Die moderne Werbung verkauft konsumorientierte Traumwelten. Sie vermarktet Lebensentwürfe und propagiert käuflichen Lifestyle. An der unterhaltsamen Vermarktung eines »verflüssigten Lifestyle« beteiligt sich seit einigen Jahren der schmucke Hollywoodstar George Clooney, der sich zur Werbe-Ikone von Kaffeekapseln gemausert hat.
Kaffee ist ein Alltagsprodukt, oftmals profan zubereitet und serviert. Die Kaffeekapselmanie der letzten Jahre stemmt sich dieser Tendenz mit aller Kraft entgegen. Sie umfaßt dabei den Versuch einer profitorientierten Neuerfindung der Kulturtechnik des Kaffeekonsums: Kaffeekochen als exklusiver Lebensstil, verbunden mit dem Versprechen gesellschaftlich honorierter Individualität.
Geschichtlich betrachtet zeichnete sich der Kaffeekonsum in Europa und Nordamerika durch eine intensive Verquickung wirtschaftlicher Interessen mit der Funktion gesellschaftlicher Repräsentanz, Teilhabe und Ausgrenzung, Kommunikation, sozialer (Selbst-)Disziplinierung und Mobilisierung aus. Von der arabischen Halbinsel aus traten die gerösteten Bohnen ihren Siegeszug im aristokratisch-frühkapitalistischen Europa an. Ab dem 17 Jahrhundert überzogen europäische Kolonialmächte, allen voran die Niederlande, gefolgt von Frankreich, Großbritannien, Spanien und Portugal, ihren globalen Besitz mit profitversprechenden Kaffeeplantagen. Aus dem Blut und dem Schweiß der Sklaven wurde Kaffee destilliert. Im Zeitalter der Aufklärung avancierte das Heißgetränk zum Symbol für geistige Wachheit und erstrebenswerte Nüchternheit, während die Industrielle Revolution den Kaffee zum Ecstasy des Proletariats werden ließ, das die Lohnabhängigen bei ermattenden Zehn- bis Zwölfstundenschichten aufputschte und arbeitsfähig erhielt. Kaffee wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhundert zum Volks- und Klassengetränk, das sich in seiner Qualität (edle Auslese bis hin zum Kaffeesurrogat mit teilweise abenteuerlichen Ingredienzien) sowie in der Art und Weise des Konsums (vom bohèmen Künstlercafé bis zur proletarischen »Berliner Kaffeeklappe«) stark unterschied. An den menschenunwürdigen Verhältnissen auf den Plantagen in den Kolonien änderte sich auch im Lichte des globalen Kapitalismus nicht viel. Konstanten der Produktion und des Handels bildeten neben der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft die Spekulation sowie permanente Überproduktions- und Überkonsumptionskrisen.
Im Westdeutschland der 1950er Jahre wurde »der gute Bohnenkaffee« zur flüssigen Begleitung der »Freßwelle«, das fordistische Heilsversprechen vom (bescheidenen) Luxus für alle schien sich erfüllt zu haben. Regelrechte Kaffee-Imperien wuchsen heran, und der Zeitgeist der Siebzigerjahre ließ löslichen Kaffee zum Inbegriff der Autofahrergesellschaft werden: modern und schnell zubereitet.
Die sozioökonomischen Utopien der Eine-Welt-Bewegung zerstoben in den fortschreitenden 1990er Jahren rasch, zurück blieben verschuldete Entwicklungsländer in Abhängigkeit des konsumierenden Westens. Gleichzeitig wandelte sich das Konsumverhalten der westlichen Verbraucher: Nur Kaffee war vielen nicht mehr genug, das Heißgetränk hatte fortan Lifestyle-Erwartungen zu erfüllen. Ökologisch bewußter Konsum nach Fair-Trade-Richtlinien wurde genauso wie neue Zubereitungsformen in ein System des modernen Kaffee-trinkens integriert.
Der Hype um Kaffeekapseln (coffee capsules), kleine Aluminiumtöpfe mit rund fünf Gramm Kaffeepulvereinwaage, gewann in Deutschland ab dem Jahre 2010 spürbar an Fahrt, woran maßgeblich das Unternehmen Nespresso, Tochterfirma des schweizerischen Nahrungsmittelriesen Nestlé, einen Anteil hatte. Nespresso erfand das allbekannte Produkt vollkommen neu, packte es in eine stylische bunte Hülle, erweckte durch den Aufbau eines regelrechten Netzes von Verkaufsstützpunkten, Boutiquen genannt, den Eindruck einer gehobenen Ware, deren Kauf etwas Besonderes darstelle und den Käufer zum Teil eines gehobenen Konsumentenzirkels aufsteigen lasse. Ein eigener Club läßt eine Logenatmosphäre aufkommen, der gehobene Preis pro Kapsel erzeugt das Gefühl, etwas Kostbares erworben zu haben, die verschiedenen Kaffeespezialitäten erwecken den Eindruck einer gewissen Individualität. Eine Kapsel, eine Portion – wann immer du möchtest. Und die Werbung mit George Clooney tut ihr übriges, aus jedem Kapseltrinker einen Möchtegern-Star zu zaubern.
Mittlerweile muß sich Nespresso den rapiden Wachstumsmarkt – allein im laufenden Jahr ist mit wachsenden Verkaufserlösen von rund 30 Prozent zu rechnen – mit diversen Mitbewerbern teilen. Sogar ein Lebensmitteldiscounter brachte ein günstiges Kapselsystem auf den deutschen Markt. Der Vorteil für alle Unternehmen liegt auf der Hand: Kostet eine Tasse normal zubereiteten Kaffees 0,05 Euro, beträgt die Gewinnspanne bei einer Tasse Kapselkaffee rund 0,40 Euro – das Kilo Kapselkaffeepulver bringt den Unternehmen somit rund 80 Euro ein. Der Lifestyle ist der Ausweg aus der Überkonsumptionskrise, die Möglichkeit des kultischen Wachstums in einem ansonsten relativ starren Marktsegment. Dabei zeigt sich die häßliche Fratze monopolistischer Bestrebungen: Mittels kleiner technischer Tricks wird verhindert, daß Kunden (günstigere) Kapseln der Konkurrenz für ihre Maschinen verwenden. Die in sich geschlossene Kaffee(kapsel)philosophie soll sich auf dem ökonomischen Unterbau eines in sich geschlossenes Vertriebssystem erheben.
Der propagierte Kaffeeindividualismus hat seinen Preis: Rund 4000 Tonnen Aluminiummüll werden im laufenden Jahr in Deutschland anfallen, prophezeite Birger Nicolai in einem Artikel in der Welt. Aluminium ist in der Produktion sehr energieintensiv, und selbst über den Weg des Recyclings läßt sich der negative ökologische Fußabdruck der Kaffeekapsel nur geringfügig verbessern. Neue Entwicklungen unabhängiger Produzenten greifen die Idee einer mehrfach wie individuell (wieder-)befüllbaren Kaffeekapsel auf. Ob sich diese Idee in die dynamisch wachsenden, dabei jedoch großunternehmerisch gefestigten Strukturen von Produktion und Vertrieb integrieren läßt, ist fraglich. Wie kapitalistisch-grün kann der Kaffeekapselmarkt in Deutschland werden, ohne die Bruderbande von Bedürfnisbefriedigung und Bedürfnisproduktion brutal zu zerreißen? Ob George Clooney die Antwort weiß oder aus einer der vielen bunten Aluminiumdöschen pressen kann, bleibt abzuwarten.