Die westeuropäischen Regierungen, angeführt von Angela Merkels bornierter Truppe, scheinen immer noch zu glauben, die Nabelschnur der Welt spanne sich von Washington nach Berlin. Trotz einiger Anzeichen, die auf vorsichtige Änderung des Blickwinkels hindeuten. Noch aber machen die Westeuropäer nicht nur gute Miene zum bösen Spiel der USA in der Ukraine, sondern unterstützen es politisch-militärisch mit dem gemeinsamen Söldnerunternehmen NATO und setzen mit ihrer Wirtschaftskampf- und Kontrollorganisation EU die Russische Föderation ökonomisch unter Druck. Antirussische, US-linientreue Politik der europäischen Heloten – zu ihrem eigenen Schaden.
Eine Abkehr von der Sanktionspolitik nämlich und eine Besinnung auf friedliche Zusammenarbeit Westeuropas mit Rußland ließen den Wert des US-Dollar ins Bodenlose fallen und brächten die menschenfeindliche US-Weltherrschaft ins Wanken. Das wird jedoch von unseren verbohrten »Transatlantikern« in Politik und Massenmedien vorläufig verhindert. Mit unserer »friedenssichernden« militärischen Präsenz im kleinasiatischen und im afrikanischen Raum sowie mit monströsen Waffenlieferungen in die dortigen Krisen- und Kriegsgebiete verschaffen wir dem US-Hegemon die erwünschte geostrategische Handlungsfreiheit. Er nutzt sie zur Verlagerung des Schwerpunkts seiner politischen und militärischen Macht in den Westpazifik und wendet sich dort gegen den für die USA gefährlichsten Konkurrenten: die Volksrepublik China.
Bezeichnenderweise werden selbst die unübersehbaren Ursachen und Begleiterscheinungen dieser geopolitischen Veränderung weder im Bundestag diskutiert noch von unseren staatstragenden Massenmedien auch nur dargestellt und kommentiert. Ein meinungsbildender gesellschaftlicher Diskurs darüber ist damit weitgehend ausgeschlossen.
Zwischen Japan und den USA entwickeln sich verdeckt Interessenkonflikte mit dem Potential, aus bisher engsten Verbündeten Konkurrenten werden zu lassen. Japanische Unternehmen stoßen in den USA zunehmend auf restriktive Maßnahmen, die an das Japan-Bashing der 1980er Jahre erinnern. Weltmarktführer Toyota zum Beispiel wurde mit einer Serie umstrittener Justizentscheidungen und Medienattacken empfindlich schikaniert, von denen sich das Unternehmen erst vor einem Jahr mit 1,2 Milliarden US-Dollar loskaufen konnte. Innerjapanische Entwicklungen wecken den Argwohn der USA: starke nationalistische Tendenzen einerseits und andererseits der überraschende Erfolg der Kommunistischen Partei Japans bei den Unterhauswahlen 2014 (mehr als sechs Millionen Stimmen, jetzt 22 Parlamentssitze).
Der Hammer: Völlig überraschend unterschrieben am letzten Märzsonntag die Premierminister Chinas, Japans und Südkoreas einen Wirtschaftsvertrag, der die Grundlage eines Freihandelsabkommens bildet, das noch in diesem Jahr abgeschlossen werden soll. Die »Zusammenarbeit zwischen China, Japan und Südkorea steht an einem neuen historischen Startpunkt«, kommentierte der chinesische Ministerpräsident Wen. Es haben also zwischen diesen Dreien, diesen Jahrzehnte lang verfeindeten und auf dem Weltmarkt gegeneinander konkurrierenden Staaten, Annäherungsprozesse stattgefunden. Nicht nur ohne Mitwirkung der USA, sondern tendenziell gegen deren hegemoniales Interesse. Es entsteht in Fernost eine mächtige Wirtschaftsallianz – ein Ereignis von globaler Bedeutung, das wir im Westen kaum bemerkt haben.
Die VR China hält zur Zeit Devisenreserven im Wert von 3,8 Billionen US-Dollar (davon 1,27 Billionen in US-Staatsanleihen). Japan verfügt über Reserven von 1,3 Billionen (davon 1,22 Billionen US-Obligationen) und Südkorea über mehr als 0,4 Billionen US-Dollar. Gut die Hälfte dieser riesigen Währungsreserven besteht somit aus US-Schuldverschreibungen.
Ein unerwartet konkreter finanz- und entwicklungspolitischer Vorstoß der VR China und Rußlands erzeugte hingegen Schlagzeilen: In Konkurrenz zur US-dominierten Weltbank und zur Asian Development Bank, einem von den USA dirigierten Versuch zur entwicklungspolitischen Einflußnahme in Fernost, haben Beijing und Moskau nun ebenfalls eine Bank mit internationaler Beteiligung gegründet, in der sie selbst das Sagen haben. China hält 50 Prozent am Gründungskapital von 100 Milliarden US-Dollar. Die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) unterläuft damit die entwicklungspolitische Hegemonie der USA. Hauptsitz der Bank ist Beijing. Die weltweite Einladung, eine Beitrittsoption zur AIIB bis Ende März zu zeichnen, hatte überragenden Erfolg: Gegen den heftigen Widerstand Washingtons entschieden sich viele europäische Verbündete sofort dafür, voran Großbritannien, dann Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Italien; inzwischen haben sogar die Schweiz und Luxemburg Beitrittswillen bekundet, und im Pazifik haben die bisher getreuesten USA-Vasallen Japan und Australien sich eingeklinkt. Die AIIB hat damit 44 Mitgliedsstaaten (Stand 31. März) – und Washington das Nachsehen.
Der finanzpolitische Einfluß der AIIB ist derart stark, daß Christine Lagarde, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, IWF, kürzlich in Shanghai erklärte, der chinesische Renminbi (Yuan) werde in den »Währungskorb« der sogenannten Sonderziehungsrechte aufgenommen. Inzwischen ist auch bekannt, wann das geschieht: schon im Mai. Sonderziehungsrechte sind ein Kunstprodukt, ein Währungsmix aus US-Dollar, Euro, japanischem Yen, britischem Pfund und demnächst eben auch chinesischem Yuan. Der »Korb« wird eingesetzt, wenn es zu internationalen Finanzturbulenzen kommt; zuletzt fand das beim Banken- und Börsencrash 2008 statt. Der Widerstand der USA gegen den Kurswechsel des IWF und ihr Versuch, die Aufnahme des Yuan in den IWF-Korb zu verhindern, sind gescheitert. Christine Lagarde sprang auf den fahrenden Zug und wirbt nun offen für eine Zusammenarbeit von IWF und AIIB. Falls akzeptiert, dürfte der IWF künftig nicht mehr seine drakonischen Konditionen und die resultierende endlose Verschuldung bestimmen, die er in Schwierigkeiten geratenen Ländern diktierte. Washington reagiert in gewohnter Weise: mittels Verhandlungen über Knebelverträge zur ökonomischen Unterwerfung seiner »Partner« und mit einer Demonstration seiner militärischen Überlegenheit.
Ende März enthüllte die Internet-Plattform Wikileaks erste Teile eines Entwurfs für eine Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP). Der Vertrag soll den Handel der USA mit Kanada, Japan, Australien, Neuseeland, Vietnam, Malaysia, Singapur, Brunei, Mexiko, Peru und Chile regeln. Seine Details zeigen die gleiche widerwärtig imperialistische Ausbeuterhaltung der USA wie in dem uns mittlerweile bekannten Gaunerstück Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP, zu deutsch Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Auch im TPP geht es um die Organisation eines von nationalen und internationalen Rechtsnormen sowie von gesetzgeberischen Kompetenzen abgekoppelten Freihandels gemäß den Profitinteressen der Geldeliten. Und ebenso wie beim TTIP finden die Verhandlungen über diese pazifische »Partnerschaft« in den Hinterzimmern der Macht statt, und ihr Inhalt soll noch bis zu fünf Jahre nach Abschluß des Vertrages geheim bleiben.
Wird sich, nachdem erste Einzelheiten bekannt geworden sind, in den pazifischen Ländern eine ähnlich starke Protestbewegung gegen TPP entwickeln wie gegen TTIP in Europa? Mit welchen Chancen gegen die Unterordnung politisch-parlamentarischer, juristischer, sozialer und ökologischer Standards und Normen unter das Profitinteresse der supranationalen Geldelite? Und wird es der VR China gelingen, historische Feindseligkeiten und Grenzstreitigkeiten mit der Volksrepublik Vietnam zu bereinigen, um das kommunistische Nachbarland aus der US-dominierten »Partnerschaft« im Pazifik herauszulösen?
Ebenfalls im März veröffentlichte das Pentagon unter dem Titel »Eine gemeinsame Strategie für die Seemacht im 21. Jahrhundert: nach vorne schauend, engagiert, bereit« ein Dokument, das wie der erwähnte TPP-Entwurf von den »Atlantikern« unserer deutschen Massenmedien eisern beschwiegen wurde. Die US-Marine (Navy), das Marinecorps (USMC) und die US-Küstenwache haben Order, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die »der wachsenden Bedeutung des indo-asiatischen Pazifikraums gerecht« wird, indem sie ihm den »Schutz« der vereinten US-Seestreitkräfte angedeihen läßt. Noch lauter kann die Nachtigall kaum trapsen.
Das Pentagon will die Vorherrschaft seiner Marine sichern und verhindern, daß sich auf den Weltmeeren militärische Konkurrenz formiert. Die Stoßrichtung ist eindeutig. Das Dokument, unter dem Kürzel CS21R im Internet abrufbar, verweist auf Pläne für einen »Luft-See-Krieg« gegen China, in dem massive von See her geführte Raketenangriffe Chinas Militäreinrichtungen und Infrastruktur zerstören sollen. Ausführbar nur unter Verwendung von Atomsprengköpfen. So viel Drohpotential soll unter dem Vorwand »Garantien für die Freiheit der Schiffahrt« sicherstellen, daß die USA weiterhin die Seewege durchs Südchinesische Meer und den Indischen Ozean kontrollieren und uneingeschränkt dazu nutzen können, ihre Rohstoff- und Energieträger-Ausbeute aus Afrika und aus dem Nahen Osten zu holen und damit die Konkurrenten Rußland und China kleinzuhalten.
Infolge dieser Machtgelüste wollen die USA im Westpazifik bis zum Jahr 2020 drei Flugzeugträgerflotten zusammenziehen, ihre Garnisonen in Japan ausbauen, noch mehr U-Boote im Stützpunkt Guam stationieren und in Singapur die Zahl der Küstenkampfschiffe erhöhen. Die Radarüberwachung soll verstärkt werden, auch die »seegestützten« Systeme (schwimmende Raketenabschußanlagen und Feuerleiteinrichtungen) für den Raketenabwehrschirm im Pazifik, unter dem die USA ihr Potential für den Angriff auf China und Rußland ausbauen. Mehr als 60 Prozent aller militärischen Schlagkraft der USA sollen im pazifischen Raum konzentriert werden. Dort also ist mittlerweile der Nabel der Welt zu orten.
Daß im Pazifik ein geradezu endzeitlich anmutender Rüstungswettlauf im Gange ist, weil das US-Imperium seiner Entthronung entgegensieht, und daß damit der Weltenbrand wahrscheinlicher wird, nehmen wir Europäer noch nicht umfassend wahr. Unsere Massenmedien sind äußerst erfolgreich bei ihrer desinformativen Arbeit. Sie verbergen das heraufziehende Grauen trotz ihrer eigenen Standorte dort, wo atomarer Schlagabtausch zu erwarten ist.