Wo die Politik versagt, interveniert die Justiz, das ist in Italien längst üblich geworden.
Daß die wachsenden Dimensionen des Massentourismus die fragilen Strukturen Venedigs in vieler Hinsicht seit langem überfordern und angreifen, ist bekannt. Doch erst die auch alle optischen Dimensionen sprengenden Horrorfotos schwimmender Hochhäuser vor den Palazzi der Lagunenstadt ließen eine Weltöffentlichkeit aufhorchen und lösten schließlich Wellen auch internationaler Empörung aus. Aber erst die Katastrophe der »Costa Concordia« vor der Giglio-Insel (2012) führte nach langem Hin und Her dazu, daß die oberste Hafenbehörde – die nicht etwa der Stadt, sondern dem römischen Verkehrsministerium untersteht – endlich Gegenmaßnahmen ergriff.
Ein Verbot für die Kreuzfahrt-Riesen im Giudeccakanal und vor S. Marco hatte im Herbst 2013 die Durchfahrt auf Schiffe bis 40.000 Bruttoregistertonnen (BRT) beschränkt, die größeren mußten seitdem im Hafen von Triest anlegen. Doch die großen Reedereien legten Protest ein, und die Hafenbetriebe im Passagierterminal riefen das Verwaltungsgericht (TAR) an, das nunmehr das Durchfahrtsverbot aufhob – mit Wirkung vom 5. April an, wenn nämlich auch die Lagunenzufahrt durch die Bocca di Lido, die derzeit durch die gigantischen Baumaßnahmen des Flutschutzprojekts MO.S.E. behindert ist, wieder zugänglich sein wird. Die Liste der ersten Riesen, die mit mehr als 140.000 BRT sich dann wieder tagtäglich durch das Markus-Becken schleppen lassen, ist bereits einsehbar, zu ihnen wird sich auch eine »Queen Elizabeth« gesellen, die sich nicht zu schade ist, bereits Mitte Februar im Magazin der FAZ zu werben: »Den Markusplatz besichtigen. Diesmal vom Achterdeck. Auf der Queen im Mittelmeer«. Die Brutalität unserer sogenannten Hochkultur kann kaum gewissenloseren Ausdruck finden.
Doch wie ist das Urteil des TAR begründet? Es zeiht alle verantwortlichen Instanzen der Untätigkeit während der letzten Jahre: Sie hätten bisher keine praktikablen Alternativen gefunden. Eine Ohrfeige für die (Mitte-links-) Stadtregierung, deren schwaches Lavieren zwischen den divergierenden Interessen innerhalb der Stadt zum Ausgangspunkt der Problematik zurückführt. Es geht um die Frage nach der Zukunft der Hafenstadt Venedig, deren Lagune den neuen globalen Anforderungen der Container- und Riesendimensionen nicht gewachsen ist, beziehungsweise nicht so angepaßt werden kann, wie es die »Modernisierer« wollen. So favorisiert die oberste Hafenbehörde das Projekt, einen weiteren tiefen Kanal (Canale Contorta) durch die Lagune auszuheben, der die Riesenschiffe nach wie vor direkt an die Stazione Marittima nach Venedig bringen soll, wenn auch nicht mehr direkt vor S. Marco. Das wäre erneut ein äußerst teures Mammutprojekt, das Jahre dauerte und das schon prekäre Gleichgewicht der Lagune – die über 1000 Jahre ein lebendiger Lebensraum der Stadt war – wohl definitiv zerstörte. Zwei Alternativen sind zum einen der vom Bürgermeister favorisierte Ausbau der Hafenanlagen am Festland in Marghera (Arbeitsplätze) – der Weg dorthin führt die Schiffe ebenfalls durch die Lagune –, zum anderen ein ganz neuer »Offshore«-Hafen außerhalb der Lagune, nahe der neu entstehenden MO.S.E.-Insel, die ja gerade die Lagune schützen soll. Die letztere Variante, die durch ihre Reversibilität auch endlich den bestehenden Gesetzen entspräche, wird von Umweltverbänden wie »Italia Nostra« verfochten, weil diese Lösung die Lagune selbst entlasten würde. Aber sie scheint die am wenigsten profitträchtige zu sein. Der politische Kampf um die verschiedenen Varianten mit ihren jeweiligen Gutachtern ist ein ungleicher, wie schon vor über zwanzig Jahren das Durchpowern des MO.S.E-Projektes gezeigt hat, das sich nun seiner späten Fertigstellung nähert, 2016 soll es einsatzfähig sein.
Doch schon 2015 droht der Lagune eine zusätzliche Überschwemmung durch Millionen Expo-Besucher, die von der Weltausstellung in Mailand Abstecher nach Venedig machen werden. Auch eine Straßenbahn vom Festland zur Stazione Marittima, einen peripheren Stadtteil zerteilend, soll bis dahin fertiggestellt sein. Der Kampf zwischen David und Goliath wird also weitergehen.