Im August 2014 kam der Film »Des lendemains qui chantent« in die französischen Kinos. Diese Parole der linken Bewegung (man kann sie mit »Eine rosige Zukunft« übersetzen) stammt von dem linken Schriftsteller und Abgeordneten Paul Vaillant-Couturier. Es sind die letzten Zeilen eines Gedichtes, welches er 1937, kurz vor seinem Tod, geschrieben hatte. Auch der 1941 von den Deutschen hingerichtete kommunistische Abgeordnete Gabriel Péri berief sich in seinem Abschiedsbrief auf diese Zeilen. Im Nachkriegsfrankreich war die Linke zwar stark, konnte aber nie eine parlamentarische Mehrheit erringen. Die streng auf die Sowjetunion orientierte kommunistische Partei (PCF) erreichte 1967 mit 22,7 Prozent ihren höchsten Stimmenanteil. Die sozialistische Partei (PS), die sich unter der Führung von François Mitterrand 1969 neu gründete, griff einen Teil der Forderungen der 68er-Bewegung auf und sah sich nunmehr als linke Partei. 1981, 36 Jahre nach Ende des Krieges, schien die Verheißung von Vaillant-Couturier und Péri endlich in Erfüllung zu gehen: Mit den Stimmen der Kommunisten wurde Mitterrand der erste linke Präsident.
Der Film beginnt mit dem legendären Wahlabend, dem Siegestaumel, den spontanen Umzügen, den ausgelassenen Festen bis zum frühen Morgen. Olivier und Léon, zwei Brüder aus St. Étienne, haben sich in der sozialistischen Partei engagiert, um diese auf einen antikapitalistischen Kurs zu verpflichten. Nach dem Sieg zieht es beide nach Paris. Olivier strebt eine Karriere als linker Journalist an, Léon gründet eine Werbeagentur, die vor allem die Wahlkampagnen der PS organisieren soll. Und da ist noch Sylvain, der Freund aus der Zeit in St. Étienne. Er hat gleich seine politischen Ambitionen aufgegeben und sieht die neue Zeit als Marktchance. Mit dem zu jener Zeit entstehenden französischen Onlinedienst Minitel, eine Art Vorläufer des Internet, will er mit Telephonsex und Pornographie reich werden.
Die Euphorie freilich dauert nur wenige Jahre. 1984 verlassen die Kommunisten das Bündnis, Frankreichs wirtschaftliche Lage verschlechtert sich. Der neue Premierminister Laurent Fabius verkündet ein striktes Sparprogramm. Es ist die Zeit der beginnenden Globalisierung, des Ultraliberalismus, der Verabsolutierung des Geldes. Die Protagonisten, die einst die sozialistische Partei konsequent antikapitalistisch ausrichten wollten, verfallen nach und nach den Verlockungen des Kapitals. Man ist eng mit der politischen Macht liiert und bewegt sich immer ungezwungener in der Welt der Reichen. Im Film werden Originalsequenzen aus der Ära Mitterrand eingeblendet, so unter anderem ein Interview mit dem Emporkömmling Bernard Tapi (eine Art früher Carsten Maschmeyer), der Millionen damit verdient, insolvente Firmen für einen symbolischen Franc zu kaufen, um sie dann nach Sanierung teuer zu verkaufen. In den 90er Jahren wurde er unter Mitterrand sogar Minister.
Olivier und Léon gehören bald zu jener linken Elite, die man damals »la gauche caviar«' nannte, vergleichbar mit der deutschen Toskana-Fraktion. Während Olivier noch zwischen den alten Idealen und dem neuen Luxus seinen Platz sucht, ist Léon längst der skrupellose Werbeprofi, der Parteien wie Produkte bewirbt, auch den Slogan, »Génération Mitterrand« kreiert, mit der damals die zweite Präsidentschaftswahl gewonnen wurde. 1993 fragte ein belgischer Fernsehjournalist Mitterrand während eines Interviews nach den illegalen Abhöranlagen im Élysée-Palast. Der Präsident beendete daraufhin die Unterredung. Im Film ist es Olivier, der den Präsidenten interviewt und mit der verbotenen Frage seine Karriere beendet. Natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte. Naomi, jene Frau, die Olivier in der Siegesnacht kennengelernt hatte, ist sein schlechtes Gewissen, das linke Herz, das in seiner Brust schlägt. Der Film endet in einer Wahlkabine. Wir schreiben das Jahr 2002. Oliver zögert lange, ob er dem Sozialisten Lionel Jospin seine Stimme geben soll. Schließlich kreuzt er den Trotzkisten an. Jospin verlor die Wahl gegen Jean-Marie Le Pen und Jacques Chirac.
Der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie wird hier als sympathische Generationskomödie beschrieben, die jedoch einen tragischen Kern beinhaltet. Denn die sozialistische Partei Frankreichs ist nur eine von vielen europäischen Parteien, die einst rosige Zeiten versprachen und heute den Neoliberalismus predigen. Der Film wird sicher nicht in Deutschland zu sehen sein, aber wie wäre es mit einem deutschen »Remake«? »Dem Morgenrot entgegen«? Die Karriere mancher ehemaliger Jungsozialisten oder grüner Revolutionäre wäre sicher eine Vorlage für eine deutsche Tragikomödie.
Bei den jüngsten Regionalwahlen landeten die französischen Sozialisten gerade mal bei 21 Prozent, weit hinter dem Front National und der Sarkozy-Partei Union pour un mouvement populaire (UMP; Union für eine Volksbewegung). Jugendliche und sozial Benachteiligte, das klassische Potential der Linken, blieben weitgehend zu Hause, nur 30 Prozent von ihnen gingen zur Wahl. Die linken Parteien, zu denen sich auch die PS immer noch zählt, haben sich die sozialen Themen von Marine Le Pens Front National nehmen lassen. Wie überall in den europäischen Staaten wird die Sozialdemokratie mit ihrem roten Markenzeichen zum Totengräber linker Ideen. Zurück bleibt ein ratloser Wähler, zerrieben zwischen Resignation und stillem Protest. Die rote Rose, Mitterrands Symbol von 1981, ist zertreten, eine Farbe ist nicht mehr zu erkennen.