erstellt mit easyCMS
Titel0910

Griechenland-Krise als Lehrstück (4)  (Otto Meyer)

Die Forderungen aus der Brüsseler EU-Administration, Deutschland müsse zu seiner Verantwortung stehen, die sich aus seinen massiven Exportüberschüssen gegenüber fast allen anderen Ländern der Gemeinschaft ergäbe, klangen alarmierend und waren auch so gemeint: Die BRD solle Griechenland Kredithilfen leisten und zudem die Löhne im eigenen Land erhöhen, um die Binnenkonjunktur auf den Verbrauchermärkten zu steigern!

Doch derartige Forderungen weist die Bundesregierung in Übereinstimmung mit den hier herrschenden Kapitalfraktionen regelmäßig mit dem Argument zurück, in Deutschland gelte auf den Arbeitsmärkten »Tarifautonomie«, zuständig für die Lohnentwicklung bei uns seien die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften. Naßforsch stellte Der Spiegel klar: »Die Deutschlandkritiker tun so, als legte die Regierung die Löhne fest. Tatsächlich wird die Bezahlung in Deutschland von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften ausgehandelt.« Könnte dieses »Modell Deutschland« der Einbindung und Zähmung der Gewerkschaften – so der zarte Hinweis – nicht auch in Griechenland und den anderen Defizitländern erfolgreich Anwendung finden? Zumal in Hellas ja seit einigen Monaten eine in Teilen der Arbeiterschaft verankerte sozialdemokratische Regierung amtiert, die ähnlich wie Schröders und Steinmeiers SPD »notwendige Reformen« besser »kommunizieren« könnte als die Konservativen. Schließlich hat ja die Sozialdemokratie ganz allgemein als »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« eine lange Erfahrung …

Unsere Regierenden wollen davon ablenken, daß sie sehr wohl die Lohnentwicklung wie insgesamt die Kaufkraft auf dem Binnenmarkt entscheidend beeinflussen. In Bund, Ländern und Gemeinden sind sie Arbeitgeber für mehrere Millionen Beschäftigte und schon deshalb direkt verantwortlich. Die Reallöhne haben sich aber seit Jahren im Öffentlichen Dienst noch schlechter entwickelt als in anderen Sektoren. Zudem ist von den einst sechs Millionen Arbeitsplätzen in diesem ihrem Arbeitgeberbereich nicht einmal die Hälfte übriggeblieben. Damit haben die Regierungen unter Kohl, Schröder und Merkel das Heer der Arbeitslosen vergrößert und schon allein hierdurch die Konkurrenzsituation für die Arbeitsuchenden erheblich verschärft. Nicht zuletzt die Agenda- und Hartzgesetze der Regierung Schröder, die unter Schwarz-Rot ausgebaut wurden und jetzt unter Schwarz-Gelb perfektioniert werden sollen, »flexibilisierten« die Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt zuungunsten der ArbeitnehmerInnen. Die Lockerungen des Kündigungsschutzes, die Einführung der Leiharbeit, Teilzeit- und Kurzarbeitsregelungen und viele weitere staatliche Maßnahmen beschleunigten die Entwicklung zu den heute Millionen prekären Jobs. Nicht vergessen sei die staatlich durchgesetzte Absenkung in der Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung, womit der in Jahrzehnten erkämpfte »Soziallohn« der Arbeiterklasse insgesamt massiv minimiert worden ist. Das ganze Ausmaß des ständigen Raubes an sozialen Errungenschaften wird auch von den Gewerkschaften unterschätzt und bei Tarifverhandlungen ständig ausgeblendet.

Immer wieder lassen sich deutsche Gewerkschaften für angebliche Vorteile in der Standortkonkurrenz einspannen, statt für angemessene Lohnerhöhungen zu streiten. Internationale Solidarität bleibt auch auf EU-Ebene ein Posten für Festtagsreden ohne wirksame Folgen. Immer noch vertreten hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre die These, das deutsche Modell, Spartentarife mit den Unternehmensverbänden auszuhandeln und in den Betrieben »Co-Management« mit den Kapitaleignern zu pflegen, habe sich für die deutsche Arbeiterschaft besser ausgezahlt als die Taktik der Kollegen in anderen Ländern, die Auseinandersetzungen auch mit politischen Streiks bis hin zum Generalstreiks auf die Straßen zu tragen. Erst jetzt wird in der deutschen Öffentlichkeit allmählich bekannt, daß in den Nachbarländern wesentlich höheren Einkommen und Soziallöhne erreicht worden sind.

Am Desaster Griechenlands kann man studieren, wohin es führt, wenn Produktivitätsgewinne nicht zur Sicherstellung der Lohneinkommen aller am Arbeitsergebnis Beteiligten und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse insgesamt verwendet, sondern einseitig von den Unternehmern verbucht werden, die sie vorwiegend dazu nutzen, zusätzliche Konkurrenzvorteile zu erringen. Solange sich neue Marktanteile, sei es in Europa oder global, erobern lassen, können zumindest die Arbeitsplätze im eigenen Land sämtlich oder größtenteils erhalten werden – das war die Prämie, mit der Gewerkschaften und Sozialdemokraten sich in Strategien des Standortwettbewerbs einbinden ließen und sogar Reallohnsenkungen zustimmten. Daß sich dadurch im Nachbarland oder weltweit die Einkommens- und Lebensverhältnisse weiter verschlechtern müssen, wird ausgeblendet oder billigend in Kauf genommen. Den Lohnsenkungswettbewerb kann aber letztlich kein Land gewinnen. Das Mittel der Kreditausweitung für einzelne oder Unternehmen und dann auch für ganze Staaten hilft nur eine Zeitlang – bis schließlich die Kredite platzen. Dann droht das Schuldendesaster auch auf die zuvor erfolgreichen Länder zurückzuschlagen.

Der Fall Griechenland kann zudem zeigen, wozu Exportguthaben, die nicht durch Importe von Waren oder durch Zahlungen für Dienstleistungen aufgewogen werden, den Gewinnern in der Regel dienen: Die Exportsieger verwenden ihre Profite aus den Auslandsgeschäften nicht für zusätzliche Investitionen hier im Inland. Stattdessen erwerben sie lieber Firmenanteile und Immobilien sowie Staatsanleihen in den Verliererländern und gewähren dafür großzügig Kredite. Das heute faktisch insolvente Griechenland hat sich auf diese Weise mit vielen Milliarden Euro vorwiegend bei deutschen Finanzinstituten verschulden müssen, namentlich bei der Deutschen Bank.

Den Aufkauf relevanter Wirtschaftsteile im Ausland durch deutsches Kapital haben also letztlich die braven deutschen Arbeiter mit ihrer jahrelangen Lohnzurückhaltung bezahlt. Doch wenn heute dem in die Pleite konkurrierten Griechenland erlaubt würde, seinen Schuldverpflichtungen nicht mehr zur Gänze nachzukommen, könnte es auch für die deutschen Kapitalbesitzer und -verleiher eng werden. Am Ende hätte es sich für sie nicht gelohnt, auf Globalisierung und Exportoffensive zu setzen. Die vorläufig in andere Länder ausgelagerte große Kapitalkrise könnte zurückschlagen. Es ist keineswegs sicher, ob Bundeskanzlerin Merkels Neujahrswunsch von 2009, »wir Deutschen« wollten »stärker aus der weltweiten Finanzkrise herausgehen, als wir hineingekommen sind«, in Erfüllung geht.

Josef Ackermann von der Deutschen Bank flog schon mehrmals zu Beratungen nach Athen und ist häufiger Gast bei Angela Merkel. Sicher geht es auch um die Bezahlung jener Aufträge, die die konservativen Vorgänger der jetzigen griechischen Regierung für den Ankauf deutscher Schützenpanzer bei Krauss Maffei in Kassel sowie für U-Boote an die HDW-Werft in Kiel erteilt hatten. Die jetzt regierenden Sozialdemokraten versuchen einen Stopp auszuhandeln. Bisher vergeblich, denn »pacta sunt servanda!« Und Kriegsvorbereitungen darf man in Krisenzeiten auf keinen Falls einstellen, schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht. So funktioniert nun mal der Kapitalismus. Solange man ihn gewähren läßt.