Hoffnungen
Mit Resignation hat der spanische Justizminister Rafael Catalá die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein aufgenommen, das Carles Puigdemont am 5. April unter Auflagen und gegen 75.000 Euro Kaution freiließ. Catalá kommentierte den Beschluss der Richter mit: »Einige Justizentscheidungen gefallen uns besser, andere wie die zu Puigdemont weniger.« Auch der spanische Außenminister Alfonso Dastis hat Schwierigkeiten mit der Verfügung der deutschen Justiz. Spanische Zeitungen wie das Monarchistenblatt ABC wetterten über die Freilassung und sprachen vom »deutschen Justiz-Paradies«, wo man sich dem Recht entziehen könne. Die Entscheidung im Fall Puigdemont ist eine Blamage für den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und seine obersten Richter.
Nun versuchen die Spanier, die Justiz in Schleswig-Holstein davon zu überzeugen, dass Puigdemont doch wegen »Rebellion« ausgeliefert werden muss: Ein Team spanischer Staatsanwälte traf sich am 12. April mit deutschen Kollegen in den Büros von Eurojust, der Justizbehörde der Europäischen Union in Den Haag. Von deutscher Seite nahmen nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein der Generalstaatsanwalt Wolfgang Zepter und eine Mitarbeiterin teil. Die spanischen Staatsanwälte sollen Videoaufnahmen und Ermittlungsakten zur Verfügung gestellt haben, die angeblich dokumentieren, dass es am 1. Oktober 2017 in Katalonien zu Gewalttaten gekommen sei. Auch wurde Material übergeben, das die Richtigkeit der Anklage gegen Puigdemont wegen Steuergeldveruntreuung beweisen soll. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hatte um zusätzliche Informationen gebeten.
Die Tageszeitung El País meldete, dass spanische Staatsanwälte bereits im März eine umfangreiche Dokumentation und eine Zusammenfassung der Anklage von Richter Pablo Llarena – Richter am Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof Spaniens) – nach Schleswig-Holstein geliefert hätten. Die katalanische Zeitung La Vanguardia kommentierte: »Das Oberlandesgericht kann nun mit den neuen Argumenten seine Entscheidung neu überdenken.«
Eine für den 13. April vorgesehene Wahl von Jordi Sànchez zum Regionalpräsidenten Kataloniens konnte nicht stattfinden. Richter Pablo Llarena verweigerte dem Kandidaten für den Wahlgang im Parlament eine vorübergehende Freilassung aus dem Gefängnis. Auch der Vorschlag einer Videoschaltung wurde abgelehnt.
Schelte für die Freilassung Puigdemonts gab es vom Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für Spanien und Portugal in Madrid, Wilhelm Hofmeister. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb er am 10. April: »Anstatt sich auf Grundregeln des europäischen Haftbefehls zu konzentrieren und Puigdemont nach Spanien zu überstellen, hat das Oberlandesgericht in kürzester Frist eine qualifizierte Bewertung der Vorgänge um das illegale Referendum in Katalonien am 1. Oktober 2017 vorgenommen, was nicht verlangt war und was seine Kompetenzen deutlich überschreitet.« Auf der FAZ-Leserbriefseite finden sich täglich ähnliche Beiträge.
Ich bin dankbar, dass sich die Justiz in Schleswig-Holstein gegen »Rebellion« entschieden hat.
Karl-H. Walloch
Schöner 1. Mai
Ach, wie war es ehedem
doch am 1. Mai so schön.
Rote Fahnen und Schalmei
und am Rand die Polizei.
Die beschützte allemal
das bedrohte Kapital,
dem der mächtige Gesang
schrecklich in den Ohren klang:
»Mann der Arbeit aufgewacht
und erkenne deine Macht:
Alle Räder stehen still,
wenn dein starker Arm es will.«
Heut’ jedoch, soweit ich seh’,
nichts davon beim DGB.
Der liebt mehr die sanfte Tour.
Heut’ gibts leere Sprüche nur.
C. T.
Was wir wollen
Die Partei Die Linke zerfällt derzeit in zwei Lager: Die einen wollen eine Bewegung gründen, und die anderen wollen das um keinen Preis. Die Entscheidung ist schwer, noch wissen wir gar nicht, ob die Partei bestehen bleiben würde, wenn eine Bewegung entsteht. Wir sollen und müssen aber jetzt entscheiden.
Nach meiner Meinung sollte die Entscheidung von dem Ziel abhängen, das wir verfolgen. Ich selbst wünsche, dass wir uns auf den Weg zum Sozialismus begeben. Einst kam das auch im Namen der Partei zum Ausdruck, der ich angehörte: Partei des demokratischen Sozialismus. Jetzt ist der Sozialismus aus unserem Namen verschwunden, ich hoffe, nur aus dem Namen.
Ich muss offen gestehen, dass ich nicht erkennen kann, dass wir auf dem Weg zum Sozialismus Fortschritte machen. Seit Jahr und Tag dümpeln wir bei zehn Prozent der Wählerstimmen herum. Andererseits habe ich aus Umfragen entnommen, dass eine viel größere Zahl von Menschen den Sozialismus für eine gute Sache hält, die nur schlecht gemacht wurde. Und ich sehe, dass in den USA Bernie Sanders, der sich Sozialist nennt, viele, besonders jüngere Wähler, an sich zieht. Weiter lese ich, wie Jeremy Corbyn die englische Labourparty mit sozialistischen Parolen erobert hat. Mir ist nicht wichtig, ob Corbyn und Sanders meiner Vorstellung von sozialistischer Politik entsprechen, mir ist allein wichtig: Sie wollen Sozialismus, die Menschen wollen Sozialismus.
Wir müssen, denke ich, Bilanz ziehen: Was haben wir erreicht? Mit den bisherigen Methoden werden wir auf dem Weg zum Sozialismus keine Fortschritte machen. 28 Jahre sind genug. Deswegen meine ich, seien wir mutig, gehen wir den Weg der Corbyn, Sanders, Tsipras, den Weg von Podemos. Immer mehr Menschen erkennen, Kapitalismus bringt nichts, Privatisierung bringt nichts. Da wird nur das Wasser, der Strom, das Gas teurer, die Eisenbahn und der öffentliche Personennahverkehr fahren nicht mehr zuverlässig, die Post kommt nicht mehr täglich, Straßen stürzen ein, Flugplätze werden nicht fertig, Schulgebäude und -grundstücke ins Privatrecht überführt, Banken sind nicht mehr sicher. Und, last not least, der Frieden ist in Gefahr. Worauf warten wir
noch?
Friedrich Wolff
Christliche Wertegemeinschaft
Unter Erneuerung ist zu verstehen, dass man in Zukunft andere Fehler macht als in der Vergangenheit.
*
Mit dem Wort Verantwortung gehen manche Politiker um, wie wenn jemand einen Bordellbesuch Liebe nennt.
*
In der Leipziger Volkszeitung wird Wolfgang Schäuble unter der Überschrift »Misanthrope Konsequenz« so zitiert: »Der Mensch lügt, er verrät, er manipuliert, lässt sich manipulieren.« Offenbar kann man die christliche Wertegemeinschaft so sehen.
Günter Krone
Mit Balzac unterwegs
Honoré de Balzac hat gar viele Romane geschrieben, die er als »menschliche Komödie« verstanden wissen wollte. Werke über ihn gibt es ebenfalls nicht wenige. Heinrich Peuckmann, der vielseitige Autor aus dem Ruhrgebiet, hat nun eine Zugfahrt Balzacs quer durch das per Eisenbahn gerade erschlossene Mitteleuropa im Jahr 1847 als Erzähl-Anlass für eine Novelle gewählt. Zu Beginn steht eine Kutschfahrt, die Balzac fast in die ewigen Alpen-Abgründe befördert, doch dann reist er fast schon bequem ab Paris-Nord via Köln und Magdeburg bis nach Krakau, um das Gut seiner Verehrerin Eva von Hanska (real: Ewelina Hańska, geborene Rzewuska) in der Ukraine zu erreichen und Ruhe vor Journalisten und Gerichtsvollziehern zu haben. Bekannt sind die riesigen Honorare des Schriftstellers und die noch größeren Schulden.
Die äußeren Reise-Stationen führt Peuckmann farbig und detailgetreu vor: Rhein-Querung, wobei die Reisenden ihre Koffer zu schleppen haben, Elb-Überfahrt per Fährschiff, Belästigung durch Mitreisende, Zugwechsel, Bahnhofsgaststätten, schlechter Rotwein, Furcht vor einem eingebildeten Detektiv. Ausgiebig werden körperliche Malaisen beschrieben, die der exzessive Nachtarbeiter und Kaffeetrinker durchleiden muss. Immer wieder aber schildert Peuckmann Episoden aus Balzacs Leben, die dieser im halbwachen Zustand imaginiert: Seine Sucht nach erotischen Erlebnissen, die ihn in höhere – in adlige – Sphären führen sollen. Ein Gespräch mit Heinrich Heine über den jungen Feuerkopf Karl Marx. Balzac regt einen Schriftstellerverband an – mit unter anderen Dumas, Victor Hugo und George Sand – der die Urheberrechte schützen soll. Ein Theaterstück soll kollektiv in zwei Tagen geschrieben werden. Peuckmann, der auch Literatur-Funktionär im PEN-Präsidium ist, weiß um bürokratisch-politische Probleme, die Autoren seit Balzac umtreiben.
Die meisten Episoden sind verbürgt und klug beschrieben, manches zumindest gut ausgedacht. Peuckmann meidet zu lange Sätze, streut Gegenwarts-Vokabular auch in Balzacs Sprache; er will nicht das 19. Jahrhundert imitieren. So ist das Jugendbuch-Handwerk dieser Novelle anzumerken; vielleicht greifen Schüler des einstigen Lehrers Peuckmann so zu Balzac? Apropos: Auf dem Umschlag steht »Roman«. Entstammt diese Bezeichnung den Umsatz-Erwartungen des Verlages? Immerhin erschien soeben die zweite Auflage.
Matthias Biskupek
Heinrich Peuckmann: »Die lange Reise des Herrn Balzac«, Lychatz Verlag, 125 Seiten, Festeinband, 19,95 €
Kiez-Roman
Torsten Schulz hat ein Händchen für Ost-Berlinisches. Diesmal leben seine Protagonisten im Skandinavischen Viertel. Erzählt wird vom Jungen Matthias, der hier durch die Straßen strolcht, sich auch einmal mit den Grenzern an der Mauer anlegt und dessen Familie im Viertel zu Hause ist. Schnoddrige Durchschnittsberliner, kleine Leute, von denen jeder ein Geheimnis hat. Mit dem Wechsel der Kapitel erleben wir dann Matthias als knapp Fünfzigjährigen, der nach Jahren im Ausland wieder im Kiez gelandet ist, nun als Makler, der es genießt, entscheiden zu können, wer in die Wohnungen im Heimatviertel einziehen darf. Doch sein (Klein-)Kampf gegen die großen Immobilienhaie ist nicht zu gewinnen. Aber Matthias ist wie sein Lieblingsheld Sisyphos: Trotz Scheiterns macht er immer weiter.
Schulz kennt sein Viertel und dessen Bewohner. Die Details, sowohl die aus der Vergangenheit als auch die aus der Gegenwart, stimmen, das reicht von den Kneipen bis zu den Gerüchen oder Getränken. Das Schönste aber ist diese Berliner Familie, die sich so durchwurstelt. Ein echter Berlin-Roman!
Christel Berger
Torsten Schulz: »Skandinavisches Viertel«, Klett-Cotta, 263 Seiten, 20 €
Zuschrift an die Lokalpresse
Da hat die Deutsche Post Direkt GmbH ihren Kunden Ostern aber ein schlecht abgeschrecktes Ei ins Nest gelegt! Nach Medien- und Presseberichten habe sie durch den Verkauf offensichtlich mit dem Posthorn weitergeblasener Personendaten an CDU und FDP ein Geschäftchen gemacht und damit den Wahlkampf für den Bundestag regional und »straßengenau« beeinflusst. Das Fernsehen berichtete am Ostermontag, und die Bild am Sonntag hatte es schon einen Tag zuvor verkündet: Die Post verfügt angeblich über Informationen zu 85 Prozent aller Haushalte, darunter zu Kaufkraft, Bankverhalten, Bildung, Wohnumfeld, Familienstruktur und PKW-Eigentum. Und die Parteien hätten das für den »Haustürwahlkampf« genutzt, wobei aber das »Datenschutzgesetz strikt eingehalten« worden sei. Ach ja? Wie soll denn das gehen? Erst habe ich mich darüber amüsiert und das Ganze dem 1. April zugeschrieben. Dann bin ich aber stutzig geworden, weil es doch nicht sein kann, dass sich eine irgendwie doch noch staatliche Behörde zum Datenvermittler abqualifiziert hat. Reicht nicht schon der Facebook-Skandal? Und jetzt ist auch die offizielle Post eine Instanz für Personendaten? Kann sich der gläserne Otto Normalverbraucher dagegen schützen? Natürlich, das kann er. Er muss der Weitergabe der Daten nur prophylaktisch und schriftlich widersprechen. Er müsste also der Post – vielleicht auf einem noch zu erfindenden Formblatt – mitteilen, welche Daten aus welcher Sendung vom Informationszwischenträger Deutsche Post GmbH weder direkt noch indirekt weitergegeben werden dürfen. Da wäre dann lediglich noch formal zu klären, ob und inwiefern eine Veränderung oder Akzentuierung des Art. 10 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik erforderlich ist. Vielleicht wäre es auch sinnvoll, noch vorhandene und seit langem unter Denkmalsschutz stehende steinerne Postsäulen nochmals als Datenträger zu reaktivieren? – Veronika Vorprescher (67), Datenschützerin a. D., 99610 Wundersleben
Wolfgang Helfritsch