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Titel818

In Salzburg brannten die Bücher  (Dieter Braeg)

Der Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau schuf den Salzburger Residenzplatz, der etwa 6500 Quadratmeter groß ist. Dazu wurden Bürgerhäuser zerstört und der Domfriedhof aufgelassen. Als Ersatz für den Friedhof wurde der Friedhof neben der St.-Sebastianus-Kirche in der Linzer Gasse angelegt, wo nicht nur der Fürsterzbischof bestattet wurde, sondern auch Konstanze, Mozarts Frau, samt Zweitmann begraben ist, und der Heilige aller Heilpraktiker, Paracelsus, seine Ruhestätte fand.

 

Im Jahre 1938, nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, fand am 30. April die einzige öffentlich und feierlich inszenierte Bücherverbrennung im ehemaligen Österreich statt. Inszeniert wurde sie maßgeblich vom NS-Lehrerbund, und als führend Verantwortlicher war der SS-Mann, Lehrer, Landesschulrat und Schriftsteller Karl Springenschmid beteiligt. Er trat am 16. November 1932 in die NSDAP ein und war ab dem 1. Januar 1938 SS-Mitglied Nr. 295474. Nach dem Anschluss 1938 war er Mitglied der Salzburger Landesregierung und als Landesrat zuständig für Schulen und Kulturpolitik. Als Chef der Schulverwaltung zuständig für die Unterstufe der Volksschulen (1. bis 4. Klasse) wollte er folgendes NS-Gebet einführen: »Schütze Herr mit starker Hand / unsres Volkes Vaterland! Lass auf unseres Führers Pfad / leuchten deine Huld und Gnad! Weck in unseren Herzen neu / deutscher Ahnen Kraft und Treu! Und so lass uns stark und rein / deine deutschen Kinder sein!«

 

In der Einladung zur »symbolischen Verbrennung jüdischer und klerikaler Bücher« ist klar erkennbar, dass dies eine Veranstaltung des Nationalsozialistischen Lehrerbunds (NSLB) war. In Salzburg sammelte die HJ insgesamt 1200 Buchexemplare zur Verbrennung, und Karl Springenschmid formulierte in seiner Feuerrede programmatisch: »Verbrannt, vernichtet sei alles, was an klerikaler Knechtung und jüdischer Verderbnis den Aufbruch einer wahrhaft deutschen Kultur behinderte.« (Salzburger Volksblatt, 2. Mai 1938)

 

Im Namen der ganzen »Volksgemeinschaft« warfen jeweils zwei Mitglieder der HJ, zwei Schüler und je ein Arbeiter, Bauer, Musiker, Soldat, sowie ein SA- und ein SS-Mann Bücher in die Flammen und riefen dabei einen der Feuersprüche:

1. Rufer: »Gegen Klassenkampf und Materialismus. Für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe den Flammen die Schriften von Marx und Kautsky.«

2. Rufer: »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall. Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.«

3. Rufer: »Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat. Für Hingabe in Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Friedhelm Förster.«

4. Rufer: »Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens. Für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.«

5. Rufer: »Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten. Für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann.«

6. Rufer: »Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung. Für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolf und Georg Bernhard.«

7. Rufer: »Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges. Für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.«

8. Rufer: »Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache. Für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.«

9. Rufer: »Gegen Frechheit und Anmaßung. Für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!«

 

Nach Kriegsende entzog sich Springenschmid der Verhaftung durch die Amerikaner. Die Salzburger Polizei suchte ihn als Kriegsverbrecher, doch er entkam, nahm den Namen Karl Bauer an und verschaffte sich falsche Papiere. Er lebte in Südtirol und arbeitete dort für den Bergsteiger Luis Trenker.

 

1951 erfolge die »Reinwaschung«. Dem zuständigen Gericht lagen keine Hinweise auf Kriegsverbrechen vor und der Bundespräsident Theodor Körner (SPÖ) hob das Berufsverbot durch Entschließung vom 17. Juli 1953 auf. Springenschmid lebte bis zu seinem Tod 1981 als erfolgreicher Schriftsteller im Salzburger Stadtteil Elsbethen. Insgesamt verfasste er 190 Werke und erhielt nach 1945 noch den Donauschwäbischen Kulturpreis 1962, dann 1967 das Offenhausener Dichterschild, wurde 1976 Ehrenbürger von Sexten (Südtirol) und erhielt das Ehrenzeichen der Stadt Graz im Jahre 1977.

 

Das Erinnern und Gedenken an die Salzburger Bücherverbrennung wurde verdrängt. Auf dem Residenzplatz feiert man Jahr für Jahr lieber mit dem Fackeltanz die Eröffnung der Festspiele.

 

Erst 1987 bat die »Salzburger Autorengruppe« Erich Fried, in Salzburg an das Verbrechen zu erinnern. Fried hatte nicht nur die Vergangenheit im Sinn, er sprach das gegenwärtige Problem an: »Und bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern, und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern.«

 

Im Jahre 2007 wurde der Salzburger Residenzplatz wieder ein Ort der Mahnung und Erinnerung. Der Schriftsteller Robert Schindel: »Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen.«

 

Schließlich wurde im Jahre 2011 an der St. Michaelskirche am Residenzplatz zur Erinnerung an die Bücherverbrennung eine kleine unscheinbare Gedenktafel – sie fällt kaum auf – mit folgendem Text enthüllt:

 

Das war ein Vorspiel nur –

Dort wo man Bücher verbrennt,

verbrennt man auch am Ende Menschen.

Heinrich Heine 1823

 

 

ZUR MAHNENDEN ERINNERUNG

AN DIE AM 30. APRIL 1938

VON DEN NATIONALSOZIALISTEN

INSZENIERTE BÜCHERVERBRENNUNG

AM RESIDENZPLATZ

Stadt Salzburg

 

 

Es folgt in englischer Sprache: »In somber remembrance of the book burning / the Nazis staged on Residenzplatz / on April 30, 1938«. Seit 2012 gibt es außerdem im Innenhof der Fachbibliothek im Uni-Park das Mahnmal »In Memoriam Bücherverbrennung« von Zoltan Pap.

 

Jetzt, 80 Jahre nach der einzigen Bücherverbrennung in Salzburg, soll ein »Mahnmal zur Bücherverbrennung« enthüllt werden: am 30. April. Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden Salzburger Bürgermeister Bernhard Auinger treten folgende Festredner auf: Monika Sommer-Sieghart vom Haus für Geschichte Österreichs, der Schriftsteller Michael Köhlmeier sowie Universitätsprofessor Anselm Wagner. Das Mahnmal wird nicht am historisch korrekten Ort nahe der Platzmitte, sondern am Rand des Residenzplatzes errichtet. Die Kritik an der Auswahl des Standortplatzes ließ nicht lange auf sich warten. In einem offenen Brief appellierte der Salzburger KZ-Verband/Verband der Antifaschist/innen an die Verantwortlichen, den geplanten Standort nicht hinzunehmen. Ohne Erfolg. Das Kulturamt der Stadt begründete die Standortwahl in einem Schreiben an den Verband mit der Nutzung des Residenzplatzes als Veranstaltungsort, etwa für den Rupertikirtag oder den Christkindlmarkt.

 

So hat die Stadt Salzburg die Chance vergeben, eines der wichtigsten antifaschistischen Mahnmale am historisch korrekten Ort aufzustellen. Der Obmann des KZ-Verbandes, Josef Enzendorfer: »... hier passiert das, was den Opfern des Nazi-Terrors und ihren Nachfahren in der Zweiten Republik tausendfach widerfahren ist: Sie werden an den Rand gedrängt!«