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Der gute Sozialist des Spiegel  (Peter Rath-Sangkhakorn)

Oskar Lafontaine habe der SED/PDS/WASG/Linkspartei einen »stramm sozialistischen Programmentwurf verordnet«, wußte die Welt am Sonntag zu berichten, und prompt gab der Noch-Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, der Öffentlichkeit zu verstehen, was von diesem Text zu halten sei: Veränderungsbedürftig sei er, vor allem beim Eigentumsverständnis hapere es noch, denn privater Besitz sei »kein Teufelszeug«. Mit solchen Äußerungen hat sich Bartsch den Ruf eines gemäßigten, geläuterten Linken verschafft. Zudem liest man über ihn, er sei ein exzellenter Organisator. Wenn ein »Reformsozialist« in den Medien so viel Lob erhält, muß man näher hinschauen.

Seine Fähigkeiten sind nicht so unumstritten, wie Bartsch mit keckem Mundwerk glauben machen möchte, wenn er sich für die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009 feiern läßt. Die Erinnerung an sein Desaster im Jahre 2002 wäre noch lebendiger in Erinnerung, hätte es 2005 die beiden Leuchtfiguren Lafontaine und Gysi nicht gegeben. Unter seiner Geschäfts- und Wahlkampfführerschaft kamen nahezu alle Fehlentscheidungen zustande, die die PDS 2002 auf vier Prozent absacken ließen: vier dröge Spitzenkandidaten, keine/r aus dem Westen dabei; ein Wahlkampf, der den damaligen Kanzler Gerhard Schröder in Kernbereichen schonte. Zwar hatte er seinen Rücktritt angekündigt, sollte die PDS nicht im Bundestag bleiben (»daran werde ich mich auch persönlich messen lassen«, sagte er laut Spiegel). Als es aber soweit war, wollte er zum Dank für das Debakel gar noch Parteivorsitzender werden. An Biskys Stuhl hatte er ebenso gesägt wie an dem von dessen Nachfolgerin. Aber auch Gabriele Zimmer schlug ihn aus dem Feld.

Das war beim Parteitag der PDS in Gera, wo gegen Bartsch zusammenwuchs, was nicht zusammengehörte. Entstanden war die Notgemeinschaft in einer Telefonkonferenz des geschäftsführenden PDS-Parteivorstands. Am Tag zuvor hatte George W. Bush den Bundestag besucht, drei Abgeordnete der PDS hatten mit einem »Stop your wars«-Spruchband protestiert, wofür sich Bartschs Intimus Roland Claus offiziell als Fraktionsvorsitzender beim US-Kriegsherrn entschuldigte. Bartsch verlangte von der PDS-Spitze uneingeschränkte Solidarität mit Claus’ Kotau vor Bush. Gabriele Zimmer und ihr Stellvertreter Diether Dehm widersprachen gemeinsam, die Partei ging auf leichte Distanz zu Claus, und das Bündnis von Gera war geschaffen. Bartsch zog vorübergehend den kürzeren.

Sein Programm hatte er schon Anfang 1999 verkündet. Laut Berliner Zeitung forderte er damals, seine Partei müsse »im Jahr 2002 auch im Bunde regierungsfähig sein«. Dazu verlange er von seiner Partei »konsequenten Realismus«. Nach Ansicht des Bundesgeschäftsführers sollte sich die Partei beispielsweise in der Sozialpolitik oder in der Außenpolitik bewußt machen, »was mit den anderen machbar wäre«. Vielen in seiner Partei sei noch nicht bewußt, daß die PDS mittlerweile ein »Machtfaktor neuer Qualität« sei.

Wie aber nahm die SPD-Obrigkeit damals den »Machtfaktor neuer Qualität« wahr? Man bemühte sich mit gesteigertem Aufwand, Druck auf die PDS auszuüben. In der Außen- und Wirtschaftspolitik habe die PDS »einiges zu klären«, ließ Franz Müntefering verlauten. Unter anderem gehe es um ihr Verhältnis zur NATO und die Frage, ob sie »Systemopposition« betreiben wolle oder sich als »Reformpartei« verstehe (Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2000).

Während zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern Koalitionspartner Ringstorff im Bundesrat absprachewidrig der Rentenreform zustimmte, warf Müntefering der PDS-Spitze Fundamentalismus vor (Berliner Zeitung, 15. Mai 2001). Weil die PDS-Abgeordneten im Bundestag gegen Bundeswehreinsätze in Mazedonien und Afghanistan stimmten, kanzelte Müntefering den Bundesgeschäftsführer der PDS ab, als wäre der ein ihm unterstellter Sozialdemokrat: Bartsch habe »versagt«, ließ der SPD-Chef wissen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Januar 2002). Solches Trommelfeuer wurde nie wirksam zurückgewiesen. Was Wunder, daß Sigmar Gabriel und Franz Müntefering später, bei Lafontaine, immer gerne an ihren Bartsch zurückdachten.

Und Bartsch verfuhr mit innerparteilichen Kritikern und solchen, die ihm der Spiegel als »Betonköpfe« zugerufen hatte, wie weiland Fischer & Schröder mit ihren Fundis: Sie wurden zur Medientreibjagd freigegeben. Staatstragende Weichspüler pries Bartsch wie auch der Spiegel öffentlich als »Reformer«. Ihnen stellte er andere gegenüber, die er »fundamentalistisch-kommunistische« und »fundamentalistisch-marxistische« Kräfte oder »orthodox-marxistisches Lager« nannte. Die verdächtigte er, »auf einen Richtungs- und Identitätswechsel der PDS hinzuarbeiten«.

Dabei arbeitete Bartsch selbst an einer neuen Identität der PDS, gemeinsam mit seinem angestellten Schreibhelfer Thomas Falkner. Indiskretion gegenüber dem Spiegel war damals bereits verbreitete Methode zum Ausschalten politisch Andersdenkender. So sagte Falkner – im Schutzschatten Bartschs – über die gewählte Parteivorsitzende Gabi Zimmer im September 2002 zum Spiegel: »Die Frau muß weg … Deren Kurs führt uns zur Zwei-Prozent-Partei.« Dann soll Falkner vor einer »Re-Ideologisierung« und Tendenzen zum »Neokommunismus« gewarnt haben. Und der Spiegel weiter über das Verhalten eines Angestellten gegenüber der gewählten Vorsitzenden: »Vergangenen Dienstag stellte er sich vor die Mitarbeiter der Parteizentrale und forderte die Ablösung Zimmers: Einer schwieg begeistert – Bartsch.«

Es ist also nichts Neues, wenn Bartsch innerparteiliche Gegner medienöffentlich verbellt. Wenige Monate vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2010 erklärte er den dortigen Landesverband der Linkspartei in Bild für »nicht regierungsfähig«. Danach wurde er im Spiegel zitiert, Lafontaine sei eigentlich ein fauler Parteivorsitzender, weil sein Büro immer leer stehe. Zudem habe Lafontaine die Öffentlichkeit belogen, denn sein Entschluß, den Fraktionsvorsitz aufzugeben, sei nicht erst vor kurzem gefallen, sondern vor einem Jahr.

Nun allerdings trat ein, was Bartsch bei solchen Anschwärzereien in den 19 Jahren zuvor nie erlebt hatte: Die neue Partei ließ sich solcherlei Verrat nicht bieten, Bartsch mußte den lukrativen Posten aufgeben. Aber seine staatstragende Seilschaft hielt zu ihm. So leicht sollte die Karrierejob-Maschine in der Kleinen Alexanderstraße nicht in fremde Hände fallen. Über schwarze Kanäle trommelten sie in ihre Basis, nicht Lafontaine sei von Bartsch verraten worden, sondern Bartsch von Uli Maurer und Klaus Ernst. Der Westen wolle den Osten aufs neue überrollen. Und deswegen müsse im Liebknechthaus ein Ossi an die Spitze. Nach heftigen Auseinandersetzungen brachte die stellvertretende Vorsitzende Halina Wawzyniak den Kompromiss einer doppelten Geschäftsführerschaft von Werner Dreibus und Caren Ley (Mann/Frau, West/Ost) ein. Alle anwesenden Landesvorsitzenden in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar ließen sich mehr oder weniger grollend darauf einschwören. Aber bereits im Morgengrauen begann das Denunzieren antikapitalistischer Wessis durch Bartsch-Anhänger aufs Neue.

Früher, zum Beispiel während der PDS-Programmdebatte, hatten derlei Hinweise den gewünschten Erfolg: das Aufweichen linker, koalitionsabträglicher Positionen. Damals hatte sich die Kampagne – in Waffenbrüderschaft mit Bild und Spiegel – vor allem gegen die innerparteiliche Linke um Sahra Wagenknecht gerichtet; Bartsch und Falkner hatten nichts unversucht gelassen, antikapitalistische Identitäten in Ost und West abzuschleifen. Der Partei sollte der Gedanke an jeden »Eingriff ins kapitalistische Eigentum« ausgetrieben werden – obwohl auch die Programme der IG Metall und des DGB- und das Berliner SPD-Programm. diese kardinale Forderung enthalten. Bartsch 2001 zum Spiegel: »… die Enteignung der Deutschen Bank. Und? …Das Einzige ist, daß der Staat, der per Dekret enteignet hat, sagt: Wir nehmen den Aktionären das weg, das fließt in unsere Tasche. Mehr ist nicht. Es ist null mehr Sozialismus.« Null mehr, als wenn eine gesellschaftliche Schaltstelle in privatkapitalistischem Eigentum verbliebe …

Die Zeit sah damals kritischer auf Bartsch als sein Hausblatt Spiegel. Unter der Überschrift »Der Staat frißt seine Revolutionäre« berichtete sie am 21.6.2001 über einen Segelschiff-Ausflug: »Mit Sekt und Bier und Fischhäppchen kreuzte die Garde der Partei auf der Kieler Förde.« Doch alle paar Minuten holt ein Handyklingeln sie in die Realität zurück. Am Vortag ist Parteivize Diether Dehm so blöd gewesen, sich an die Beschlußlage der PDS zu halten und in einem Interview über die »Vergesellschaftung« der Industrie zu reden. Nun muß die Dementi-Maschinerie mit Wortfetzen gefüttert werden: »ausgesprochen unglücklich«, »ein Mißgriff«. Was man auf dem Schiff über Dehm wirklich denkt, ist für die Zeit nicht zitabel.

Nach der Niederlage der PDS 2002 konnte sich Müntefering einbilden, sein Satz vom 4./5. März 2002 in der taz habe sich bestätigt: »Die Bundesrepublik braucht keine Partei wie die PDS.« Mit Oskar Lafontaine zeigte die Linke, daß der SPD-Vorsitzende sich zu früh gefreut hatte.

Aber es wäre leichtsinnig anzunehmen, die Staatstragenden in der Linkspartei hätten aus ihren Niederlagen gelernt. Als Beispiel sei an einen Vorgang erinnert, der sich im Dezember 2005 abspielte. Im Bundestag war über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Sudan abzustimmen. Der Abgeordnete Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion, empfahl, den Einsatz abzulehnen – im Hintergrund ständen Erdöl-Interessen. Aber nur 36 der 54 Fraktionsmitglieder folgten der Empfehlung. Dietmar Bartsch, in diesem Zusammenhang auf den Beschluß des Münsteraner Parteitags angesprochen, der Militäreinsätze strikt abgelehnt hatte, bemerkte laut Neues Deutschland vom 20. Dezember 2005, der Beschluß enthalte »drei Kilo Ideologie«. Entgegengesetzte Ideologie lieferte der Spiegel vom 19.12.05 in einer weitreichenden Deutung des Abstimmungsverhaltens: Es handle sich um eine »Lockerungsübung der Genossen in Sachen Parteidisziplin… Probelauf… Schritt für Schritt wollen Spitzengenossen die eigene Partei vom radikalen Oppositionskurs zum klaren Pragmatismus treiben: fest im Blick auf das Wahljahr 2009, fest im Visier eine Regierungsbeteiligung im Bund – und alles bei ständiger Beobachtung der möglichen Partner SPD und Grüne«.

Kurz nach Lafontaines Krebsoperation traf sich der SPD-Vorsitzende Gabriel mit Bartsch auf dem medialen Silbertablett des Cafe Einstein Unter den Linden. Nachher nannte er den Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, den er später sogar zum Übertritt einlud, »weltoffen und verantwortungsbewußt«. Und fürsorglich belehrte Gabriel Bartsch »über den Zustand, in dem Lafontaine am Ende die Partei Die Linke hinterlassen wird«. Von Bartsch war keine Widerrede zu vernehmen, kein Hinweis auf das, was nicht zuletzt durch Lafontaine in den vergangene Jahren aus der Linkspartei geworden ist.

Unter der Überschrift »Man muß die Linke an dem erkennen, was sie in keinem Fall machen wird« sagte Lafontaine in einem Interview des Neuen Deutschland vom 13. Februar 2010:» ... eine Partei, die erfolgreich sein will, (muß) sich an Regeln halten. Regel Nr. 1: Der Bundesgeschäftsführer muß Landesverbände, die schwierige Wahlen vor sich haben, unterstützen. Dietmar Bartsch teilte jedoch der Bild mit, er sei gegen eine Regierungsbeteiligung der LINKEN in Nordrhein-Westfalen, weil den Genossen dort der Pragmatismus fehle. Und im Spiegel erklärte er, einige Ideen der NRW-Linken seien außerhalb der Welt. Das ist mit den Aufgaben des Bundesgeschäftsführers unvereinbar. Regel Nr. 2: Der Bundesgeschäftsführer darf nicht Stichwortgeber für den gegen die LINKEN gerichteten Kampagnenjournalismus sein. Er soll vor allem keine Interna aus der engsten Führung ausplaudern. Hierzu hat Dietmar Bartsch in der letzten Parteivorstandssitzung Fehler eingeräumt. Und Regel Nr. 3: Der Bundesgeschäftsführer darf einem Parteivorsitzenden nicht in den Rücken fallen. Im November warf mir der Spiegel Wählertäuschung vor, weil ich den Vorsitz der Bundestagsfraktion abgegeben hatte. Um weiteren Vorwürfen und Verdächtigungen vorzubeugen, war ich gezwungen, meine Krebserkrankung öffentlich zu machen. Am selben Tag schloß Dietmar Bartsch in der Ostseezeitung einen Zusammenhang zwischen meinem Verzicht auf den Fraktionsvorsitz und meiner Krebserkrankung aus. Wie die Medien mittlerweile korrekt berichteten, habe ich dieses Verhalten in der letzten Parteivorstandssitzung als niederträchtig bezeichnet.«