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Titel082013

Berliner Theaterspaziergänge  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Vor 15 Jahren schloß ich eine Betrachtung anläßlich des 200. Geburtstages von Heinrich Heine mit dem Satz: Die Deutschen haben ihren Frieden mit Heinrich Heine geschlossen. Das hieß auch: Sie haben ihn angenommen. Shoah und Weltkrieg hatten eine Umkehr eingeleitet, auch wenn es bereits vor 1933 Bemühungen um Heine gegeben hatte, unter anderem erste große Ausgaben, Lesetexte in größeren Büchern, erste Denkmäler. Freilich hatte der kalte Krieg eine gemeinsame deutsche Ausgabe verhindert. Im Ergebnis entstanden zwei: die tatsächliche Heinrich-Heine-Säkular-Ausgabe – getragen von der DDR und der Republik Frankreich, hergestellt vorwiegend in Weimar, aber mit internationalen wissenschaftlichen Editoren – sowie die Düsseldorfer Ausgabe, getragen vom Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut, welches durch diese ebenfalls große kritische Edition gewaltig wachsen konnte und bis heute mit Museum ein Anlaufpunkt für die Welt ist. Weimar ist das auch, doch da blieben Goethe und die anderen Weimarer Klassiker Mittelpunkt.

Heine nun als der deutsche und eben auch jüdische Botschafter auf Augenhöhe mit anderen Dichterkollegen. Berlin ehrte Heine jetzt zu einem gänzlich unrunden, nämlich 157. Geburtstag gleich zweimal: im Jüdischen Theater Bimah in der Friedrichstraße und schräg gegenüber im Berliner Ensemble, einmal ausgewählt und inszeniert vom Leiter der Bimah, dem Israeli Dan Lahav, zum anderen von der Dramaturgin Jutta Ferbers. Erste Feststellung: Die beiden Hervorbringungen konnten unterschiedlicher nicht sein. Doch heinisch waren sie beide.

Der Abend in der Bimah hieß »Hebräische Melodien«, seine Grundlage bildete das dritte »Buch« des Gedichtbandes »Romanzero« von 1851. Es enthält solche Gedichte wie »Prinzessin Sabbat«, »Jehuda ben Halevi«, ein als »Fragment« bezeichnetes Verspoem über den historischen jüdisch-spanischen Dichter des Mittelalters (vor 1075–1141) sowie das trochäische Versgedicht »Disputation«, worin ein mittelalterliches Streitgespräch zwischen einem Franziskanermönch und einem Rabbiner am Hofe nachgestaltet wird: Der Mönch, recht brachial und vulgär, der Rabbi eher spitzfindig-intellektuell führen einen Disput um die Frage, welche wohl die bessere Religion sei – die christliche oder die jüdische. Heines Parteilichkeit schimmert durch, doch im Grunde sind für ihn beide Religionen überholt – beide Fechter »stinken«, läßt er die Königin Donna Blanka am Ende befinden. Der Dichter – ursprünglich durchaus ein Pantheist – war konsequenterweise Atheist geworden. Kurz vor seinem Tode hatte er auf die Frage des Freundes Alfred Meißner, wie er mit seinem Gott stehe, geantwortet: »Dieu me pardonnera, c’est son métier!« (Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf!) Und auf die Frage eines Priesters, ob er als Gottesleugner sterben wolle, kam die Antwort: »Oui, c’est de mon métier!« (Ja, das gehört zu meinem Beruf!). Das ist eindeutig.

Drei Schauspieler und eine Sängerin bestritten das Programm – überzeugend, künstlerisch-intellektuell, wenn auch nicht in großem Gestus! Hinzufügen könnte man noch das Jugendgedicht »An Edom!«

Sehr anders das Programm des BE, schon allein von der Größenordnung her: im Foyer eine Art Stellage mit Sitzen, neun Schauspieler und Tobias Schwencke am Flügel und mit Posaune. Sie stellten mit 48 Textstücken quer durch das Gesamtwerk fast den ganzen Heine vor, den Liebeslyriker und den Spötter, den philosophischen, ästhetischen und politischen Dichter, den Programmatiker und Essayisten, den Reisenden und den Kranken der Matratzengruft, den Enthusiasten und den Tragiker – nur nicht den Juden. Insofern ergänzten sich die beiden Programme vortrefflich. Freilich: Die BE-Darsteller waren fast ausnahmslos die Stärkeren, und man merkte die Regie. Hier wurde Theater gespielt, in der Bimah rezitiert und gelesen. Sicher: Der Dichter war selbst kein Theatermann, seine beiden Stücke hatten wenig Wirkungsgeschichte, doch hatte er Theater viel besucht, geliebt und oft darüber geschrieben. So war er dort an der Stätte, wo Welttheater gemacht worden ist, auch richtig am Platz. Doch, wo viel an Gutem gemacht wird, kommt oft etwas zu viel. Ja, Ihr Guten, etwas weniger wäre mehr gewesen – Heines Texte sprechen für sich. Sie waren sein »Metier«!