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Keine Armut. Nirgends?  (Stefan Hug)

»Kleiner Mann – was nun?«, der 1932 erschienene Erfolgsroman von Hans Fallada, schilderte das Schicksal eines kleinen Angestellten während der Weltwirtschaftskrise; Fallada hatte die Verhältnisse ganz unten selbst kennengelernt, saß sogar einige Zeit im Gefängnis. Auch der Erfolg von Alfred Döblins Roman »Berlin Alexanderplatz« (1929) dürfte mit darin begründet liegen, daß sich viele Leser mit dem Überlebenskampf des Franz Biberkopf identifizieren konnten. Beide Bücher wurden mehrmals verfilmt und sind vielen Deutschen heute noch feste Begriffe. Doch auch weniger bekannte Autoren haben Anfang der dreißiger Jahre die grassierende Armut, die Arbeitslosigkeit und das Elend in ihren Werken zeitnah reflektiert, so Irmgard Keun 1931 in »Gilgi – eine von uns« und 1932 in »Das kunstseidene Mädchen«; in beiden Büchern vermieten junge Frauen ihre Körper, um zu überleben. Der Kommunist Rudolf Braune zeigte 1930 in »Das Mädchen an der Orga Privat« die Willkür der Unternehmer. Selbst der den Nazis nahestehende Karl Aloys Schenzinger brachte 1931 in »Man will uns kündigen« soziale Mißstände zur Sprache. Erich Kästner schickte den Protagonisten seines »Fabian« 1931 nicht nur durch Liebesnöte, sondern auch durch die Mühlen der Arbeitslosigkeit. Bis auf Schenzinger und Fallada, der sich auf unverfängliche Themen verlegte, wurden übrigens alle genannten Autoren von den Nazis geächtet.

Die Beispiele zeigen: Die sozialen Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise wurden literarisch verarbeitet. Das kann man von der Arbeitslosigkeit und der Armut der letzten Jahre kaum behaupten. Raul Zeliks »Berliner Verhältnisse« (2005) blieb nahezu unbekannt – jedenfalls den Armen. Alexander Graf von Schönburg-Glauchaus »Die Kunst des stilvollen Verarmens« aus dem gleichen Jahr spiegelt hingegen die »Nöte« eines Blaublütigen, der von der FAZ nicht nahtlos in den Chefredakteurssessel der deutschen Park Avenue wechseln konnte. Zu Bernd und Luise Wagners »Berlin für Arme« aus dem März 2008 merkt die Süddeutsche treffend an, daß es eher »Berlin für Schnorrer« heißen müßte und jedenfalls kein Ratgeber für Arme ist. Freier Eintritt in Museen, so begrüßenswert er ist, dürfte die Mehrheit jener, die sich an den Tafeln anstellen, erst in zweiter oder dritter Linie interessieren. Und wo es dann doch mal um Lebensmittel geht, wird es abenteuerlich bis lächerlich: Die Wagners empfehlen im Winter das Eisfischen und im Frühling das Pflücken von Bärlauch im Charlottenburger Schloßpark. Im Klappentext heißt es bezeichnenderweise, daß gezeigt wird, wie man »dem vermeintlichen Mangel eine lange Nase dreht«. Vermeintlicher Mangel!

Auf den Bildschirmen wird die Armut eher gespiegelt als auf den Titelseiten. Das Fernsehen ist näher am Volk, zumindest suggeriert es diese Nähe. Besonders die Kommerzsender nehmen sich des Themas an, aber stets im Bezugsrahmen von Mildtätigkeit, selbstverschuldeter und überwindbarer Misere. Der Sender RTL2 präsentiert seit 2005 die Serie »Zuhause im Glück – Unser Einzug in ein neues Leben«. Familien, deren Traum vom vollständig eingerichteten Eigenheim durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder sonstige Faktoren durchkreuzt wurde, erhalten hier Hinweise auf Handwerker und andere Tips. »Raus aus den Schulden« von RTL zeigt meist Familien, die auf zu großem Fuß gelebt oder bei Finanznot am falschen Ende gespart haben. Die Lektion hier: Vernünftiges Haushalten und Gürtel-enger-schnallen löst alle Probleme. Man kann auch mit wenig auskommen, wenn man nur will. Irgendwo läßt sich immer noch ein kleiner Nebenjob auftreiben, der die Haushaltskasse ausgleicht… Armut wird zwar thematisiert, letztlich aber doch negiert. Nur die Doofen und Arbeitsscheuen sind wirklich arm, und die trifft es zu Recht.

Keine Armut, nirgends, im Deutschland des Jahres 2008.