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Titel816

Zanders zerstückelte Vlies-Sucher  (Peter Arlt)

»Das Literarische ist das Vornehmste in der Kunst«, spricht der Maler Heinz Zander. Damit ist nicht das literarische Schaffen gemeint, das er seit 1991 ebenso wie das Zeichnen eingestellt hat, um sich in großer Intensität auf das Malen zu konzentrieren. Vielmehr wird in der bildenden Kunst das Literarische, ohne »plumpe Abbildung eines vorgeschriebenen Gedankens« (H. Z.) zu sein, zur gestalthaften Sinnfindung transferiert, zur Bilddichtung. Mit einer Bildsprache voll sich ständig erneuernder Imaginationskraft und mit der prallen sinnlichen Präsenz der Figuren in leuchtenden Farben und faszinierender Stofflichkeit begeistern die Gemälde des Leipziger phantastischen Realisten; über 150 Werke (Gemälde, Zeichnungen, Grafiken) präsentiert das Panorama Museum Bad Frankenhausen. In Zanders Bildern besuchen eine Grazie aus dem Manierismus und eine aus dem Symbolismus lächelnd des Künstlers eigene und gewähren demjenigen künstlerischen Genuss, der sich auf die mythische Figurenwelt einlässt.


Da literarische und bildnerische Phantasie bei Zander ineinander verschmolzen sind, vermögen sogar die Titel der Bilder mit poetischem Sinn wie kleine literarische Kunststücke eine Geschichte anzudeuten: »Fünf Bemerkungen zu Cranach: Eine vom Parisurteil – als Daphne noch koketter«. Es ist die mittlere Göttin vom Karlsruher Parisurteil Lucas Cranachs, die Venus, welche Zander herausgreift. Mit ovalem, mandeläugigen Gesicht und vor schwarzem Grund, mit Krapplack und Pariser Blau gemischt, entfaltet sie ihre zierliche Gebärde mit aufreizenden Schenkelbögen, zurückgeworfenen Armen, wodurch ihre Brüste sich vorwölben, und mit zarten Fingern, die sich wurzelgleich strecken. Die Ballettfüßchen werden umfasst von goldenen Wurzeln, aus denen kleine Blätter sprießen. Da hat Daphne ihr ein Mythem entliehen. Denn als diese Schöne von Apoll umworben wurde, entfloh sie ihm, der sie, von ihrer Nacktheit gelockt, verfolgte und erreichte. Als Daphne um Verwandlung flehte, wurde sie ein Lorbeerbaum. So weit müsste es nicht gehen. Sich zu verweigern und die Berührung abzuwehren, macht sie noch koketter und wird das Bedürfnis des Mannes steigern und das ihre dazu.


Eine umgekehrt zum Mythos erdachte Geschichte erzählt Zander »Im Gebirg I«, 1997. Denn des alten und hässlichen Herakles prachtvolle Gattin Deïaneira ist mit dem jungen und schönen Kentaur Nessus ein Liebespaar. Nessus wollte zwar Deïaneira entführen, die das offenbar gern geschehen ließ, doch wurde er von Herakles‘ Pfeil, den jetzt Nessus ihm vorweist, getroffen, aber nicht tödlich. Nessus empfahl Deïaneira, sein Blut in einer Schüssel aufzufangen. Eigentlich sollte sie Herakles ein blutgetränktes Hemd schenken, das Nessusgewand. Doch dieser Umweg wird eingespart. Nun gießt sie, den versprochenen Liebeszauber nicht erwartend, das giftige Blut direkt auf Herakles. Das wird sich in seine Haut qualvoll einbrennen zu maßloser Eifersucht und Tod.


Zanders Graphitblätter sind höchste Zeichenkunst in Figuration und Durchführung, keine Wischspuren einer aufgelegten Hand. Kostbar ist eine der letzten Zeichnungen, »Argonautenstrand«, mit zerstückelten, zerfressenen, in Seilen verhedderten Suchern nach dem Goldenen Vlies. Vielleicht suchten sie einen neuen Weg, fanden ihn aber nicht oder wurden auf ihm umgebracht. Sie sind also ebenso gescheitert wie schon früher die »Gelehrten«, Gemälde von 1985, die ihren Weg, weit entfernt vom leuchtenden Gipfel durch den Bach mit Stöcken staksend und stürzend, verloren haben. Über sie ist die Zeit hergefallen, ihr Weg ist vergessen. – »Vergessene Wege«, wie der Titel der Bildpräsentation lautet, verschwanden aus der Erinnerung, so könnte man denken, weil die Kontinente unserer Bestrebungen gewandert, Interessen weitergezogen, vermessene Berge enthauptet, Hoffnungen im Erdfall verschwunden sind. Die Argonauten befreiten mythisch auf ihrer Fahrt auch den Phineus von den Harpyien, die oft in Gemälden, Zeichnungen und Radierungen ein Wechselspiel der sogenannten guten und bösen Mächte veranstalten. Die Harpyie, eigentlich eine sudelnde Rafferin, gebiert auch mit Engelsgesicht einen bösartig blickenden Engel. So gebären in Zanders Phantasmagorien im Mythos existierende Wesen fiktive Gestalten. Auf der Bühne seiner Bilder führt Zander immer Handlungen auf, die das mythologische Geschehen erweitern, umkrempeln, neu erfinden. Als Meister der Mischwesen kreiert er zu den mythologisch vorgegebenen eigene fliegende oder galoppierende Wesen, darunter Hexchen und Einhörner, und erfindet unerhörte Vorgänge. Da ist das Glück für schwelgende Flatterwesen am Oberteil des Planeten gesichert, wo sie saugen und bleiben, während viele Engelchen am Unterteil sich nicht halten können und beim Klang der Schicksalsposaunen abstürzen.


Auf den Polstern weiblicher Leiber schimmern die feisten Wölbungen des Fleisches, verkünden mit eiförmigen Schenkeln und Hüften erhöhte sinnliche Existenz und locken, in die fleischlichen Massen am Hals und Schlüsselbein und in die fülligen und gestaltvollen Brüste mit Lust hinein zu sinken. Dieses lebensvolle Ideal scheint angegriffen zu werden und das Leben ausgedörrt von einer Weise zu essen, die der »Veganer, fressend«, 2014, verkörpern soll. Exotische Blumen und Schoten rafft der blutige Mund dieser neuen mythischen Figur und lässt ein hassvolles Bild entstehen, als hätte es ein Mops in Paletot erschaffen. Von dem fettbäuchigen, sabbernden Fleischfresser Nessus ist der Bildschöpfer allerdings ebenso angewidert.


Neben den jüngsten virtuosen Bildern, die farbig leuchtend und ausgeschmückt die Schönheit der Kunst Zanders preisen, wäre auch der in der Sammlung befindliche Antikriegszyklus »Die Festung«, Mitte der 60er Jahre, sehenswert gewesen. In der Monografie deutet der Museumsdirektor Gerd Lindner Heinz Zander in seiner Kontextualisierung als Solitär tiefgründig.

Panorama Museum Bad Frankenhausen, Am Schlachtberg 9, bis 12. Juni 2016, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr; Katalog (im Originalfarbton) 29,50 €