Im Programm der deutschen Piratenpartei kommt das Adjektiv »freiheitlich« häufig vor. Der Verfassungsrechtler Helmut Ridder hat einst über die Endsilbe (sie steht auch im Grundgesetz) gespottet: »freiheitlich« verhalte sich zu »frei« wie »schönheitlich« zu »schön«.
Ein Zentralbegriff des Piratenprogramms ist tatsächlich die Freiheit. Subjekt ist das Individuum, allerdings das vernetzte, das sich als Schwarm oder Crowd vorstellt und wohl nicht so recht in eine Gewerkschaft paßt. Die Multitude von Michael Hardt und Antonio Negri ist da nicht weit.
Nach Auffassung der Piraten wird die Freiheit durch zwei Feinde bedroht: erstens den Überwachungsstaat, zweitens die Alteigentümer der Content-Industrie (Musikkonzerne und Verlage).
Gegen die Übergriffe der Organe Innerer Sicherheit richtet sich die klassische bürgerrechtliche Abwehr. Im Verhältnis zur Privatwirtschaft ist die Wachsamkeit nicht immer gleich groß: Wer es sich verbittet, daß ihm (oder ihr) Polizei oder Verfassungsschutz über die Schulter auf den Monitor schauen, vertraut sich oft ungehemmt Facebook an. Das ist sogar wieder eine Art von Freiheit: Nutzung des Rechts auf ungehemmte Meinungsäußerung und Mitteilung. Was da gesammelt wird, kann ebenfalls mißbraucht werden, und Mark Zuckerberg gegenüber ist der gesetzliche Anspruch auf Transparenz schwer durchzusetzen. Sie ist das zweite zentrale Thema der Piraten. Das Parteiprogramm fordert die Offenlegung sämtlicher Verträge zwischen Öffentlichen Händen und der Privatwirtschaft, die an dieser Stelle denn doch Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit wird. Für einen Sektor kapitalistischer Ökonomie gilt dies ohnehin: die Inhaber von Patenten und Nutzungsrechten. Hier verwendet die Piratenpartei kritisch den Begriff des Monopols. Sie konstatiert einen Widerspruch zwischen individuellen ProduzentInnen von Kunst und Wissen und den Verwertungsgesellschaften sowie -firmen. Ihre Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte Schwierigkeiten entschärfen, in welche die Piraten sonst geraten müßten. Ihnen werden sie sich vielleicht entwinden als InteressenvertreterInnen der vielen kleinen und prekären – wenngleich wohl nicht der wenigen großen und reichen – Kreativen.
Ihre Schubkraft – besonders bei jungen Leuten – verdankt die Partei wohl nicht nur dem Freiheits- und Transparenz-, sondern auch dem Konsum-Motiv. Wer sonst nicht viel hat, freut sich über das kostenlose Herunterladen von Musik und Videos, das die Piraten straffrei stellen wollen.
Hier stellt sich (wenngleich eingeschränkt) die Eigentumsfrage. Das Internet ist eine Allmende (commons), die im Interesse der vielen Einzelnen der Vermachtung durch Wenige entzogen bleiben soll. Werden nur Individuen einen Vorteil davon haben? Interesse am Fortbestand dieser Allmende besteht wohl auch bei Firmen, die nicht Anbieter von Produkten aus dem Netz sind, sondern Abnehmer zwecks eigener profitabler Weiterverwendung. Das ist so wie mit der Flatrate für Kommunikation: gut für Krupp wie Krause.
Zwar ist die Programmatik der neuen Partei offen für die kapital-kompatible Variante des Liberalismus. Aber sie ist doch mehr als das, nämlich auch libertär, wie ihre Forderungen nach einer neuen Drogenpolitik, nach Anerkennung geschlechtsneutraler Vornamen zeigen. Hinzu kommt menschenrechtlich Vernünftiges: für uneingeschränktes Asylrecht, »wirtschaftliche Migration« und: »Gemeinsam gegen Rassismus«.
So findet sich hier tatsächlich viel von jenem radikalen, noch nicht manchesterlich, nationalistisch und imperialistisch verdorbenen Impuls des ganz frühen Liberalismus, sagen wir: des 18. Jahrhunderts. Die bürgerliche Gesellschaft hat ihn immer wieder hervorgebracht. Bisher wurde er stets neu durch ihren wichtigsten Akteur gekapert: das kapitalistische Interesse, das im Konfliktfall das Freiheitsmotiv entweder instrumentalisiert oder unterdrückt.
Und jetzt? Die Piratenpartei hat sich von Anfang an nicht als Außenseiterin gesehen, sondern als Teil einer Gesellschaft, die bald nach ihr greifen wird. Wird sie geentert werden – und falls ja: von wem? Wo ist der nächste Joseph Fischer?