Noch einmal »Der Kirschgarten«, die Thomas-Langhoff-Inszenierung von 2011 am Berliner Ensemble. Ich tat etwas, was bereits Jhering und Luft jüngeren Kritikern empfohlen hatten: Inszenierungen verfolgen, besonders langlaufende, eventuellen Verschleiß aufdecken. In Berlin mit circa 50 Bühnen ist das schwer. Ich tat es kürzlich mit »Der Kirschgarten« und konnte feststellen, daß sich die Inszenierung nur unwesentlich verändert hatte, ansonsten stabil, indes publikumsaktiv geblieben war – es gab Nuancen durch zwei Umbesetzungen: Boris Jacoby für Dejan Bucin (Jascha) und Detlef Lutz für Jürgen Holtz (Firs), sicher schwer beschreibbar. Nur so viel: Holtz wird schwer ersetzbar sein, diese Aura – noch dazu in einer Idealbesetzung – hat nicht jeder.
Eine weitere Produktion am Bertolt-Brecht-Platz ist »Peter Pan«. Für Regie, Bühne, Lichtkonzept zeichnet der altbekannte Theatergeometriker Robert Wilson verantwortlich, ein Geometriker in Raum und Zeit, soweit sich das vergleichen läßt. Wenn der doch nur mal eine Fabel hätte und gestisch spielen könnte! Nein: nur konturenreiche Figuren und Konstruktionen aus Licht und Farbe. Und nun erzählt der eine Geschichte, die Geschichte einer Mutter und der Verführung eines Kindes, elementar wie schön gemacht von Traute Hoess. Und Peter Pan? Dieser Wirrkopf, der sich an nichts mehr erinnern kann? Was macht den so erfolgreich? Ich denke, das könnte ein Entfremdungsthema sein – mit sozialen Konturen und ein wenig Liebe aller Schattierungen bis zur Homoerotik. Aber dieser Ideenkreis oder -strom geht in Choreografie, Lichtglanz und Unterhaltung unter und dann aus, Liebe vor allem. Übrig bleibt eine elegante und lichtgetränkte, wiewohl hochgestochene Banalität. Das können selbst erfahrene Schauspieler wie Anna Graenzer (Wendy), Sabin Tambrea (Peter), Martin Schneider (schwacher Vater) und Stefan Kurt (Kapitän Hook) nicht ausgleichen. Übrig bleib ein Show-Wert und kein ethisch-sozialer, und wenn einer, dann einer der Überflüssigkeit. Daß der Meister vor dem Haus nicht von seinem Podest gesprungen ist und dem Wilson mal einiges mehr von Theater beigebracht hat – er hat es wohl aufgegeben!
Ich ziehe weiter: zum Deutschen Theater. Ein Stück im Repertoire trägt den Titel »Demokratie«, von Michael Frayn, inszeniert von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel. Die »großen« Zeitgenossen spielen unter anderem Felix Goeser (Willy Brandt), Daniel Hoevels (Günter Guillaume), Michael Schweighöfer (Arno Kretschmann), Helmut Mooshammer (Horst Ehmke), Andreas Döhler (Helmut Schmidt), Markwart Müller-Elmau (Hans-Dietrich Genscher). Sie haben es schwer, sie spielen Personen der Königsebene, von denen ein Teil noch lebt, die viele kennen, vorrangig aus den Medien. Es ist nicht leicht, diese Personnage zu profilieren, gewisse Ähnlichkeiten herzustellen, ohne nachzuäffen, die Vorgänge darzustellen, unter anderem Aufbau und Weg eines Meisterspions. Der Ernst von Weltpolitik in einer Komödie untergebracht (vielleicht trägt der Begriff »Comedy« besser oder Farce?). Zwischen Aufklärung und Clownerie, staatsmännischer Form und etwas Schmiere bewegte sich der Abend sowohl lehrend wie unterhaltend. Als linker Zeitgenosse und aus dem antifaschistischen Widerstand kommend, an Frieden und Sozialismus interessiert und beteiligt, kann ich kommentierend nur dazu sagen: Einen größeren Fehler hätten die sozialistische Seite und ihr Geheimdienst nicht machen können: Es war auch eine Tragödie, die Farce im Gefolge hatte, um Hegels Überlegung aus den »Vorlesungen über Philosophie der Geschichte« und Marxens gedankentiefem Satz aus dem »Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte« (1852) zu folgen: »Er [Hegel] hat vergessen hinzuzufügen: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« So war der Abend eine gute Farce und im Grunde eine Schule der Demokratie.