine Zuschüsse mehr von der Zeit-Stiftung – irgendwo muß man ja sparen.