In Deutschland – so ist zu lesen – gibt es zu viele Universitätskliniken. Ihr Ausbau seit den 1970er Jahren hat seinen Zweck, Versuchs- und Entwicklungsstätten für die Pharma- und die Medizingeräteindustrie zu schaffen, erfüllt. Nun stehen die Betongiganten in der Landschaft, ihre Unterhaltung und Modernisierung kosten Bund und Länder viel zu viel, und der Ausweg der Privatisierung hat auch nicht die erhoffte Lösung gebracht.
Zu einem viel diskutierten Beispiel für diese Problematik ist der 2005/2006 erfolgte Verkauf des Universitätsklinikums Gießen-Marburg (UKGM) an die Rhön-Klinikum AG geworden (s. Ossietzky 10/13). Es scheint, als habe dieser Konzern sich damit übernommen. Eine millionenschwere Partikeltherapie-Anlage in Marburg wurde zwar gebaut, aber nicht in Betrieb genommen. Mittlerweile hat die Rhön-Klinikum AG 40 Kliniken an den europäischen Player Fresenius-Helios verkauft und versucht nun, mit dem Uniklinikum endlich Gewinne zu erzielen.
Dabei zeigt sich, daß es einem Balanceakt auf der Rasierklinge gleichkommt, herkömmliche Qualitätsansprüche an ärztliche und pflegerische Betreuung mit straffer Rationalisierung in Einklang zu bringen. Inzwischen sind selbst die Medien mißtrauisch geworden: Weiterer Stellenabbau wird negativ kommentiert. Berichte in Presse und Fernsehen über Behandlungsfehler, ärztliche Geldgier und gehetztes Personal, das häufig die deutsche Sprache nicht beherrsche, sind an der Tagesordnung.
Doch es hilft alles nichts: Bei Strafe des Untergangs darf der Cashflow nicht stocken. Und so versuchen die Konzernoberen unter anderem, Klinikchefs materiell mit Chefarztverträgen zu locken. Diese sehen großzügige Boni vor, wenn die Fallzahlen weiter steigen und die Auslastung der vorhandenen Betten 100 Prozent und mehr beträgt. Nur ein einziger Chefarzt im Marburger Klinikum soll die Unterzeichnung eines solchen Vertrages als unethisch abgelehnt haben.
Neuerdings gibt es im UKGM sogenannte Streubetten. Sie dienen der optimalen Auslastung der Kapazitäten. Streubetten unterscheiden sich rein physisch nicht von regulären Krankenhausbetten. Die Besonderheit, die sie auszeichnet, besteht darin, daß sie – anders als Nicht-Streubetten – keinen festen Standort in der Klinik haben. Sie sind wohl formal einer bestimmten Abteilung und Station zugeordnet, doch wenn diese voll belegt ist, werden PatientInnen zunächst dorthin verfrachtet, wo gerade ein Bett frei ist. So bekommt beispielsweise die Wöchnerin mit ihrem Neugeborenen im Zweifelsfall kurzzeitig Gesellschaft von einer Patientin, die vielleicht am nächsten Tag den Oberschenkelhals operiert bekommen soll, anschließend vielleicht eine Zimmernachbarin, die von einem Tumor im Bauchraum befreit werden möchte, und so fort. Wird auf der für die Mitpatientin zuständigen Station ein Platz frei, wird sie dorthin umgeschoben und damit ist die Wechselbelegung für sie beendet.
Nun ist ein Krankenhaus kein Hotel, und da erscheint die Klage über ständig neue Gesellschaft vielleicht als Kritik auf sehr hohem Niveau, ist Frau oder Mann doch froh, überhaupt schnell einen Platz bekommen zu haben, solange Therapie und Pflege stimmen. Wo also liegt das Problem?
Das zuständige Personal – für die Kliniken vor allem ein Kostenfaktor und deshalb ohnehin sparsam eingesetzt – zieht seine Kompetenz und Expertise zum einen aus der in der Regel dreijährigen grundständigen Ausbildung und eventuell aus der Fachqualifikation durch Weiterbildung. Doch erst Berufserfahrung und Routine in einem bestimmten Bereich machen die Pflegenden zu echten Fachkräften. Sind sie aber vor allem mit administrativen Aufgaben wie Aufnahme, Entlassung, Verlegung und Umlenkung von PatientInnen und Angehörigen beschäftigt, geht das von der ohnehin zu knappen Zeit für individuelle Zuwendung und Beschäftigung mit einzelnen PatientInnen (Beobachtung von Heilungsverlauf und Komplikationen oder auch Hilfe bei Grundpflege) ab.
Auch müssen die DienstärztInnen zusätzlich lange Wege zurückzulegen, um »ihre« PatientInnen an den Streubetten aufzusuchen. In einer ohnehin gespannten Personalsituation fühlen sich PatienInnen tendenziell wenn nicht als Störfaktor, so doch als Belastung für das ärztliche und pflegerische Personal, dem man am liebsten helfend beispringen würde.
Die Erfindung der Streubetten ist ein Symptom für eine darüber hinausgehende Tendenz: Unikliniken werden zu Fabriken für Hochleistungsdiagnostik und Operationstechnologie am Fließband. Patient und Patientin sind Werkstücke, die von einem Patiententransportdienst – so heißt er wirklich – zu den Funktionsbereichen gebracht und dort auf dem Flur abgestellt werden, nicht wissend, wann sie an der Reihe sind. Dann werden sie in die Hightech-Geräte eingepaßt, »durchgecheckt«, später durch den OP geschleust, um daraufhin so schnell wie möglich in den Zuständigkeitsbereich der ambulanten Versorgung übergeleitet zu werden.
Die Dystopie der vollautomatisierten menschenleeren Fabrik, wo Pflegeroboter das Werkstück Patient an die jeweiligen Orte verbringen, ist wohl wegen der Besonderheiten der Gattung Mensch nicht leicht zu realisieren. Doch Streubetten und durchfunktionalisierte Abläufe zeigen, wohin die Reise geht, solange es überhaupt noch Großkliniken gibt. Der nächste Schritt in der Logik der Rationalisierung wäre nämlich ihre Ablösung durch dezentrale Diagnostik- und Behandlungszentren mit rotierenden PatientInnen und eine endgültige Auslagerung der Krankenpflege in den ambulanten Bereich.