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Titel0809

Wie man nach oben wächst  (Lothar Kusche)

In meiner fernen Jugend hatte ich gewisse Schwierigkeiten damit, erwachsen zu werden und dabei auch zu wachsen. Das menschliche Wachstum ist bekanntlich nicht vom Willen der danach strebenden Einzelperson abhängig. Man kann sich nicht einfach hinsetzen und hinstellen, die Fäuste ballen, ein bißchen mit den Zähnen knirschen und bekanntgeben: »So, jetzt fange ich gleich mal mit dem Wachsen an.«

Das nutzt einem gar nichts.

Natürlich wächst ein gesunder kleiner Mensch zu einem etwas größeren und dann nicht mehr so sehr gesunden Menschen heran. Es kommt aber darauf an, in welche Richtung der Mensch wächst. Manche Leute wachsen in erster Linie gar nicht deutlich nach oben, wohin sie gern möchten. Jeden Mensch reizt es, nach oben zu kommen. Doch wachsen diese oder jene Leute deutlich in die Breite, andere auffallend nach vorn; letztere werden zum Spitzkühler-Typus gerechnet.

Manche Gestalten, meist Sportler oder Politiker, wachsen »über sich selbst hinaus«. Man denke nur an gewisse Stabhochspringer. Bei dem legendären französischen General Charles de Gaulle konnte man dessen stolzes Hinauswachsen über sich selbst mit bloßem Auge verfolgen.

Sir Winston Churchill versuchte sein Leben lang, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, die Dicken seien gemütlich, was ihm die Weltöffentlichkeit – im Hinblick auf Churchills Person und Charakter – keine Minute lang glauben konnte.

Meiner Oma mütterlicherseits verdanke ich einen Ratschlag für die Förderung des Wachstums, den ich im Alter von sechs Jahren halbwegs ernst nahm. Ich verbrachte einige Kindheitsjahre bei meinen Großeltern in der Neuköllner Hertzbergstraße. Ein Lieblingsspaziergang führte über die Schudoma- und Hertastraße zum S-Bahnhof Sonnenallee, der damals noch Kaiser-Friedrich-Straße hieß. Eines Tages begleitete mich Oma ein Stückchen bis zu einer kleinen Kirche, um einer Totenfeier beizuwohnen. Sowas tat sie in ihrer knappen Freizeit gern, weil diese Zeremonie »so schön traurig und zum Weinen« war. Fernsehen gab‘s damals noch nicht, und Kino war zu teuer. Oma arbeitete hart für wenig Geld als Dienstfrau bei der Reichsbahn; sie mußte Gänge, Abteile und Toiletten in Schnellzügen putzen.

Kurz vor der Kirche fing es an zu regnen, obwohl die Sonne noch schien. Da sagte Oma: »Nun geh schön langsam weiter! Wer schön langsam durch einen Sonnenregen geht, der wird bald wachsen und groß werden. Wart’s nur ab!«

Seitdem bin ich viele Male im Sonnenregen spazieren gegangen, aber dadurch keinen Zentimeter größer geworden. Das hat auch seinen Grund, nämlich diesen: Der liebe Gott, der bekanntlich viel mehr weiß als beispielsweise Peter Scholl-Latour oder der Papst, weil der liebe Gott ja wirklich alles weiß, weiß daher auch, daß ich ohne Segen seiner Kirche zur Welt gekommen bin, also ein Heide. Da läßt er mich im Sonnenregen nicht wachsen.

Kürzlich meldete die französische Nachrichten-Agentur AFP: »In Rom sind 19 Menschen aus der Mozzarella-Industrie festgenommen worden. Ihnen wird vorgeworfen, an Büffel verbotene Wachstumshormone verfüttert zu haben. Bei den Verdächtigen handelt es sich um Büffel-Züchter und Hormon-Händler.«

Kleine Männer – was nun? Denken Sie an die hormonelle Kraft des originalen Büffel-Mozzarella-Käses! Ich würde Ihnen, damit Sie schön nach oben wachsen, dringend empfehlen, größere Portionen verbotener Wachstumshormone zu verzehren – und dies bei Spaziergängen im Sonnenregen. Vorher müssen Sie einer vom lieben Gott genehmigten Glaubensgemeinschaft beigetreten sein. Kirchensteuer nicht vergessen! Doppelter Aberglaube wirkt schneller.