E. M. – das sind nicht nur die Initialen des Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, E. M. steht auch für den Namen seiner Bewegung »En Marche!« – was man etwa mit Aufbruch übersetzen könnte. Der ehemalige Wirtschaftsminister des »Sozialisten« Hollande bezeichnet sich als parteilos. Das ist in Zeiten, wo die Franzosen von Parteien aller Art zutiefst enttäuscht worden sind, schon ein positives Attribut. Auch betont er unermüdlich, dass er weder rechts noch links sei. Freilich, der Mann, der in deutschen Medien gern als linksliberal bezeichnet wird, hat mit seinen erst 39 Jahren eine Karriere hinter sich, welche an die vieler konservativer Politiker erinnert: Schüler einer privaten Jesuitenschule in Amiens, später auf der elitären Verwaltungshochschule ENA, dann Investmentbanker bei Rothschild.
Aber es gibt auch in Frankreich jene naive Begeisterung für einen jungen dynamischen Mann mit blauen Augen, der alles anders machen will. Im ganzen Land haben sich seit April 2016 Unterstützergruppen gebildet, die in dem französischen Obama eine echte Alternative sehen. Als am 20. März das erste Fernsehduell der fünf bestplatzierten Kandidaten gesendet wurde, war E. M. in den Umfragen der klare Gewinner. Als begabter Redner versteht er es wie kein anderer, schöne, aber belanglose Sätze zu formulieren, ohne sich allzu sehr festzulegen. Der ehemalige Banker hat zwar keine Partei hinter sich, aber immer mehr Häuptlinge der großen Parteien outen sich als Macronisten. Der Überraschungssieger bei den Vorwahlen der gebeutelten »Sozialisten«, Benoît Hamon, musste feststellen, dass ihm der rechte Flügel der PS die Gefolgschaft verweigert. Nicht nur der ehemalige Premierminister Valls hat sich rechtzeitig vor dem kommenden Wahldebakel seiner Sozialdemokraten für den Kandidaten Macron ausgesprochen. Auch im bürgerlichen Lager gibt es viele Fahnenflüchtige, die vor der sicheren Niederlage ihres von Skandalen gebeutelten Kandidaten François Fillon das Familiensilber (sprich: Pöstchen) retten wollen. Denn der unabhängige Kandidat ohne eigene Partei braucht nicht nur Personal, sondern auch Mehrheiten für die nach den Präsidentschaftswahlen anstehenden Parlamentswahlen.
Auf einem E.-M.-Meeting in Berlin lebender Franzosen wird deutlich, was auch im Programm von Macron zu lesen ist: Eine kritiklose Bewunderung für das so erfolgreiche Deutschland. »Ich war in Paris zwei Jahre arbeitslos. Hier in Berlin habe ich sofort einen Job gefunden.« Macrons Wirtschaftsprogramm kommt einem bekannt vor: Arbeitgeber entlasten und Sozialabgaben senken. Den deutschen Außenhandelsüberschuss will man sich als Vorbild nehmen, mindestens Exportvizeweltmeister möchte man werden. Ansonsten bedient man sich bei den anderen Kandidaten: Für Le-Pen-Wähler werden 10.000 Polizisten mehr versprochen, für die Linkswähler eine Verbesserung der Kaufkraft der Arbeiter, für die bürgerliche Mitte ein 50 Milliarden schweres Investitionsprogramm. Auch die vielen anderen Vorschläge würden eine Menge Geld kosten. Woher das kommen soll, bleibt nebulös. Ebenso undurchsichtig ist die Finanzierung der E.-M.-Kampagne: Der Kandidat wird nicht müde zu behaupten, dass sein Wahlkampf nur durch Kleinspenden gesponsert wird.
In den französischen Medien ist Macron präsent wie kaum ein anderer Kandidat. Es menschelt sehr in diesem Wahlkampf, wobei jedoch der Kandidat der Republikaner, Fillon, den Bogen etwas überspannt hat, als herauskam, dass er Frau und Töchter lange auf Staatskosten alimentiert hatte. Emmanuel Macron wird also sehr wahrscheinlich am 23. April ebenso wie Marine Le Pen auf dem ersten oder zweiten Platz landen, die restlichen neun Kandidaten fallen weg.
Jean-Luc Mélonchon, der Kandidat der Linkspartei, die sich nun »La France insoumise« (Das unbeugsame Frankreich) nennt, erhielt in der Fernsehdebatte vom 20. März hinter Macron immerhin die zweitbeste Bewertung. Und am 4. April, als alle elf Kandidaten fast vier Stunden diskutierten, lag Mélonchon mit 25 Prozent Zustimmung sogar an der Spitze. Ihm wird oft vorgeworfen, dass er eine Zusammenarbeit mit dem sozialdemokratischen Kandidaten Hamon verweigert, obwohl der doch dem linken Flügel der PS angehört. Aber die Sozialisten haben inzwischen einen so schlechten Ruf, dass sich der Kandidat der Linkspartei nicht kompromittieren wollte. Ein Angebot von Mélonchon, Hamon möge auf seine Kandidatur verzichten und zur Wahl der Linkspartei aufrufen, fand keine Gegenliebe.
Und so wird sich das bürgerliche Melodrama von 2002 wohl wiederholen: Unter dem alten Motto »alles, nur nicht Le Pen« wird Emmanuel Macron am 7. Mai im zweiten Wahlgang einen haushohen Sieg erringen wie damals Jacques Chirac.