Wer sich in Zeiten, da in Politik und Wirtschaft Täuschungen, Manipulationen, schlichte Betrügereien um sich greifen und ihnen nur zaghaft Widerstand entgegengesetzt wird, in die schöne Literatur vertiefen möchte, um hier über ähnliche, meisterlich mit den Mitteln der Kunst gestaltete Vorgänge Erbauung und Unterhaltung zu finden (vielleicht auch von den alltäglichen Nachrichten abzukoppeln, aber dennoch im Thema zu bleiben), greife zu dem Gaunerroman des Georgiers Micheïl Dshawachischwili »Das fürstliche Leben des Kwatschi K.« und ergötze sich an dem mit Einfallsreichtum und schier unerschöpflicher Phantasie ausgestatteten Antihelden, den maßlosen Übertreibungen seiner Taten oder Missetaten.
Der Autor (1880–1937) begleitet seinen Helden von dessen Geburt bis zum siebenunddreißigsten Lebensjahr, also ein halbes Menschenleben. Was er ihn in dieser Zeit sein, erleben und anrichten lässt und wo dies geschieht, reicht indes für ein ganzes Gaunergeschlecht. Immer und überall aber spiegelt er gesellschaftliche Zustände, zeigt er, dass es seinem Helden um Geld, viel Geld, Gold und Edelsteine geht. Und um die Befriedigung seiner Fleischeslust. Kwatschi ist umgänglich, weiß sich mit Leichtigkeit in den Mittelpunkt zu lavieren, hat keine Probleme, mit zündenden Einfällen Aufmerksamkeit zu erregen, sich zuweilen auch mal in sich selbst zurückzuziehen. Zudem ist er attraktiv. Nach einschlägigen Beschaffungsübungen in der Schul- und Jugendzeit in Georgien und Russland (köstlich der dreimalige Verkauf eines geliehenen Flügels, der nie in den Besitz eines der Käufer gelangte!) sucht Kwatschi zunächst die Amüsiermeilen von Paris, London, Rom oder Wien heim und nimmt dort seine westeuropäischen Partner aus, deren Lebensstil er sich mit Leichtigkeit zu eigen macht. Danach, wieder in Zarenrussland, lässt ihn der Autor den Ersten Weltkrieg, die Russische Revolution 1917, den Bürgerkrieg und schließlich die Vorgänge in seiner Heimat Georgien bis zur endgültigen Etablierung der Sowjetmacht Anfang der zwanziger Jahre erleben. In Petersburg verkehrt Kwatschi – selbstverständlich ausgewiesen durch entsprechende Fürstentitel – in hofnahen Kreisen, residiert in palastähnlichen Villen und wird unentbehrlicher Freund und Gehilfe des für den Hof ebenso unentbehrlichen Scharlatans Rasputin. Hier bietet der Autor ein dichtes detailreiches Bild von den Umtrieben und Ausschweifungen und dem gewaltsamen Ende dieses Mönchs, wird er gleichsam zum Historiker (wie er überhaupt mit detaillierten Kenntnissen über Umfeld und Historisches der »Aktionsräume« seines Helden zu überzeugen vermag). Dieses Bild von der Verderbtheit in Herrscherkreisen Russlands kurz vor dem endlichen Sturz der Monarchie, gezeichnet mit den literarischen Mitteln des Gaunergenres, dürfte in dieser Art wohl einmalig sein. Als Zeugen und Akteur von Erstem Weltkrieg und Revolution erschließen sich Kwatschi – wie kann es anders sein – sogleich neue Quellen der Bereicherung und des Betrugs: bei Waffenkäufen und -handel, bei der Jagd nach militärischen Ehren, in der gekonnten Nutzung der aufkommenden Sowjetbürokratie … Er wird zum Kriegshelden für Verdienste an der Kaukasusfront, die ihm gleichsam in den Schoß fallen. Hochdekoriert, lebt er in für ihn brenzligen Momenten davon, wobei er Leute, die ihm an den Kragen wollen, erfolgreich an seine »Verdienste« erinnert. In den Zeiten des revolutionären Umbruchs weiß er die von ihm initiierte »Gesellschaft der Hüter der Revolution«, im Oktober 17 nur eben mal mit dem Adjektiv »rot« aktualisiert, effektvoll als Aushängeschild einzusetzen, hinter dem sich prächtig unglaublichste Machinationen verbergen lassen. Im Bürgerkrieg ist er mal weiß, mal rot. Doch nicht immer reifen alle Blütenträume, schon gar nicht mehr nachdem sich die Sowjetmacht im heimatlichen Georgien durchsetzt. Zuweilen gibt es Verrat und Betrug in den Freundesreihen. Freunde hat der Romanheld genügend, sie repräsentieren die multinationalen Verzweigungen der Kaukasusbevölkerung. Er schmiedet mit ihnen Pläne, verwirklicht sie, teilt mitunter die Beute wie auch die Frauen. Wenn Freunde ihn dann aber mit erworbener eigener List und Tücke hintergehen, ihn um seine zusammengeraubten Schätze erleichtern, schreckt Kwatschi nicht vor Mord zurück. Sein Romandasein beendet dieser Gauner schließlich als Mitbesitzer eines Bordells im türkischen Stambul, wohin es ihn treibt, als ihm der heimatliche Boden unter den Füßen zu heiß wird …
Dass dieser in einer phantastischen Fabulierkunst, mit unglaublichem Witz und erzählerischer Brillanz verfasste Gaunerroman auch dem deutschen Leserpublikum zugänglich gemacht wurde, ist das Verdienst der Übersetzerin Kristiane Lichtenfeld, die zugleich auch die Herausgeberin ist und ein informatives Nachwort geschrieben hat. Darin skizziert L. den Lebens- und Schaffensweg des Autors, beides geprägt sowohl von der Aufbruchstimmung in den Anfangsjahrzehnten der Sowjetgesellschaft als auch vom beginnenden stalinistischen Terror, dessen Opfer als »Volksfeind« der Autor 1937 wird. Sein »Kwatschi«, der seit dem Erscheinen 1924 in Tbilissi auf Zustimmung wie Kritik gestoßen war, verschwand aus den Buchläden. Jenseits der Grenzen Georgiens hatte man von diesem literarischen Glanzstück ohnehin nicht Kenntnis nehmen können, die erste russischsprachige Verlagsausgabe erschien erst 1999! Der Leser in der einstigen DDR konnte sich indes bereits 1986 über die Gaunereien Kwatschis amüsieren, dank der Herausgabe dieses Buches im legendären Verlag Volk und Welt und zwar in Übersetzung aus dem Georgischen von – Kristiane Lichtenfeld! Nun also die gleichfalls von ihr besorgte, akribisch anhand der neuesten georgischen Werkausgabe überprüfte, ergänzend übersetzte und somit zu Recht vollständig genannte Ausgabe in deutscher Sprache. Der Nora Verlag hat den Band betreut und in adäquater, schöner Gestaltung dem interessierten Leser vorgelegt. Man sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen, großes Lesevergnügen ist gewährleistet und manches Nachdenken über sehr heutige Vorgänge.
Micheïl Dshawachischwili: »Das fürstliche Leben des Kwatschi K. Ein Gaunerroman«, erste vollständige Ausgabe in deutscher Sprache, herausgegeben, aus dem Georgischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Kristiane Lichtenfeld, Nora Verlagsgemeinschaft, 472 Seiten, 29,90 €