Der dicke Daumen des Generals weist (zufällig) auf das Käthe-Kollwitz-Plakat »Nie wieder Krieg«. Er hält ein Nachschlagewerk in Händen, blättert. Als ehemaliger Soldat könne er nur sagen: »Ich schäme mich für unser Land.« Warum? Daß man sich »das erste Mal gegen den wichtigsten Partner (die USA) stellt« –indem Deutschland nicht Krieg in Libyen führt. Das sei »eine Schädigung unserer Interessen, wie ich sie noch nie erlebt habe«. So sprach der Erfinder der kriegerischen »Verteidigungspolitischen Richtlinien«, Ex-Generalinspekteur Klaus Naumann, in den Tagesthemen am 21. März vor seiner Schrankwand mit Porzellan.
Das Kollwitz-Plakat eröffnet eine Ausstellung von politischen Künstler-Plakaten unter dem Titel: »Phantasie an die Macht« im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Die Einladungskarte schmückt sich mit einem Satz von Majakowski: »Kunst ist ein Hammer, mit dem man die Welt trifft – und nicht ein Spiegel, der sie reflektiert.« Viele russische Künstler setzten sich mit Enthusiasmus für die Ziele der Revolution ein, und es entstanden nicht nur Plakate. Auf dem Ausstellungskatalog drohen eine riesige gelbe Faust und das zornige Gesicht eines katalanischen Bauern. Er ist Teil des Plakates von Joan Miró: »Helft Spanien« von 1937, das für einen Franc verkauft wurde, um die republikanische Regierung gegen Francos Faschisten zu unterstützen. Der »Katalanische Bauer in Aufruhr« hing neben Picassos Guernica-Gemälde im Spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937. Dessen ungeachtet datiert die Ausstellung (Kurator Jürgen Döring) die Anfänge des politischen Plakates auf Picassos Friedenstaube von 1949. Nun nicht mehr Sinnbild des Heiligen Geistes, sondern Symbol des Friedens. Die russischen Revolutionsplakate schon vorher sollen nur Ausnahmen sein. Aber in Hamburg sind neben Käthe Kollwitz auch Plakate von Max Pechstein ausgestellt: »An die Laterne« von 1919, als Werbung für »eine anarchistische Zeitschrift« entstanden. Welche, erfahren wir nicht. Die Zeitschrift hieß genau so wie das Plakat; sie wurde herausgegeben vom »Werbedienst der Deutschen Republik« und sollte nach der Absicht ihrer sozialdemokratischen Hintermänner den Kommunisten das Wasser abgraben. Aber das steht nun mal nicht in Wikipedia.
Die Gliederung der Ausstellung in verschiedene Themenbereiche ist nicht immer schlüssig. Was heißt nicht alles »Protest«? Hier nur die McCarthy-Zeit in den USA und die Vietnam-Demonstrationen, auch der Mai 68 in Paris und die deutschen Studenten-Demos. Aus dieser Zeit stammt der Titel der Ausstellung, eine Parole von Pierre Alechinsky. Nicht selten sind die Plakate von Künstlern kompliziert und mißverständlich. Die Wandtexte (alle aus der Internet-Enzyklopädie Wikipedia) helfen da nur wenig; das Museum muß eben zugunsten der Elbphilharmonie sparen. Manches ist allbekannt. John Lennons und Yoko Onos Protest gegen den Krieg – im Bett. Niki de Saint-Phalles »Nanas an die Macht«. Ein gelungenes Beispiel ist Alexander Calders 1967 in Paris entstandenes Plakat »für Vietnam«. Seine zarte Zeichnung: ein Kriegsopfer, vielleicht ein Kind, an Krücken, mit einer Krone auf dem Kopf in der Haltung des Gekreuzigten. Cristos Gianakos’ »Schickt unsere Jungs nach Haus« von 1966 zeigt nur die US-Flagge, aber mit Trauerflor. Statt der Sterne ein schwarzes Quadrat.
Viele Plakate von Miro, auch von Antoni Tapies, gegen die Unterdrückung ihrer katalanischen Heimat, zur Wiedererlangung des Autonomiestatus nach Francos Tod. HAP Grieshaber hat fast zu allen Themen Holzschnitte geschaffen. Für Chile, ein Aufruf zur Solidarität mit Salvador Allende: eine von Gewehrkugeln durchlöcherte Figur. Ein Holzschnitt von 1950, in der Nacht, als der Korea-Krieg begann: »Friede allen Müttern! Keine Bomben auf ihre Kinder.« Unterschrift: »Komitee der Kämpfer für den Frieden«, Ortsausschuß Reutlingen. Grieshaber allein war das Komitee.
Keith Haring schuf viele Plakate, die er oft auf eigene Kosten druckte und auf Demonstrationen verteilen ließ. Gegen atomare Aufrüstung oder »Befreit Südafrika« aus dem Jahr 1985: ein schwarzer, energisch ausschreitender Mensch, um den Hals einen Strick, abgerissen; am Boden eine kleine weiße Figur, auf die er, sich befreiend, tritt.
Umweltplakate von Joseph Beuys, die für die neue grüne Partei werben sollten, aber nie verwendet wurden. Die brave Sonnenblume war attraktiver. Auch von Friedensreich Hundertwasser farbige, sehr dekorative Plakate gegen Umweltzerstörung. In den USA waren es Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg, die sich für die Rettung des Planeten einsetzten.
Der Bildhauer Richard Serra entwarf Plakate gegen die Wiederwahl von George W. Bush unter Verwendung des Goya-Gemäldes »Saturn frißt seine Kinder« (2004), das im Internet zum Herunterladen angeboten wurde. Ebenso sein »Stoppt Bush«, jenes Foto der Folterszenen von Abu Ghraib, das einen schwarz verhüllten Gefangenen zeigt. Der vollständige Name Bush war nur in der Internet-Version zu lesen. Gedruckt wurde ein Exemplar, das den Namen verstümmelt wiedergab.
Das Plakat von Martha Rosler aus New York heißt »Election (Lynndie)«. Die Soldatin Lynndie England, wegen Folterungen im Irak verurteilt. Die Künstlerin stellte sie in Tarnkleidung in eine supermoderne amerikanische Küche, in der Hand den Strick, der erniedrigte Gefangene bleibt unsichtbar hinter dem Kochinventar. Durch die Fenster scheinen die Kampfszenen herein. Das Plakat gehört zur Serie: »Bringing the War Home« – den Krieg ins traute Heim bringen.
Den ganz normalen Wahnsinn in den USA zeigt ein Blatt (1990) von Felix Gonzales-Torres ohne Titel. Unterzeile: »Tod durch Schußwaffen«. Das Blatt ist Teil eines Stapels, der in Ausstellungen auf dem Boden liegt. Jeder darf eine Seite mitnehmen. Zu sehen sind nach einem Bericht aus dem Time Magazin: Fotos und Kurzberichte von allen in einer Woche in den USA Erschossenen, eine Woche im Mai 1989 wurde herausgegriffen. Fast 500 wurden damals ums Leben gebracht – nicht im Krieg.
Die Ausstellung ist bis zum 13. Juni geöffnet. Der Katalog kostet 25 Euro.