In einer Woche beginnt in Havanna, symbolträchtig genau 55 Jahre nachdem die Rebellen ihre Revolution zu einer sozialistischen erklärten, der VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (Partido Comunista de Cuba, PCC). Ginge es nach der vorherrschenden Meinung westlicher Regierungen und Medien wäre es zugleich der letzte. Ein Regime Change auf der Zuckerinsel steht wieder einmal hoch im Kurs. Mit einer massiven Offensive wollen die USA und die lateinamerikanische Rechte dafür sorgen, dass fortschrittliche Regierungen nicht nur in Honduras, Paraguay und Argentinien, sondern auch in Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador und Nicaragua eliminiert werden. Kuba, das erste sozialistische Land in der amerikanischen Sphäre soll auch das einzige und letzte gewesen sein. Zur psychologischen Vorbereitung eines Umsturzes gehört die Behauptung, das zu beseitigende »Regime« habe ohnehin abgewirtschaftet, die Bevölkerung in Unsicherheit und Elend gestürzt und das Land in einen Sumpf aus Vetternwirtschaft, Korruption und Chaos getrieben.
Obwohl dies immer wieder behauptet wird, gelten derartige Propagandaszenarien in Bezug auf die Karibikinsel jedoch als wenig glaubwürdig. Deren Präsident und PCC-Vorsitzender Raúl Castro kann den rund 1000 Delegierten zur Eröffnung des viertägigen Kongresses am 16. April sogar eine beeindruckende Bilanz präsentieren. Seit dem letzten Parteitag vor fünf Jahren, auf dem 313 Leitlinien zur »Aktualisierung« von Wirtschaft und Gesellschaft verabschiedet wurden, ist das außenpolitisch einst isolierte Land ins Zentrum des globalen Interesses gerückt. Repräsentanten der großen Religionsgemeinschaften, vom katholischen Papst bis zum russisch-orthodoxen Patriarchen gaben sich in Havanna mit Staats- und Regierungschefs die Klinke in die Hand. Die Präsidenten Xi Jinping aus China und Wladimir Putin aus Russland machten Raúl Castro ebenso ihre Aufwartung wie Frankreichs François Hollande, der Österreicher Heinz Fischer und Italiens Matteo Renzi. Spätestens seit dem Besuch Barack Obamas, der am 21. März in Havannas Palast der Revolution eine Ehrenformation zu den von einer Militärkapelle intonierten Klängen der »Hymne des 26. Juli«, des Revolutionsmarsches der kubanischen Guerilla, abschritt, kann niemand mehr bezweifeln, dass der Versuch, Kuba zu isolieren, gescheitert ist.
Das außergewöhnliche Interesse für eine Insel in der Karibik lässt sich nicht damit erklären, dass das Land wirtschaftlich und politisch auf dem letzten Loch pfeift, wie uns westliche Kommentatoren glauben machen möchten. Warum sollte Washington nach mehr als 50 Jahren das Scheitern der bisherigen Politik eingestehen und diplomatische Beziehungen zu einer bis dahin geächteten Regierung aufnehmen, wenn deren System am Ende ist? Zeitgleich verabschiedete sich die Europäische Union von dem vor 20 Jahren beschlossenen »Gemeinsamen Standpunkt«, der normale Beziehungen zu Havanna von einem Systemwechsel auf der Karibikinsel abhängig machte. Was für einen Sinn sollte dies ergeben, wenn die Bevölkerung sich von der Revolution abgewendet hätte und der Regime Change bereits in greifbare Nähe gerückt wäre? Die Aktivitäten westlicher Regierungen und Unternehmen sind kein Ergebnis der Schwäche Kubas, sondern seiner politischen Stärke. Man will das Feld nicht anderen überlassen. Die erstarkenden Beziehungen Havannas zu Moskau und Peking lösen in Washington und Brüssel Alarm aus, und Raúl Castros Regierung hat diese Trumpfkarte geschickt eingesetzt. Sie hat zudem in den letzten Jahren die Weichen dafür gestellt, politische und wirtschaftliche Voraussetzungen zu schaffen, um das auf dem VI. PCC-Parteitag im April 2011 beschlossene Ziel eines »wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus« zu erreichen. Auf dem bevorstehenden Kongress soll darüber – zusätzlich zum Bericht des Vorsitzenden – in sechs Dokumenten Rechenschaft abgelegt, die konkrete Planung bis 2021 und ein Programm zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes bis zum Jahr 2030 diskutiert werden. Das verspricht nicht nur für Kuba-Interessierte spannend zu werden. Bereits im Vorfeld wird unter Parteimitgliedern und in den Medien des Landes heftig und teilweise kontrovers debattiert (www.granma.cu/septimo-congreso-del-pcc).
Vermutlich ist es kein Zufall, dass US-Präsident Barack Obama sich in Havanna knapp vier Wochen vor dem Parteitag als Freund des kubanischen Volkes zu präsentieren versuchte. Er sei gekommen, »um die letzten Überreste des Kalten Krieges auf dem amerikanischen Kontinent zu begraben« (http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/2016/03/22/obama-rede-kuba/, im Folgenden: Amerikadienst), sagte er, das von Egon Bahr und Willy Brandt 1963 unter dem Begriff »Wandel durch Annäherung« entwickelte Konzept einer neuen Ostpolitik kopierend. Was dann folgte, erinnert jedoch mehr an den Konservativen Helmut Kohl als an den Sozialdemokraten Brandt. Wie Kohl, der sich 1984 in einer Rede vor der Knesset in Israel auf die »Gnade der späten Geburt« berief, deretwegen er »in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte« (https://de.wikiquote.org) sprach auch Obama sich und das von ihm repräsentierte Land von jeglicher historischen Verantwortung frei: »Die Invasion in der Schweinebucht fand in dem Jahr statt, in dem ich geboren wurde« (Amerikadienst), erwähnte er wie beiläufig und konterte etwaige Vorwürfe zu später gegenüber Kuba verübten Verbrechen mit der Bemerkung: »Ich kenne die Geschichte, aber ich weigere mich, mich von ihr gefangen nehmen zu lassen« (a. a. O.).
Auch beim Blick in die Zukunft wirkte Obama wie eine Kohl-Kopie. »Ich möchte, dass … insbesondere die jungen Kubaner verstehen, warum ich meine, sie sollten hoffnungsvoll in die Zukunft blicken«, dozierte er und nannte als Voraussetzung dafür einen »Wandel hier in Kuba« (a. a. O.). Wenn das Land verändert würde, könnten die Menschen wieder hoffen, »etwas aufzubauen, auf das man stolz sein kann«. 26 Jahre zuvor hatte Helmut Kohl die Bürger der DDR drei Monate vor deren Anschluss an die Bundesrepublik mit dem Versprechen von »blühende Landschaften« geködert, »in denen es sich zu leben und zu arbeiten« wieder lohnen werde (https://de.wikipedia.org). Da vielen Kubanern die oft verheerenden Folgen des Systemwechsels für die Menschen der Länder in Osteuropa durchaus bewusst sind, beeilte sich Obama – und das unterscheidet ihn von Kohl – zu versichern: »Wir werden Ihnen weder unser politisches noch unser wirtschaftliches System aufzwingen.«
Nur wenige Tage später stand er als Lügner da. Am 25. März veröffentlichte der US-amerikanische Journalist Tracey Eaton Details über ein neues auf drei Jahre ausgelegtes Programm des US-State-Departments (http://alongthemalecon.blogspot.de/2016/03/new-state-department-program-targets.html), für dessen Umsetzung Washington 753.989 Dollar (675.000 Euro) zur Verfügung stellt. Über das im August 2016 beginnende Projekt soll 25 bis 30 kubanischen Staatsbürgern ein mehrmonatiges Training mit Praktika bei zivilgesellschaftlichen Basisorganisationen in den USA finanziert werden; es zielt auf 20- bis 35-jährige »junge aufstrebende Führungskräfte aus der kubanischen Zivilgesellschaft«. Bewerber müssen unterschreiben, im Anschluss nach Kuba zurückzukehren und dort »unabhängige Organisationen« aufzubauen, um die Entwicklung »demokratischer Prinzipien« voranzutreiben. In der Ausschreibung, die sich an US-amerikanische Bildungs- und gemeinnützige Organisationen wendet, wird darauf hingewiesen, dass deren Aktivitäten nur in »enger Abstimmung« mit der zuständigen US-Behörde erfolgen dürfen. Mit diesem Programm, so die offizielle Begründung, wollen die USA »Kubaner in die Lage versetzen, frei ihre eigene Zukunft zu bestimmen«. (Übersetzung: V. H.)
Eine Pinocchio-Nase, mit der ihn der kubanische Journalist Iroel Sánchez im Blog La Pupila Insomne (https://lapupilainsomne.wordpress.com/) darstellt, hat sich Obama auch mit der Aussage verdient, die US-Blockade sei »eine Belastung für die kubanische Bevölkerung, die nicht mehr zeitgemäß ist«. Das wirkte wie Hohn, denn eine Woche danach teilte der vom US-amerikanischen Logistikkonzern FedEx übernommene niederländische Post- und Paketdienstleister TNT seinen Kunden in Europa mit: »Zum 1. Februar 2016 haben wir den Service von und nach Kuba eingestellt.« Als einzigen Grund für die Entscheidung nennt das Unternehmen »wirtschaftliche Sanktionen« der USA »für bestimmte Länder« (www.jungewelt.de).
Obamas Auftritt in Kuba und der fast gleichzeitige Ausbau von Sanktionen und Destabilisierungsprogrammen werden nicht ohne Auswirkung auf den VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas bleiben. »Man könnte meinen, dass jeder von uns bei den Worten des US-Präsidenten Gefahr lief, einen Herzinfarkt zu bekommen«, kommentierte dessen prominentester Delegierter, Revolutionsführer Fidel Castro am 27. März (http://de.granma.cu/cuba/2016-03-28/der-bruder-obama). Zugleich warnte er vor der Illusion, dass »das Volk dieses Landes auf seine Rechte verzichten werde« und appellierte an seine Landsleute: »Wir haben keine Geschenke des Imperiums nötig.« Nachdem Fidel Castro sich mit Kommentaren zum »Annäherungskurs« der USA lange bedeckt gehalten hatte, meldet er sich rechtzeitig zum Beginn des wichtigen Parteitages zurück.