Diesmal von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zur Schaubühne am Lehniner Platz. Wichtige Stücke gab es, von prominenten Autoren: Aischylos, Hans Henny Jahnn und Edward Bond. Gab es wichtige Aufführungen prominenter Regisseure?
Die Volksbühne zeigte Jahnns »Pastor Ephraim Magnus« aus den Jahren 1917/19, uraufgeführt 1923, damals immerhin von Brecht zusammen mit Arnolt Bronnen inszeniert. Das wäre fast ein Ausweis, jedenfalls für seine Zeit.
In diesem Stück protestiert Jahnn gegen fast alles, was damals herrschte, zumindest im Bereich der Ideologie: christlich-bürgerliche Vorstellungen von Besitz, Anstand, Normen, besonders von sexualethischen. Zwar blieb sein Protest so allgemein wie möglich, aber die verlogenen konservativen Moralisten reagierten mit wütendem Aufschrei, auch auf seine atheistischen Gegen-Entwürfe von Leben und Liebe und Erfüllung, vorgetragen von den Brüdern Ephraim und Jakob Magnus. Etliches klingt heute verstiegen, aber es ist gute Literatur.
Im Theater jedoch wirkt alles anders: genialisch-verworren, unklar bis pathetisch-verstaubt. Man darf Dramaturgie und Regie ernsthaft fragen, was das Stück heute soll, warum sie es aus dem literarischen Fundus herausgesucht haben, was sie mit dieser Inszenierung wollen.
Gespielt wird unter der Drehbühne, wo man aus dem Kreis ein Quadrat gemacht hat, auf dem die neun Darsteller hin und her gehen oder laufen, die Regisseurin Silvia Rieger (Jakob) und Mex Schlüpfer (Ephraim) zwischen ihnen. Kaum eine Figur hat prägnante Konturen, privaten oder gar sozialen Gestus. Alle sind schwarz angezogen, die ganze Inszenierung ist dunkel und langweilig. Kaum zu ertragen. Ich bin sehr für sorgsame Befragung des künstlerischen Erbes. Hier hätte man besser die Hände davon lassen sollen. Wenn schon Jahnn, dann anders, anderes. Es gibt bessere, aktuellere Stücke. Wie wäre es mit »Thomas Chatterton« oder »Der staubige Regenbogen« von 1959/61, mit dem sich Jahnn in die Anti-Atomwaffen-Bewegung einreihte!?
Danach zweimal Schaubühne, wohin man allgemein geht, wenn woanders nichts mehr zu hoffen ist – das war zumindest die Hoffnung der 1970/80er Jahre, doch auch dort zerschellt so manche.
»Prometheus, gefesselt«, dieses einzig erhaltene Drama der »Prometheia« des Aischylos, regte schon Goethe, Shelley und Heiner Müller an, die Tri- oder gar Tetralogie wiederherzustellen – vergeblich. Alle kamen über Anfangsmonologe (Oden) oder Nachdichtungen des ersten Teils nicht hinaus. Ja, wer wollte, wer konnte wohl die Entfesselung beziehungsweise Befreiung des widersprüchlichen Titanen im Theater nachvollziehen – zu Zeiten, da wirkliche Befreiung des Menschen kaum denkbar, geschweige denn machbar war. Auch Müller verfertigte eine Art nachvollziehende Adaption. Die hatte ich in der Schaubühne erwartet. Stattdessen bot man eine Neu-Übersetzung (die wievielte wohl?) von Kurt Steinmann. Sie öffnete keinen neuen Zugang zu dem gewaltigen Fragment.
Jossi Wieler ließ seinen Helden, an den Händen schwerklirrende Ketten, auf einer abgebrochenen Säule stehen und raisonnieren und den Aufstand gegen die Götter probieren – in Gedanken, weil die Realität es nicht erlaubt. Ernst Stötzner machte das gut. Doch er hatte keine Partner: Thomas Bading als Okeanos und Niels Bormann in den drei Rollen des Hephaistos, Io und Hermes waren das nicht, und die gackernden Mädchen als Okeaniden kann man vergessen.
Ist es so schwer, geradezu unmöglich geworden, Antike auf die Bühne zu bringen? Just die Schaubühne unter Peter Stein hatte vor 30 Jahren eine geradezu modellhafte »Oresteia« gegeben, das Urbild einer optimistischen Tragödie: erschütternd, unterhaltend, unvergessen! Auch das etwas spätere »Antikenprojekt« von Stein und Klaus Michael Grüber war voller Kraft. Welch ein Abstieg! Wann, wo und warum sind solch exorbitante Verluste an Geist, Haltung und Mitteln eingetreten?
Zum Glück kam ein Stück des 20. Jahrhunderts, »Gerettet« von Edward Bond aus dem Jahre 1965, besser daher. Die Jugendproblematik unserer halbproletarisierten späten Bürgerlichkeit – Grausamkeit gegen ein Kleinkind mit allen Folgen von Gewissenlosigkeit und Gewissenhaftigkeit – ist ein stehendes, gar wachsendes Problem; das stand den meist jugendlichen Darstellern viel näher, das konnten sie ungleich besser spielen. Die Sprache der Übersetzung von Klaus Reichert war ihre eigene Sprache. Das Schaubühnen-Ensemble um Steffie Kühnert und Thomas Bading (Regie: Benedict Andrews) erreichte Realität und überzeugte.