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Das Denk-, Mach- und Schaumal  (Ralph Hartmann)

Deutschland atmet auf. Nach sieben Jahren hat die intensive, zuweilen auch verzweifelte Suche nach der Gestaltung des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf dem Berliner zeitweiligen Marx-Engels- und heute endlich wieder Schloßplatz allem Anschein nach ein glückliches Ende gefunden. Auf dem Sockel, den von 1897 bis 1949 ein Pferd und Kaiser Wilhelm I. schmückten, soll für zehn Millionen Euro eine 50 Meter lange und 350 Tonnen schwere Mega-Schale mit dem Titel »Bürger in Bewegung« errichtet werden und an die Große Friedliche Freiheitsrevolution und Deutsche Wiedervereinigung erinnern. Im Innern der Schale prangt in güldenen Lettern die Inschrift »Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk«.

Doch bisher hält sich die Begeisterung des selbigen in Grenzen. Auch ich muß gestehen, daß ich die vom Kulturstaatsminister Neumann (CDU) verkündete Entscheidung mit gemischten Gefühlen aufgenommen habe. Bedeutet sie doch, daß mein 2008 auf dem Höhepunkt des Streites um die Form des Denkmals gemachter Vorschlag, ein Flächenmonument zu errichten (Ossietzky, Heft 24/08), endgültig vom Tisch ist. Schade, es wäre doch einprägsam, historisch authentisch und überdies außerordentlich kostensparend gewesen, den Platz im Herzen der Bundeshauptstadt für alle Zeiten so zu belassen, wie er sich 18 Jahre nach der schwer erkämpften deutschen Einheit darbot: eine riesige Abbruchgrube, wo einst der Palast der Republik stand und nur noch die ins Nichts führenden Türme der Treppenhäuser emporragten, umgeben von einer grausigen Brache, auf der statt des längst abgerissenen Gebäudes des DDR-Außenministeriums nur noch eine blau-weiße, 1.000 Quadratmeter große Kiste, die sogenannte Temporäre Kunsthalle, stand. Alles in allem ein beeindruckendes Memorial für die Beseitigung des DDR-Unrechtsstaates.

Nun, meine Anregung wurde mißachtet, das vorgeschlagene Flächenmonument mißfiel den Denkmal-Enthusiasten. Sie haben sich anders entschieden: für eine flache Großschüssel, entworfen von einem Stuttgarter Architekturbüro und einer Berliner Choreografin. Trotzdem kann ich bei aller Bescheidenheit vermelden, daß ich an diesem Entwurf, wenn auch nur indirekt, mitgearbeitet habe. Die Berliner Zeitung hat es mir zu meiner eigenen Überraschung offenbart. Das Blatt hat eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, wie das Freiheits- und Einheitsdenkmal in seiner jetzt vorgesehenen Gestalt genannt werden könnte, und dabei auch den trefflichen Namen »Obstschale der Nation« angeführt. Das deckt sich mit meinen früheren Überlegungen aus dem Jahre 2004, als eine Ideenfindungskommission darüber nachsann, wie das Gedächtnismal auch darüber Auskunft geben könnte, was durch das Ende der DDR und die deutsche Einheit gewonnen wurde. Da damals an eine figürliche Darstellung gedacht wurde, regte ich an, vor allem Früchte, sogenannte Einheitsfrüchte, in die engere Wahl zu ziehen (Ossietzky 16/04).

Als Beispiele nannte ich: einen Apfel und ein Ei zur ständigen dankbaren Erinnerung an den Preis, zu dem das westdeutsche Kapital bereitwillig das volkseigene DDR-Vermögen übernommen hatte; eine Banane als Symbol des den Ostdeutschen in den »ersten freien Wahlen« seitens der etablierten Parteien der Altbundesrepublik versprochenen »Wohlstandes für alle«; eine Ananas zum immerwährenden Gedenken an Wolfgang Schäubles ostdeutschen Handlanger bei der Vorbereitung des Einigungsvertrages, des zu Unrecht nahezu vergessenen Günter Krause, genannt Ananas-Krause, der es nach eigener Aussage nicht erwarten konnte, mit seiner Familie täglich Butterbrot mit dieser köstlichen Frucht essen zu können; eine Birne als Denkmalsform mit zweifacher Symbolik, vermag sie doch sowohl an den Kanzler der Einheit als auch an die Abrißbirne zu erinnern, mit der die ostdeutsche Industrie plattgemacht wurde. Zudem würde sie dezent darauf hinweisen, wie der Ort des Denkmals vom staatssozialistischen Palastbauwerk freigeschlagen wurde.

Damals konnte ich nicht ahnen, daß diese Anregungen bei weitem übertroffen werden sollten und statt einzelner Früchte gleich eine ganze »Obstschale« monumentale Gestalt annehmen sollte. Doch wohin mit den Früchten? Ist doch das Monument kein gewöhnliches Denk-, sondern, wie das Stuttgarter Architekturbüro kundtat, ein Machmal, das einerseits bestaunt und andererseits betreten werden soll, um sich bei gehöriger Überzahl der Besucher auf der einen Seite in Bewegung zu setzen und so zu einer Riesenschaukel zu werden.

Das aber, Gott sei’s geklagt, birgt für die Denkmalbenutzer die Gefahr eines Absturzes, vor der eine transparente Balustrade schützen soll. Und eben dieses gläserne Geländer bietet überreichen Platz, die genannten und andere Einheitsfrüchte dekorativ einzugravieren und zur Schau zu stellen. So könnte das Denk- und Mach- auch zum Schaumal werden, auf dem bewegte Bürger noch Jahrzehnte nach der Großen Friedlichen Freiheitsrevolution darüber nachdenken könnten, wie sie einst verschaukelt wurden und jetzt für dumm verkauft werden sollen. Ein besseres Monument zu diesem hehren Zweck ist schwerlich vorstellbar.

Also, auf geht’s, frisch, Gesellen, seid zur Hand, auf daß das wippende Kunstwerk Revolution und Einheit preise!