Er sei doch nur ein leiser, introvertierter Journalist für das unpolitische Feuilleton gewesen, zudem ein liebevoller Ehemann und Vater – niemals Parteimitglied. Und dann an einem Freitag, dem 21. September 1945, von der sowjetischen Geheimpolizei abgeholt worden, seither spurlos verschwunden. Sicher, im Krieg habe er Nachrichten für das Ausland erfinden müssen und ein Buch über irgendeinen U-Boot-Kapitän verfaßt. Aber sonst?
Eva Züchner, Literaturwissenschaftlerin und Historikerin, die Tochter des verschwundenen Journalisten Gerhart Weise, setzt dieser Erzählung ihrer Mutter eine ebenso einfühlsame wie akribische Spurensuche entgegen. Es stimmt: Der Vater war nie Mitglied der NSDAP, sondern ein parteiloser überzeugter Nazi. Er schrieb in Die HJ, Der Angriff und Das Reich für das NS-System und zum Beispiel gegen die »entartete Kunst«.
Ab April 1940 ist Gerhart Weise »Uk gestellt« und arbeitet als Auslandspropagandist für Goebbels. In dem geheimen Propagandabüro Schwarz van Berk ist seine Aufgabe: Desinformation der alliierten Kriegsgegner. Goebbels wünscht, daß »sehr viel Material in die deutschfeindliche, ja sogar in die englische Presse lanciert« wird. Zufrieden notiert der Propagandaminister am 14. Oktober 1941 über seinen gerade 28 Jahre jungen Mitarbeiter: »Weise schreibt eine Broschüre über den englischen Luftkrieg. Sie ist vor allem für das neutrale Ausland berechnet und wird ihre Wirkung nicht verfehlen.« Es soll nicht der letzte lobende Tagebucheintrag Goebbels’ über Weise sein, der effektiv und nimmermüde auch für die Reichsfilmdramaturgie und für die Ufa arbeitet.
Weise war Ghostwriter für den Bestseller des U-Boot-Kapitäns Werner Hartmann »Feind im Fadenkreuz. U-Boot auf Jagd im Atlantik«. Er war Koautor des letzten NS-Propagandafilms »Das Leben geht weiter«. Dem Denunzianten seines Freundes Erich Ohser alias e. o. plauen attestierte er in einer auf den 7. März 1944 datierten Aktennotiz, daß dessen »Angaben den Tatsachen entsprechen«. Dem Todesurteil gegen e.o. plauen stand nun nichts mehr im Wege.
Weises Tod im Gewahrsam der sowjetischen Geheimpolizei ist nicht mehr zweifelsfrei zu klären. Er starb, so die Recherchen der Autorin, vermutlich vor dem 10. Oktober 1945 an Diphtherie.
Züchner bietet eine sensible und faktenreiche Innenansicht der NS-Propaganda. En passant enthüllt sie, daß Adenauers 1956–1965 nacheinander für Postwesen, Gesamtdeutsche Fragen und schließlich Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte zuständiger Minister Ernst Lemmer (CDU) als Kollege Weises für Goebbels’ Auslandspropaganda mittels »Lancieren von Artikeln in die Auslandspresse« wirkte.
Eva Züchner: »Der verschwundene Journalist. Eine deutsche Geschichte«, Berlin Verlag, 288 Seiten, 24 €