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KP Brehmers Zukünftigkeit  (Monika Köhler)

Artikel 22, Grundgesetz: »Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.« Stimmt. Aber über die Verteilung (der Farben) erfährt man nichts. Klaus Peter Brehmer berichtigte die Fahne der BRD. Dabei wurden die Nationalfarben »gemessen an der Vermögensverteilung« der Bürger ausgerichtet. Die Hamburger Kunsthalle stellt die so erneuerte Flagge zusammen mit 200 anderen Werken des Künstlers, auch Filme, nun aus (bis 23. Juni). Titel: »Korrektur der Nationalfarben«. Und wie sieht dieses Nationalsymbol aus? Das Schwarz ist ein schmaler Streifen, der Mittelstand. Das Gold, das Großkapital, es beherrscht alles, blendet die Augen. Das winzige Rot steht für die Rest-Haushalte (wie Restmüll) und ist kaum zu erkennen. Der Künstler, der sich seit 1967 KP Brehmer nannte – als Reverenz an die verbotene Kommunistische Partei (KPD) –, ließ die Flagge 1972 auf der documenta 5 vor dem Eingang wehen. Die Wirtschaftszeitschrift Capital gab schon 1970 einen Offset-Druck ihrem Heft bei. Bekannt wurde Brehmer, seit er in den 1960er Jahren zusammen mit Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Lueg und Wolf Vostell einen »Kapitalistischen Sozialismus« ins Leben rief. Ein ironisches Infragestellen der vorherrschenden Bildsprache der Medien und deren Vermarktung in der Werbung. Der Titel des Katalogs heißt: »Kunst ≠ Propaganda« (Katalog, 232 Seiten, Verlag Koenig Books London, 29 €). Die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsproduktion der Hamburger Kunsthalle mit dem Neuen Museum Nürnberg, dem Gemeentmuseum in Den Haag und Arter, Istanbul.

 

In den Vitrinen Beispiele der von Brehmer gesammelten Zeitungsausschnitte und Fotos, die er – verfremdet – in seine Werke einbezog. Er bezeichnete das als »Ideologische Kleptomanie«. Brehmer, 1938 in Berlin geboren, hatte Grafik studiert und sich schon früh eine Druckpresse gekauft. Was er produzierte, nannte er »Trivialgrafik«. Symbole der Nationalstaaten, zu denen – neben der Fahne – auch Briefmarken gehören, denen er sich ab 1966 widmete. Die erste Marke, die er wohl noch kennengelernt hatte: Hitler – bei ihm riesengroß. Dann entstanden fünfzig Briefmarken in unterschiedlichen Größen, als Einzelmotiv und als Serie, von der BRD und DDR, echte und fiktive. So eine erfundene Marke mit dem Kopf Ernst Thälmanns im Wert von 20 Pfennigen von der Deutschen Bundespost – mit Stempel. Oder – echt? Ein Auswahlbeutel: »Deutsche Kultur« mit Goethe und Dürers Hasen (1967/1969) – ein Kulturbeutel? Nach dem Anschluss, dieser Wende, entstanden Serien mit DDR-Motiven und dem grellen Aufkleber: »Billiger jetzt DM -,99«.Wie im Ausverkauf. Die sozialistischen Staaten, alle entwertet. Auch eine 5-Pfennig-Marke, Deutsche Post (DDR?) bekam ein »jetzt billiger -,99«-Zettelchen.

 

Ein wichtiges Werk Brehmers ist die zweiteilige Arbeit »Seele und Gefühl eines Arbeiters« von 1978. Sie beruht auf einer Untersuchung der 30er Jahre von Rexford B. Hersey über den seelischen Zustand von Arbeitern während des Produktionsprozesses. Untersuchungszeitraum war ein Jahr. Die Skala geht von »sehr glücklich und hoffnungsvoll« bis »traurig, unbehaglich und ängstlich«. Insgesamt zwölf Empfindungen. Brehmer nahm Millimeterpapier, um darauf horizontal den Zeitablauf und vertikal die Stimmungsskala zu dokumentieren. Mehrere Arbeiten zu dem Thema entstanden. Erst der Katalog erschließt die Tragweite dieser, wie es der Künstler nannte: Nutzbarmachung der »Trivialgrafik« (so der Titel einer Ausstellung Brehmers 1965 in der Galerie René Block in Berlin). Er habe, schreibt Doreen Mende im Katalog über die »Zukünftigkeit von KP Brehmer«, mit Blick auf »die Darstellbarkeit von sozialen Prozessen«, um die Mechanismen sichtbar werden zu lassen, die »visuellen Grammatiken des real existierenden Kapitalismus« analysiert. Weiter, Brehmer muss »gewusst haben«, dass Herseys Studien 1935 auf Deutsch mit einem Geleitwort des NSDAP-Agitators Robert Ley erschienen ist. Mende erwähnt die Propaganda-Parteitage der NSDAP und Verabschiedung der »Nürnberger Rassengesetze«.

 

Um 1977 entstand die »Kenn-Zeichnung (1940)« genannte Arbeit. Sie bezieht sich auf die farbigen Wimpel, die Häftlinge in den Konzentrationslagern charakterisieren sollten als: »Asoziale, Bibelforscher, Aktionshäftlinge, Arbeitsscheue, Jüdische Rassenschänder, Zigeuner …« In der Nähe hängen auch Tafeln, auf denen Besucher ihre Kommentare während einer Ausstellung 1973 mit Kreide hinterlassen konnten. Auf der einen steht: »1919 – Rosa Luxemburg wird unter einer SPD-Regierung von rechten Militärs ermordet und in den Landwehrkanal geworfen.« Dazu Kreideschmierereien: »Kampf der kommunistischen Hetze!« und »Lest Archipel Gulag« bis zu dem bekannten: »Kanacken raus aus Deutschland!« Ähnlich erging es dem Text: »1944 – E. Thälmann KPD, R. Breitscheidt SPD, kommen im KZ ums Leben«. Dazu hingeschmiert: »IN DER OSTZONE HEUTE IN BAUZEN [sic!] AUCH IM KZ!«. Auf der Tafel mit der Bemerkung: »1973« ohne vorgegebenem Text: viel Kreide, auch ein »Wacht auf«. Die andere Tafel daneben bevölkern nur Gesichter und dazwischen geschmierte Namen: das Volk?

 

Schon 1968 präsentierte Brehmer eine »Braunwertskala«. In verschiedenen Brauntönen – wie die Karten eines Fächers – sollten die Besucher ihre Tageszeitung testen durch Auflegen unter die drei Sichtfenster. Was war zu sehen? Das Porträt von Josef Goebbels, unterschiedlich braun.

 

Brehmers »Farbengeografie« – meist Anfang der 70er Jahre entstanden – gibt Aufschluss über »Investment Climate«, in Form einer Rollkarte wie aus dem Schulunterricht. Abgebildet ganz Südamerika, in Farben eingeteilt, von »bestens« – die goldgelben Gebiete bis zu »gefährlich« – die roten. Also: wo investieren und wo auf keinen Fall. Zu diesem Thema gehören auch: »Die Haarfarben in Frankreich« aus einem Schulbuch von 1941. Die »Rassenmerkmale«: lokalisiert – im Süden die Dunklen, im Norden eher arisch. Ganz hell dagegen die in den Jahren 1968-1975 entstandene Serie »Noli me tangere«. Dieses »Rühr-mich-nicht-an«, ein Zitat aus dem Johannesevangelium, bezeichnend für Brehmers »ideologische Kleptomanie«. Er eignet es sich an, um es zu zerstören. Es ist in Blindenschrift mit konvexen weißen Punkten auf weißer Fläche zu »lesen«, also nur durch Berührung zu erfahren, was aber der Text verbietet.

 

Würde KP Brehmer noch leben – er starb 1997 in Hamburg, wo er auch als Professor an der Hochschule für Bildende Künste lehrte – heute, im Zeitalter des Internets, hätte er Material ohne Ende.

 

Wie visionär Brehmer war, zeigt sein 220 mal 120 Zentimeter großes Plakat: »Profilierungsversuche (den deutschen Sozialdemokraten gewidmet)« – schon 1972/73. Zu sehen ist nur das Kürzel »SPD« in 18 Schriftversionen. Welche ist am eindrucksvollsten? Brehmer notierte schon mal daneben einen Kommentar, wie mit Bleistift geschrieben: »Arnold Böcklin«. Wollte er die Partei auf die Toteninsel abschieben?