In alten Zeitungen zu stöbern, regt zum Nachdenken an und trägt zum besseren Verständnis heutiger Ereignisse bei. Kürzlich habe ich nachgelesen, wie sich vor 50 Jahren in den Wochenblättern Die Zeit und Der Spiegel, den angeblich linksliberalen Flaggschiffen des aufgeklärten Nachkriegsjournalismus der BRD, die US-Invasion vom 17. bis 19. April 1961 in Kuba, ihr komplettes Scheitern und damit die erste Niederlage des US-Imperiums in Lateinamerika widerspiegelten. Vorweg gesagt: Mit unabhängigem Journalismus und wahrer Information hatte das, was ich da fand, nichts zu tun.
Da erfuhren die Zeit-Leser in der Ausgabe vom 13. Januar 1961, Fidel Castro habe vor den Vereinten Nationen die »phantastische Anklage« erhoben, »die Vereinigten Staaten planten eine Invasion Kubas«. Zu diesem Zeitpunkt lagen schon erdrückende Beweise für die vorgesehene Aggression vor. Doch Die Zeit äußerte befriedigt, die Anklage Castros sei im UN-Sicherheitsrat »auf Unglauben« gestoßen. Unverständnis heuchelnd stellte sie fest: »Dennoch aber läßt der kubanische Diktator entlang der Nordküste seiner Insel Schützengräben ausheben und Küstenartillerie in Stellung bringen.«
Das wußte Die Zeit genau. Der monatelange Staatsterrorimus hingegen, mit dem die USA die Invasion vorbereiteten, blieb ausgeblendet. Kein Wort über die zahllosen Luftangriffe, die tödlichen Bombenanschläge, den Abwurf von Brandbomben über Zuckerrohrfeldern, Sabotageakte gegen Warenhäuser, Zuckerfabriken, Ölraffinerien und andere Betriebe sowie über den Abwurf von Waffen für CIA-Kommandos.
Am 20. Januar schauderte dem Blatt, daß in Kuba »der kommunistische Bazillus« zu finden sei – und nicht nur dort, »sondern auch in San Salvador, Guatemala, Honduras, aber auch in Venezuela, Bolivien, Chile und Brasilien...«. Am 10. Februar gab es großes Lob für »Washingtons neue Außenpolitik« des kurz zuvor vereidigten Präsidenten John. F. Kennedy, dessen Politik auf folgenden Nenner gebracht wurde: »Sprich sanft, aber trage einen dicken Knüppel!«
Ganz aus dem Häuschen geriet Die Zeit in der Ausgabe vom 21. April 1961, unmittelbar nachdem 1500 von den USA ausgebildete exilkubanische Söldner sowie ihre CIA-Führungsoffiziere mit US-Luftunterstützung und einem Konvoi von US-Kriegs- und Frachtschiffen in der Schweinebucht ihre Invasion begonnen hatten. Unter der Schlagzeile »Sturm auf Havanna« und »Mit dem ›Tag X‹ begann Kubas zweite Revolution« ergriff Die Zeit in ihrer Rubrik »Wissen«(!) die Partei der Aggressoren. Im Stil von Kriegsberichterstattung hieß es: »Über die Zuckerinsel in der Karibischen See hallen die Schüsse einer neuen Revolution. Der politische Naturbursche Fidel Castro... muß sein Regime in verzweifeltem Kampf verteidigen.«
Der Entdecker der »neuen Revolution« in Kuba, Zeit-Autor Hans Gresmann, brachte es später zum Fernseh-Chefredakteur, arbeitete mehrere Jahre als Rundfunkkorrespondent in Washington und wurde für »seine großen Verdienste um die deutsch-amerikanischen Beziehungen« mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse belohnt. SWR-Intendant Peter Voß würdigte 2006 seine »Fähigkeit, fundierte Sachkenntnis zu verbinden mit stilistischer Exaktheit...« So war auch der Ausgang des ungleichen Kampfes in Kuba für diesen fundierten Sachkenner sofort völlig klar: »Castro ist nicht stark genug, um die fünf- oder zehntausend Soldaten, die bislang gegen ihn angetreten sind, ›ins Meer zu fegen‹«.
Nach dem kläglichen Fiasko der USA klangen die Rückzuggefechte der Zeit in den nächsten Ausgaben (28. April und 5. Mai) nicht besser. Da war von einer »unglückseligen ›Befreiungs‹ Expedition« die Rede. Die CIA-Dolchstoßlegende wurde kolportiert: Die Invasion sei nur deshalb mißglückt, weil Kennedy sie nicht genügend unterstützt habe. »Der Zusammenbruch des kubanischen Aufstandes ist auch ein Zusammenbruch der halb versagten, halb gewährten amerikanischen Hilfsbereitschaft.« Für Die Zeit war beileibe keine USA-Invasion gescheitert, sondern nur ein Aufstand in Kuba zusammengebrochen.
Wohlwollend kommentierte Die Zeit, daß Kennedys nach der Niederlage »allen kommunistischen Zerstörungsversuchen den Kampf angesagt« und erklärt habe: »Unsere Geduld ist nicht unerschöpflich.« Die Antwort Fidel Castros auf diese Drohung verschwieg die Zeitung ihren Lesern. Sie lautete: »Seine Geduld geht also zu Ende. Und wie viel Geduld mußten wir haben, um mit der ökonomischen Aggression fertig zu werden, mit der wirtschaftlichen Blockade, der Streichung der (Zucker-)Quote, Luftangriffen, Attacken durch Söldner, der Bombardierung unserer Städte, Zerstörung unserer Zuckermühlen, Zuckerrohrplantagen, Betrieben…?«
Der Spiegel fabulierte am 19. April 1961 allen Ernstes, die Regierung der USA, die bereits seit über einem Jahr die Kuba-Invasion vorbereitete, habe erst kurz zuvor durch einen Exil-Kubaner von dem Plan erfahren. Wie immer, gab sich Der Spiegel bestens über Interna informiert: »Am 7. April erwies Washingtons Lateinamerika-Koordinator, Adolf A. Berle, dem 58jährigen Dr. José Miró Cardona zum ersten Mal die Ehre eines offiziellen Empfangs.« In Wirklichkeit stand Cardona bereits lange als Chef einer von der CIA ausgesuchten, von der US-Regierung bestätigten Putsch-Regierung fest, die in Florida darauf wartete, in den ersten Brückenkopf an der Schweinebucht ausgeflogen zu werden. Sie sollte sofort um offizielle US-Militärhilfe nachsuchen. Das Magazin aber behauptete, Cardona sei gekommen, »um die Yankees in eine geplante Invasion einzuweihen, mit der das linksradikale Langbart-Regime auf der Zuckerinsel zu Fall gebracht werden soll«.
»Langbart« gefiel den Spiegel-Autoren so gut, daß sie Kuba in den nächsten Heften mehrfach als das »antiamerikanische Langbart-Regime« oder die »Langbart-Diktatur« beschrieben. Als Außenminister Raul Roa vor der UNO erklärte: »Nun haben die USA ihren unerklärten Krieg gegen uns auch formell eröffnet«, war es nach Wahrnehmung des Spiegel der kubanische Politiker, der »zeterte« und der seine Anklagen dem US-Botschafter Stevenson »wütend zuschrie«.
Eine Woche nach dem Scheitern der US-Invasion berief sich Der Spiegel in Heft 18 auf eine weitere Legende von Cardonas »Revolutionsrat«: »Wir hatten nicht erwartet, daß wir von kommunistischen Experten gelenkten Sowjetwaffen gegenüberstehen würden.« Wieder tat das Blatt so, als ob ihm zuverlässige Informationen vorlägen, und verstärkte die Lüge der Exil-Kubaner noch mit der eigenen Behauptung (oder stammte sie von der CIA?): »In der Tat hatte Insel-Diktator Castro mit Stalin-Panzern und Mig-Düsenjägern die US-armierten Partisanenkrieger zersprengt und ihren Brückenkopf niedergewalzt, auf dem sich Cardonas Gegenregierung etablieren wollte.« Dann waren es sogar CSSR-Piloten, die den Sieg Castros herbeigebombt haben könnten: »Besonders verhängnisvoll mußte sich auswirken, daß die CIA eine Kriegslist Castros nicht durchschaut hatte: Seit Oktober 1960 weilten auf Kuba, der Öffentlichkeit und den Amerikanern sorgfältig verborgen, tschechische Piloten, die im Notfall Kubas 200 sowjet-importierte Bomber bedienen konnten.«
Der Haken an diesen Darstellungen: Panzer spielten keine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung, weil die Invasoren in einem Sumpfgebiet landeten, das nur drei Zugangsstraßen hatte. Sehr wirkungsvoll aber war der Einsatz von Flugzeugen. Doch da gab es keine tschechischen, sondern kubanische Piloten, denen es gleich am Morgen des ersten Invasionstages gelang, zwei der wichtigsten Versorgungsschiffe der US-Armada mit vielen Söldnern und nahezu dem gesamten Treibstoff- und Munitionsvorrat der Aggressoren sowie zahlreiche Landungsboote zu versenken. Die Piloten flogen auch keine sowjetischen MIGs, sondern Douglas B-26 und Lockheed T-33 aus den USA sowie britische Sea Fury, die noch aus den Beständen von Diktator Batista stammten. Kein Wort im Spiegel darüber, daß die Kubaner neun US-Kampfmaschinen abschossen und daß Kuba mit Ausweisen belegen konnte, daß US-Piloten die Maschinen gesteuert hatten.
Im Zusammenhang mit Kennedys Erklärung wenige Tage nach der Niederlage, daß seine Geduld mit Kuba »nicht unerschöpflich« sei, befand Die Zeit vom 28. April 1961: »Die Drohung ist nicht zu überhören, und sie soll auch nicht überhört werden. Sie kann bedeuten..., daß breitere und stärkere, von Nordamerika besser unterstützte Aufstände in Kuba folgen werden.« Das Blatt war zwar weit davon entfernt, sich von solch aggressiver Politik zu distanzieren, aber die Analyse traf diesmal zu: Kurz nach der Niederlage in der Schweinebucht begann die Regierung Kennedy eine für Oktober 1962 geplante umfassendere Invasion Kubas vorzubereiten, die »Operation Mongoose«. Sie wurde durch die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen und die nachfolgende »Raketenkrise« vereitelt.