Es gibt Regeln im Welthandel, die nicht gottgegeben sind, sondern menschengemacht und veränderbar. Der US-Präsident führt uns mit den Sanktionen, mit den Verhandlungen der EU sowie den Reaktionen Chinas das gerade deutlich vor Augen.
Neben nationaler staatlicher und supranationaler europäischer Rechtsetzung gibt es die Welthandelsorganisation (World Trade Organization WTO) mit 164 Mitgliedsstaaten und Sitz in Genf. Sie wurde erst 1994 gegründet. Vorher waren es bi- und multilaterale Handelsabkommen mit teils diskriminierenden, teils begünstigenden Klauseln für einzelne Länder oder Warengruppen. Die Durchsetzung neoliberaler Politik, die Schaffung und Eroberung neuer Märkte und die Garantie von Profiten für die Anleger erforderte jedoch gleiche, langfristig gültige rechtliche und ökonomische Standards in den Handelsbeziehungen – von sozialen Standards ist in den Prinzipen der WTO erst gar nicht die Rede: Freihandel, Nichtdiskriminierung, Abbau von Handelshemmnissen und Zöllen und gleiche Regeln für alle Mitgliedsstaaten – unabhängig von ihrem technischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsstand.
Die gleiche Behandlung von Ungleichem vergrößert die Ungleichheit – eine Binsenweisheit im Alltag vieler Menschen, eine Prämisse für sozialstaatliche Maßnahmen und für gewerkschaftliche Solidarität wie für kirchliche Mildtätigkeit. Die Zustimmung der Regierungen vieler Länder, denen mit der WTO-Mitgliedschaft das Mittel bilateraler Verträge verloren ging, wurde durch unterschiedliche Art der Bestechung und Korruption der jeweiligen Eliten erreicht. Im Zusammenhang mit den in Washington beheimateten Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds entscheidet die WTO über die Regeln weltweiten Handels – bis jemand kommt, heute ist es der US-Präsident, und die Regeln umstößt oder in einseitigem Interesse auslegt.
Trump hatte Zölle auf Stahl und Aluminium angekündigt und die Ankündigung gegenüber China im März umgesetzt. Die EU hat einen kurzen Aufschub bekommen, bevor neu über die Zölle gegenüber der EU entschieden wird. Warum hat Trump Zölle erhoben? Um die heimische Wirtschaft und die Arbeitsplätze der Stahlarbeiter in den USA vor unfairem Wettbewerb zu schützen, wie er vorgibt? Die Existenz der Stahlproduktion hat er vollmundig und imperial wie immer zur nationalen Sicherheitsfrage erklärt: »Wenn man keinen Stahl hat, hat man keinen Staat.«
Nun wird die WTO ihre Regeln wahrscheinlich ändern, die USA treten eventuell aus der WTO aus – jedenfalls werden die Karten neu gemischt und die Regeln an die neuen Bedingungen angepasst. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Hirte, will die Richtung vorgeben: »Diejenigen, die jetzt die Bedeutung von freiem Handel betonen, müssen sich vielleicht fragen, ob sie in den letzten Jahren zum Beispiel bei TTIP genau diesen Weg behindert haben.« Die offensichtlichen Ungerechtigkeiten im Freihandel sollen durch mehr Freihandel überwunden werden. Das ist die alte Leier der Chicago-Boys von Milton Friedman: Wenn die neoliberale Glücksverheißung nicht aufgeht, so war es eben »zu viel Staat«, jedenfalls zu wenig Neoliberalismus. So oder so ist der jüngsten Entwicklung zu entnehmen, dass Regeln und Recht nichts Statisches sind, sondern von konkreten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen und vom jeweiligen Kräfteverhältnis abhängen. Das ist doch eine gute und ermutigende Erkenntnis, wenn wir, diejenigen, die für eine friedliche, soziale Entwicklung stehen und eintreten, an der Veränderung von Regeln und Recht mitwirken – mit unseren Möglichkeiten von Demonstrationen, Streiks und Boykotts. Aus Erfahrung wissen wir: Das Recht folgt regelmäßig dem tatsächlichen Leben – und nicht umgekehrt! Recht und Regeln verändern sich in dem Maße und in der Geschwindigkeit, in der die Menschen die Gesellschaft verändern. Drei Beispiele:
Die Lohnfortzahlung für abhängig Beschäftigte bei Krankheit wurde durch Streik erkämpft und dann gesetzlich verankert. Als die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung die Lohnfortzahlung einschränken wollte, scheiterte sie am Widerstand der Gewerkschaften. Die Lohnfortzahlung blieb Recht gegen den Widerstand der Arbeitgeber und ihres parlamentarischen Arms.
Durch den Widerstand vieler Kritiker_innen ist es gelungen, diverse »Freihandelsabkommen«, zuletzt TTIP, zu verhindern. Darin wäre über die WTO-Regeln hinaus eine Staatshaftung für entgangene Gewinne privater Unternehmen enthalten gewesen.
Es gibt eine internationale Norm (ILO-Kernarbeitsnorm), die das Streikrecht für alle Arbeitnehmer_innen garantiert. In Deutschland »dürfen« Beamte dennoch nicht streiken – vom Beamtenbund, der sich als Gewerkschaft ausgibt, legitimiert statt kritisiert. Ähnlich ist es mit dem geltenden »Verbot« des politischen Streiks in Deutschland: Internationales Recht, aber in Deutschland (noch) nicht durchgesetzt.
Sind (Straf-)Zölle und protektionistische Maßnahmen also eine gute und richtige Maßnahme gegen den neoliberalen Freihandel? Sind wir in dieser Frage Verbündete von Trump? Eine falsche Maßnahme wie der neoliberale Freihandel kann nicht durch eine andere falsche Maßnahme wie den Protektionismus bekämpft werden; zumal Protektionismus immer die Gefahr des Nationalismus in sich trägt. Und Trump geht es keineswegs, wie er sagt, um die Jobs in der Stahlindustrie des Rust Belt, die durch unfaire Handelspraktiken der Chinesen vernichtet würden und nicht etwa durch gigantische Produktivitätssprünge auf einem enger werdenden Markt. Trump geht es um den Profit der Stahlkonzerne, die aus seinen Maßnahmen resultierende nationalistische Stimmung ist die Begleitmusik zur Durchsetzung mächtiger Kapitalinteressen. Deutlich wird das an Trumps Steuerpolitik, von der die Superreichen profitieren, an der Deregulierung der Finanzmärkte, von der das Finanzkapital profitiert – sein eigenes zusammengerafftes Imperium eingeschlossen.
Die Alternativen zu neoliberalem Freihandel und Protektionismus sind gerechter Handel zwischen den Regionen und Ländern und faire Handelsbeziehungen. Dazu gehört eine ausgeglichene Handelsbilanz, also ein Gleichgewicht zwischen Import und Export. Vor allem Deutschland muss seine Exporte reduzieren zugunsten des Binnenmarktes, zur Reparatur und zum Ausbau der Infrastruktur, zur Stärkung von Bildung und Ausbildung, zur Beseitigung der katastrophalen Bedingungen im Gesundheitswesen. Die Exportüberschüsse in Höhe von sagenhaften 250 Milliarden Euro pro Jahr dienen nur der weiteren Bereicherung der Reichen und den verheerenden Finanzspekulationen. Zum fairen Welthandel gehört, die weniger entwickelten Ökonomien und Teilmärkte zu schützen und zu fördern, durchaus auch mit Zöllen vor Billigimporten und hochsubventionierten Waren. Dazu gehören faire Preise für Rohstoffe und Halbfertigwaren an die produzierenden Länder und faire Löhne an die produzierenden Arbeiter_innen in den Minen Afrikas und Südamerikas, in den Textil- und Schuhfabriken Asiens. Dazu gehört, die eigene Rolle zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Mit dem Export von zum Beispiel hoch subventionierten Agrarprodukten aus Deutschland werden die kleinbäuerlichen Existenzen von Millionen Menschen in vielen afrikanischen Ländern zerstört – alles im Namen des Freihandels.
Sabine Stephan vom gewerkschaftlichen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kritisiert das Ungleichgewicht zwischen Verlieren und Gewinnern des Freihandels: »Die Globalisierung führt unterm Strich zwar zu Wohlfahrtsgewinnen, die aber in der Praxis sehr ungleich verteilt sind. Während die Gewinne privatisiert werden, werden die Kosten etwa für Regionen, die im globalen Wettbewerb abgehängt wurden, und Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, dem Staat und der Gesellschaft aufgebürdet.«
Die Alternative zu neoliberalem Freihandel und Protektionismus sind gerechter Handel zwischen den Regionen und Ländern, sind faire Handelsbeziehungen, sind Solidarität statt Konkurrenz, sind Menschen vor Profiten!