Im Grass-Geschäft
In den Feuilletons zum Blechtrommler geht es zu wie im Finanzmarkt: Dem gerade erst in den Markt gebrachten spekulativen Kommentar wird ein noch spekulativerer draufgesetzt. Ich wunderte mich schon, daß »Sepp« sich noch nicht zu Wort meldete, Hans Ulrich Gumbrecht, vielfacher Ehrendoktor, aus dem Fränkischen stammend und in den USA eingebürgert, Favorit der deutschen Medien, wenn es gilt, »riskante Intelligenz« zu simulieren und Peter Sloterdijk, den er schätzt, noch zu überbieten. Aber jetzt ist auch Gumbrecht dabei, auf Welt online, mit einer geschichtsphilosophischen Sensation: Günter Grass repräsentiert den Mehrheitsdeutschen der Gegenwart, und der ist »radikaler Pazifist«, schlimmerweise, er hat »das Trauma von 1945 noch nicht überwunden« und aus der damaligen historischen Niederlage »eine für den Nazismus typische Mentalität« in die Gegenwart hineingeschleppt. All diese Kriegsgegner also sind, so lehrt es uns Gumbrecht, im Grunde unverbesserliche Nazis, eine These, mit der er offenbar dem Pazifismus ein für allemal ein ideelles Verbot verpassen will. Da könnte jemand die Frage stellen, wie sich denn diese Gumbrechtsche Deutung mit der realen Ideengeschichte verträgt: Eine höchst kriegerische Weltanschauung »radikalisiert« sich zur Absage an die Gewaltpolitik und bleibt doch nazibeseelt? Gumbrecht würde antworten: Wer so fragt, ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig, wegen unterkomplexen Sinnierens. Ganz originell ist die Darbietung Gumbrechts nicht. Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Beitrag unter dem Titel »Zehn Vorschläge zur Abschaffung des deutschen Pazifismus«, im vorigen Jahr auf telepolis-online erschienen, verfaßt von Peter Bürger. Kann sein, daß Gumbrecht, der vielgerühmte Literaturwissenschaftler, in diesen Text mal kurz hineingeschaut hat, weil er selbst ja schon seit längerem den Pazifismus abschaffen will – aber im Drang des feuilletonistischen Geschäfts nicht gemerkt hat: Bei dem Beitrag handelt es sich um eine Satire, Bürger ist engagierter Kriegsgegner.
Marja Winken
Warum denn so zurückhaltend?
Unter der Leitung des Volkswirtschaftswissenschaftlers Ulrich Blum wurde im Auftrag der Bundesregierung die ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern erforscht, wohl mit der Erwartung verbunden, Argumente zu finden, um den »Solidarpakt« für abschaffbar zu erklären. Einige Ergebnisse der Studie: Im Zuge der »Treuhand«-Politik haben westdeutsche und internationale Konzerne die lukrativen ostdeutschen Betriebe in ihre Verfügung übernommen, die innerostdeutschen Marktverflechtungen aufgelöst und ostdeutsche Industrie in eine Werkbank für externe Unternehmen verwandelt. Die Führungszentralen der in Ostdeutschland jetzt vertretenen Konzerne oder Dax-Unternehmen befinden sich im Westen, hier zahlen sie auch ihre Steuern, hier wird demnächst profitables Eigentum vererbt. »Westdeutschland verdient auch heute an der Einheit«, stellt Blum fest, und mit »Solidargeld« geförderte erfolgreiche Ostwirtschaft gehe weiterhin in Westbesitz über. Auch florierende Technologiezentren in den neuen Bundesländern seien wirtschaftsgeographisch »Fassaden«, wenn man nach den Stätten der Gewinnabschöpfung Ausschau halte. Die Bundesregierung hat die Resultate der Studie über ein Jahr lang der Öffentlichkeit vorenthalten, und Blum fiel in Ungnade. Warum nur? Bestätigt und belegt wurde doch, wie effektiv sich die »Markt«-Wirtschaft auch eine politische Wende zunutze machen kann, wie einfallsreich sie ist, wenn sich eine Chance ergibt, großen Besitz noch größer zu machen. Auf den Standort des Gewinns kommt es nicht an, wir sind ja ein Volk.
A. K.
Formulierungskunst
Bei einer Demonstration von »Kapitalismusgegnern« in der Metropole des deutschen Bankenwesens sei es, meldet die
F.A.Z. auf ihrer Titelseite, zu »Ausschreitungen« gekommen: »Etwa 4.000 Linksextremisten ... begingen in der Innenstadt zahlreiche Sachbeschädigungen und verletzten dabei auch Menschen, ein Polizist liegt auf der Intensivstation.« Da ist ja Frankfurt am Main noch mal glimpflich davongekommen – die Tausende von Teilnehmern an dieser Aktion strengten sich offenbar allesamt an, Gewalt gegen Sachen und Personen zu entfesseln und am Ende mußte nur ein Ordnungshüter ins Krankenhaus. Das hat der Kapitalismus also noch einmal überstanden.
M. W.
Die DDR, psychologisch erklärt
Die deutschen Fernsehanstalten haben sich einmal mehr der Honeckers angenommen. »Physiognomisch« könne man im Anblick solcher Bilddokumente nun die Geschichte der DDR deuten, meinte die
Süddeutsche Zeitung; sichtbar werde bei Margot wie bei Erich eine »autoritäre Blockwart- und Hausmeisterpsychopathologie, die sich über ein ganzes Land zu legen vermochte«. Nun sind wir erleichtert. Über die Gründe und Umstände des Zustandekommens, der gesellschaftlichen Probleme und des Untergangs der DDR müssen wir nicht weiter nachsinnen. Margot Honecker hatte den krankhaften Ehrgeiz, als oberste Volkshausmeisterin zu wirken, Erich Honecker wollte den Blockwart an der Spitze des Staates darstellen. Vermutlich ist ihm in den Gefängnisjahren diese von seinen Verfolgern erfundene Rolle ans Herz gewachsen, man weiß ja, die Pathologie ist ein verzwicktes Ding.
C. T.
Irma Sperling
Immer noch unabgeschlossen ist eines der entsetzlichsten Kapitel in der Geschichte der NS-Ära: die Euthanasie-Morde. Der Deutsche Bundestag weigert sich nach wie vor, die rassistische Motivation der Vernichtung Behinderter und damit die Gültigkeit des Bundesentschädigungsgesetzes für sie anzuerkennen. Die Zahl der Opfer ist sechsstellig, die Zahl der Zwangssterilisierten ebenso, und während die Behörden 1941 die Einstellung der Tötung erwachsener Behinderter verfügten, wurde die Ermordung behinderter Kinder bis 1945 fortgeführt.
Die Autorin Antje Kosemund, geborene Sperling, Jahrgang 1928, war das sechste von zehn Kindern in der Hamburger Familie Sperling. Sie mußte nach dem Tod ihrer Mutter 1942 die Versorgung der jüngeren Geschwister übernehmen. Ihre Schwester Irma, geboren 1930, ist eines der Euthanasie-Opfer. Antjes Buch enthält die eigene Lebensgeschichte im Zusammenhang mit der Geschichte ihrer Familie, und je weiter sie in ihrer Darstellung schreitet, desto stärker rücken Irma, ihr Leidensweg, die Einzelheiten ihrer Ermordung und die Bemühungen ihrer Schwester und ihrer Unterstützer in der Nachkriegszeit, den sterblichen Überresten der Toten eine ehrenvolle Bestattung zu sichern, in den Mittelpunkt.
Der Vater, Bruno Sperling, wurde 1933 als Mitglied im Antifaschistischen Kampfbund Barmbek-Süd verhaftet und mißhandelt und verlor seine Stellung als Angestellter der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Antje beginnt nach zwei unglücklichen Ehen 1959 eine Berufslaufbahn bei der Post. Gleichzeitig nimmt sie eine gewerkschaftliche Tätigkeit auf, engagiert sich in der Friedensbewegung und in der VVN, wo sie führende Positionen innehat. Sie geht daran, das Schicksal ihrer ermordeten Schwester aufzudecken. Irma wird 1933 in die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg eingeliefert aufgrund einer dubiosen Diagnose: »angeborene zerebrale Kinderlähmung«. Nach einem Jahrzehnt gehört sie zu einem Transport von 228 behinderten Frauen und Mädchen, die am 16. August 1943 nach Wien in die Anstalt Baumgartner Höhe (genannt auch: Am Steinhof) verlegt werden und von denen 196 umkommen (Tötung durch Essensentzug, Spritzen und andere Verfahren). Auf ihre Anfrage dort im Jahre 1984 erhält Antje falsche Auskünfte. Dem Haupttäter unter den Wiener Kindermördern in der NS-Ära, Gross, spendierte man nach dem Kriege nicht nur ein eigenes Forschungsinstitut, sondern er agierte auch als meistbeschäftigter Gerichtspsychiater Österreichs und bekam die höchsten staatlichen Auszeichnungen. Im Jahre 1994 erfuhr Antje durch eine Fernsehsendung von der »Gehirnkammer« in der Wiener Anstalt, einer Sammlung mit Hunderten Präparaten der Gehirne der Opfer. Antje verlangte die würdige Bestattung und die Errichtung einer Gedenkstätte. Sie erreichte, daß 1996 die Überreste von zehn Hamburger Opfern, darunter von Irma, im Geschwister-Scholl-Ehrenhain des Ohlsdorfer Friedhofs ein Urnenbegräbnis fanden. Die Wiener Sammlung wurde erst 2002 aufgelöst. Dabei fand sich ein weiteres abgetrenntes Stück Gehirn Irmas, eine »Gehirnscheibe«, die in einer bewegenden Feier im April 2002 in Wien beigesetzt wurde, drei Tage vor Einweihung der Gedenkstätte für die Euthanasie-Opfer auf dem Zentralfriedhof.
Wolfgang Beutin
Antje Kosemund: »Sperlingskinder. Faschismus und Nachkrieg: Vergessen ist Verweigerung der Erinnerung!«, VSA Verlag, 184 Seiten, 16,80 €
Matinee mit einem Zeitzeugen
Als sich am Sonntagmorgen des 1. April der Vorhang für Harry Belafonte öffnete, blickte er auf vollbesetzte Reihen. Die Volksbühne war ausgebucht. Der Mann strahlte. War ein solcher Andrang für eine Buchvorstellung zu erwarten gewesen, oder daß ihm gleich anfangs stehende Ovationen beschert sein würden? Beides wird ihn beflügelt haben. Denn Belafonte steigerte sich in freier Rede zu wahrer Erzählkunst – über seine Mutter, sprach er, diese schöne Tochter der Karibik, und wie sie dem Leben im New Yorker Harlem die Stirn bot, auch ihrem gewaltbereiten Säufer von Mann. Und wie sie allabendlich den kleinen Sohn Harry vor dem Zubettgehen dazu anhielt, sich auch morgen wieder gegen das Böse dort draußen zu wehren. Belafonte erzählte von Erwin Piscator, dem großen Theatermann aus Deutschland, und was alles von dem zu lernen gewesen war, und wie sie alle von ihm lernten – jene Anfänger mit großen Hoffnungen: Marlon Brando, Rod Steiger, Tony Curtis, Walter Matthau, Schauspielstudenten, die sich später große Namen machten. Brando erwähnte er so liebevoll wie einen Bruder und Sidney Poitier auch, der ihn nach Mississippi begleitet hatte, nachdem dort der Ku Klux Klan drei jungen Bürgerrechtskämpfern – Goodman, Schwerner und Chaney – aufgelauert und sie ermordet hatte. Und er erzählte von seinem Auftritt in Berlin im 1958er Jahr, den er wegen der Greueltaten an den Juden unter allen Umständen hatte auslassen wollen, und den er dann doch wahrnahm, weil ihm der Chef der Plattenfirma RCA, ein österreichischer Jude, dringlich dazu geraten hatte. Das damalige Erlebnis Berlin hatte ihn tief beeindruckt – und wird ihn an diesem Sonntag wieder beeindruckt haben, weil ihm das Publikum (wohl auch wegen der kompetenten Übersetzung Knut Elstermanns) gebannt zuhörte, und es die von Christian Brückner vorgetragenen Buchausschnitte aus der Autobiographie jubelnd begrüßte. So jubelnd, daß Belafonte dem Brückner spontan beide Hände reichte und man ihn sagen hörte: »I should take that man home with me.« Besser nicht – ohne Brückners Lesung aus »My Song« hätte es nach der Vorstellung keinen derartigen Andrang auf die Bücher gegeben. Belafonte wird sich beim Signieren die Finger wund geschrieben haben – bedenkenlos, denn was ist schöner als eine solche Resonanz!
Walter Kaufmann
... nie die Hoffnung aufzugeben
Der Nahostkonflikt erscheint vielen Nachrichtenkonsumenten als Auseinandersetzung zwischen dem von mosaischer Religion maßgeblich geprägten Staat Israel und einer feindlichen muslimischen Umgebung. Daß es in der palästinensischen Bevölkerung auch eine Minderheit gibt, die verschiedenen christlichen Kirchen anhängt, ist wenig bekannt.
Der italienische Journalist und Pax-Christi-Aktivist Nandino Capovilla hat während und unmittelbar nach der israelischen Invasion vom Dezember 2008 zahlreiche Telefongespräche mit dem Priester der katholischen Gemeinde von Gaza geführt. Zusammen mit einigen Fotos und Dokumenten hat er diese Interviews zu einem Buch zusammengestellt, um das Grauen des Bombenkrieges gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung zu vermitteln.
Manuel Musallam schildert in den Gesprächen nicht nur den Krieg, sondern auch die Schikanen des israelischen Militärs vor der Aggression. Gaza sei ein einziges Gefängnis gewesen, die Bewohner gegenüber den israelischen Soldaten völlig hilflos. Den Militärschlag habe er als die Hölle erlebt, kein Krieg gegen Soldaten, sondern ausschließlich gegen unbeteiligte Zivilisten. Auch sein Haus sei von einer Rakete getroffen worden, da man ihn als palästinensischen Katholiken verdächtigt habe, Mitglieder der Hamas zu beherbergen. Besonders nahe ging ihm zum Beispiel der Tod dreier Schulkinder, die von israelischen Raketen zerrissen wurden. Er schildert aber auch Beispiele der Solidarisierung verschiedener Bevölkerungsgruppen Gazas unterm Bombenhagel.
Die Naivität, mit denen der Priester manchmal Leute um Hilfe anfleht, von denen garantiert keine zu erwarten ist, mag befremden. Bewunderung verdient jedoch seine Haltung, wie er auch nach den Ereignissen, deren Zeuge er war, noch immer für Frieden und Verständigung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen seiner Heimat eintritt: »Und schließlich würde ich alle bitten, Juden, Muslime und Christen, Israelis und Palästinenser, nie die Hoffnung aufzugeben.«
Gerd Bedszent
Nandino Capovilla,: »Ein Priester in der Hölle«, übersetzt von Johanna Loquai, Zambon Verlag, 159 Seiten, 12 €
Kassenpatient
Wußten Sie schon, daß man aus deutschen Krankenhäusern nicht selten kränker an Körper und Seele herauskommt als man hineingeht?
Vor einigen Monaten wurde mein Freund Walter wegen Verdachts auf Herzinfarkt – eine Fehldiagnose, wie sich später herausstellte – in eine Klinik eingeliefert. Als erstes mußte er seine Versichertenkarte abgeben: AOK. Das erwies sich als ungünstig. In der Notfallstation geriet er an eine sehr junge Assistenzärztin und einen offensichtlich gestreßten Pfleger. Der Pfleger – Walter meint, es war ein Praktikant – bohrte wortkarg mehrmals in seinem linken Arm herum, bis er endlich eine passende Vene fand, um die Flexüle anzubringen und den Patienten an einen Tropf anzuschließen. Dann wurde Walter in ein Dreibettzimmer geschoben. Seine beiden Mitpatienten starben bald. Eigentlich war ihm schon klar, daß er keinen Herzinfarkt erlitten hatte, aber es fand sich niemand bereit, ihm zuzuhören. Zu Kontrollzwecken wurde ihm alle drei Stunden Blut abgenommen, allerdings aus dem rechten Arm, weil die Flexüle – offenbar ein Billigprodukt – nicht funktionierte. Ein Desinfektionsmittel wendete der wortkarge Praktikant nicht an. Er betastete die Armbeuge wie auch den Tupfer, bevor er ihn auf den Einstich drückte. Bald war Walters linker Arm dick angeschwollen. Es fehlte nicht viel – so sagt er –, und er hätte einen Herzinfarkt bekommen. Wäre er nicht Kassen-, sondern Privatpatient, hätte Walter Chefarztbehandlung beanspruchen können und womöglich bessere Chancen gehabt, das Krankenhaus gesund zu verlassen. Doch ihm als AOK-Patient war das nicht vergönnt. Als er einige Tage später mit seinem entzündeten Arm schwach und zittrig einen Arzt aufsuchte, bei dem er als Kassenpatient erst mal drei Stunden warten mußte, wurde bei ihm MRSA festgestellt: Multiresistenter Staphylococcus aureus. Hinter vorgehaltener Hand erfuhr er, daß die meisten deutschen Kliniken – im Gegensatz zum Beispiel zu niederländischen – von derartigen Keimen befallen sind, die inzwischen gegen sämtliche Antibiotika resistent sind. »Da kann ich weiter nichts machen«, soll der Arzt gesagt haben, vielleicht werde sich Walters Körper selber helfen. Der Körper tat es, allerdings dauerte das einige Monate, in denen sich Walter ziemlich elend fühlte. Weniger Glück hatte eine Patientin, die am Fuß operiert worden war und eine Knochenentzündung bekam; ihr wurde das Bein amputiert.
Kürzlich war zu lesen, daß in Deutschland jährlich bis zu 40.000 Menschen an Infektionen mit MRSA sterben. Seither hat Walters Abneigung gegen Krankenhäuser und gegen unser Gesundheitssystem traumatische Züge angenommen. Ihm wurde empfohlen, sich wegen einer Krankenhausphobie psychotherapeutisch behandeln zu lassen.
Wolfgang Bittner
An die Lokalpresse
Ich habe mich sehr über die Mitteilung gefreut, daß die Parkeisenbahn in der Berliner Wuhlheide jetzt wieder in den Frühling dampft. Sie war ja wegen der Mißbrauchsdelikte des Personals gegenüber dem minderjährigen Eisenbahnernachwuchs arg in Verruf geraten. Künftig soll die Ausbildung immer gleichzeitig von mehreren Profis vorgenommen werden. Keiner darf sich mehr mit einem Jungkader allein im Triebwagen aufhalten. Ich finde das richtig, halte es aber in Hinsicht auf die Gefahren des rollenden Verkehrs noch nicht für ausreichend. Deshalb schlage ich vor, die generelle Geschlechtertrennung im öffentlichen Nahverkehr einzuführen, in den Schulen wie zu Kaisers Zeiten getrennte Mädchen- und Knabenklassen einzurichten und die bei unseren türkischen Mitbürgerinnen übliche Verhüllung während der Fahrten für alle Mädchen generell und unabhängig von nationalen Besonderheiten gesetzlich festzulegen. Die Kontrolle der Maßnahmen sollte erfahrenen katholischen Heimerziehern überlassen werden. – Hedwig Aufrecht (62), Anstandslehrerin, 16928 Kuckuck
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Ick finde, det is ne janz coole Idee mit die Horch- und Kiek-Klamotten-Ausstellung in de Jalerie »morgen contemporary« in de Oranienburjer! Da kann ick nur saren, nischt wie hin! Da kann man noch mal sehen, wie raffiniert sich die Stasi-Spitzel jetarnt ham, um an die Leute ranzukomm` und sie unauffällich auszuhorchen! Det die alle ne Sonnenbrille uf ihre Schnüffelneese hatten, det hat ja jeder jewußt, aba det die ooch in janz normale Klamotten rumjeloofen sind, also det is `n Ding! Im Winter ha`m die sich mit een dicken Ulster und eene Pelzmütze jetarnt, und im Sommer sind die sojar manchmal um de Beene nackich und mit Jesuslatschen rumjeloofen! Jut, det man det nochmal zu sehen kricht aus die finstere DDR-Zeit!
Jetzt meen ick aba, det die Herren vom Verfassungsschutz ooch mal ihre Vakleidung offenlejen soll`n! Det hat nischt mit Neujierde zu tun, es is wejen unsre Sicherheit. Zum Beischbiel, wenn ick Nazis sehe, die die Leute vahau`n oder so wat allet, denn weeß ick doch jleich, an welche jetarnten Bürjer ick mir wejen die Information wenden muß. Die merken det ja nich von alleene, det ham wa ja bei die Nazimorde jrade mal wieda jesehn. Denn hätten de Vafassungsschützer ooch mal een Erfolchserlebnis, und det durch Hinweise aus die Bevölkerung, und die krichten ihr Jehalt nich umsonst. – Werner Kiekebusch (58), öffentlicher Mitarbeiter bei de Entsorjung, 10316 Berlin-Rummelsburg
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In verschiedenen Tageszeitungen sucht die Klinische Forschung Berlin-Buch GmbH Testpersonen für neue Versuchsreihen unter dem Motto »Wir freuen uns auf Sie! Leiden Sie auch an COPD? Machen Sie mit!« Nun weiß ich leider nicht, was COPD ist, es muß aber etwas sehr Schönes sein, und die Versuchspersonen werden sicher viel Spaß haben. Und vielleicht gibt’s dafür sogar noch Geld? Können Sie mich bitte mal genauer über COPD und die näheren Bedingungen informieren? – Helene Huschke (51), Hausfrau, 10407 Berlin
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Wie die Zeitungen mitteilen, werden durch die Inbetriebnahme des neuen Airports für Berlin und Brandenburg 4.000 neue Arbeitsplätze geschaffen! Das zeigt, wie wichtig der Großflughafen für die Menschen unserer Region ist. Jetzt möchte ich aber mal wissen, was nach der Schließung aus den Tausenden Mitarbeitern des Flughafens Tegel wird. Werden die alle übernommen? Bleiben dann überhaupt noch Arbeitsplätze frei? Und stimmt es, daß die von Schönefeld übernommenen Mitarbeiter aus Tegel dann weniger verdienen, weil der Flughafen ja nicht mehr im Westen, sondern im Osten mit den niedrigeren Tarifen liegt? – Melitta Zahlbaum (47), Angestellte, Berlin-Hakenfelde
Wolfgang Helfritsch