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Titel0912

Presse- und andere Freiheiten  (Eckart Spoo)

»Wie sind wohl die Menschen zu dem Begriff von Freiheit gelangt? Es ist ein großer Gedanke gewesen«, notierte einst Georg Christoph Lichtenberg. Gewesen, bevor er zu schrumpfen begann?

Die britische Aufklärerin Mary Wollstonecraft, Zeitgenossin Lichtenbergs, erklärte (in der Übersetzung von Jutta Schlösser): »Freiheit ist eine schöne Idee, die bei den verschiedenen auf unserer herrlichen Erde etablierten Regierungen noch nie Gestalt angenommen hat; der Dämon Eigentum ist stets zur Hand gewesen, um in die heiligen Menschenrechte einzugreifen und rundum mit üblem Pomp Gesetze zu erlassen, die mit der Gerechtigkeit auf Kriegsfuß stehen.«

Die Freiheit der Meinungsäußerung, die Freiheit der Presse, die Freiheit der Wissenschaft, die Freiheit der Kunst, die Koalitionsfreiheit, die Demonstrations- und andere Freiheiten sind als Rechte aller Menschen in der Charta der Vereinten Nationen, in der Europäischen Menschenrechtscharta und im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Aber das Bundesverfassungsgericht erklärte es schon in einer Entscheidung vom 8. Februar 1970 für rechtens, einen Soldaten dafür zu bestrafen, daß er geäußert hatte, man könne »in der Bundesrepublik seine Meinung nicht frei äußern«. Besonders unerwünscht sind Äußerungen über die heiklen Beziehungen zwischen Freiheit und Eigentum. Beliebt macht man sich bei Regierungen in der Regel mit Hinweisen auf Freiheitsdefizite im Ausland, denkbar unbeliebt mit Hinweisen auf solche Defizite im Inland.

Immer tiefere Eingriffe haben nach und nach das Grundgesetz verunstaltet. Einmal, vor etlichen Jahren, schien es zwar, als wäre es möglich, unseren Freiheitsraum zu vergrößern, nämlich angesichts bedrohlicher technischer Entwicklungen den Grundrechtekatalog um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erweitern; aber seitdem werden wir noch viel intensiver als zuvor beobachtet, und immer mehr persönliche Daten werden an unendlich vielen Stellen gespeichert. Wir wünschten uns einen gläsernen Staat (»Glasnost« auch in Deutschland), aber wir wurden zu gläsernen Bürgern, und es wuchs die Macht der unkontrollierbaren Geheimdienste, der Leibwächter des Dämons Eigentum. Deren Verfolgungseifer gilt hauptsächlich den Menschen und Vereinigungen, die Demokratie auch und gerade in der Wirtschaft fordern und damit am Eigentum rütteln (man kann das alljährlich in den sogenannten Verfassungsschutzberichten der Innenminister lesen).

Die Pressefreiheit – ich nehme sie als Beispiel – ist vom Jedermannsgrundrecht zum Privileg einiger weniger Pressekonzerne verkommen, deren Eigentümer ihre Aufgaben darin sehen, den Kapitalismus und die von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu rühmen und vor Kritik zu schützen – auch durch Verschweigen von Tatsachen, Verleugnen von Wahrheiten – und aus diesem Mißbrauch der Pressefreiheit möglichst viel Profit zu ziehen. Sie übernehmen nach und nach Hörfunk und Fernsehen in ihr Eigentum und errichten Machtpositionen im Internet. Das Publikum ahnt nicht, kann nicht ahnen, wie viele, wie wichtige Informationen ihm vorenthalten werden – und so glauben die Leser, auch die der gewöhnlichen regionalen Monopolblätter, sie seien gut informiert; ihre Nachbarn und Kollegen, die das gleiche Blatt lesen, wissen ja auch nichts anderes.

Bisher kaum durchschaut ist die Tendenz der Konzernmedien, für Angriffskriege Stimmung zu machen. Jeder Angriffskrieg dient angeblich dem Schutz der Menschenrechte, der Freiheit.

Wenn der Kapitalismus ins Stadium des Imperialismus eingetreten ist, kann ihm das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit selbstverständlich nicht mehr heilig sein. Das große Kapital, nach immer größerer Ausdehnung (Wachstum) strebend, verlangt mehr Platz an der Sonne, freien Verkehr, vor allem freien Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten. Alle Staaten sollen sich ihm öffnen. Denjenigen Staaten aber, die Bodenschätze nationalisiert haben und womöglich sozialistische Neigungen entwickeln oder sich sonst wie störend verhalten, begegnen unsere Regierungen mit Handelssperren. Diesen Staaten soll von dem, was sie anbieten, möglichst wenig abgekauft werden; am Ende sollen sie nicht einmal mehr Lebensmittel importieren dürfen, sogar Medikamente werden ihnen verweigert. Mit solchen Embargos begannen die Kriege gegen Jugoslawien, Irak, Libyen; auch Kuba, Iran, Weißrußland und andere sollen auf diese Weise in die Knie gezwungen werden. Freihandel? Nur soweit er den Eigeninteressen des Imperialismus dient.

»Macht das Tor auf«, rief die Bild-Zeitung jahrzehntelang in Richtung Osten, bis das Verblödungsblatt aus dem Springer-Konzern endlich Einlaß fand und die Berliner Mauer, Symbol der Unfreiheit, rasch abgerissen war. An Israel richtet Springer keine Aufrufe zum Abriß der dreimal so hohen Mauer, mit der die Palästinensergebiete abgeriegelt sind. Die von den USA errichtete Mauer an der Grenze zu Mexiko, an der schon viele Hunderte Menschen gestorben sind, ist erst recht kein Thema für die Konzernpresse. Die USA gelten weiterhin – trotz Guantanamo und trotz der Millionen Häftlinge in den grausigen Haftanstalten des Landes – als »Leuchtturm der Freiheit« (Ronald Reagan). Und Deutschland hat sich mit dem Schengen-Vertrag gegen unerwünschten Zuzug aus armen, ausgebeuteten Ländern abgesperrt. Für begnadete Fußballspieler wird das Tor mal schnell geöffnet. Aber schon viele Tausend Menschen haben in den letzten Jahren ihren Versuch einzureisen mit dem Leben bezahlt.

Wie die meisten im Grundgesetz garantierten Grundrechte ist auch das Asylrecht ausgehöhlt worden. Für viele vom Nazi-Regime Verfolgte war es überlebenswichtig, in einem anderen Land Zuflucht zu finden. Aber das vereinigte Deutschland befreite sich von antifaschistischen Verpflichtungen. Die Freiheit, die ich meine, ist offenbar nicht die, die sie meinen.

Gewiß, wir dürfen frei wählen. Die vermachteten Medien sorgen dafür, daß wir mehrheitlich wunschgemäß wählen. Über unerwünschte Kandidaten und Parteien schweigen sie, oder sie machen sie lächerlich – wozu haben sie denn die Pressefreiheit. Führt aber einmal eine Wahl zu einem unerwünschten Ergebnis, finden sich genug einzelne Abgeordnete, die sich aus Gewissensgründen kaufen lassen, um im Parlament die richtigen Mehrheitsverhältnisse herzustellen.

Vor vielen Jahren war ich an Verhandlungen mit dem Verlegerverband über die »innere Pressefreiheit« beteiligt; Ziel war, die Kompetenzen zwischen Redaktion und Verlag zu regeln. Die Verleger bestanden darauf, in Fällen, in denen ihre Eigentümerinteressen berührt seien, der Redaktion vorschreiben zu dürfen, wie sie zu berichten hat. Als Beispiel nannten sie die Wahl eines Landrats im Verbreitungsgebiet des Blattes. Die Verhandlungen scheiterten. Innere Pressefreiheit ist eine schöne Idee geblieben.

Das Grundgesetz gebietet, daß alle Macht vom Volk ausgeht – nicht nur in Wahlen, die dazu nicht ausreichen, sondern auch in Abstimmungen. Ein Wahlgesetz, das die Einzelheiten regelt, war schnell geschaffen, ein Abstimmungsgesetz gibt es auf Bundesebene bis heute nicht. Die Gewählten haben kein Interesse daran. Das Grundgesetz gebot, daß die Deutschen nach ihrer Vereinigung über die gemeinsame Verfassung entscheiden sollen. Die Volksabstimmung fand nicht statt. Die Gewählten hatten andere Interessen.

Aufrüstung war im Grundgesetz anfangs nicht vorgesehen. Aber schon nach wenigen Jahren wurde es zwecks Aufstellung der Bundeswehr geändert, und zwecks Militarisierung der ganzen Gesellschaft folgte die Notstandsverfassung. Beides geschah angeblich zum Schutz vor tödlicher Gefahr aus dem Osten. Jetzt behauptet zwar niemand mehr, daß Deutschland militärisch bedroht sei, aber die Gewählten haben die massiven Eingriffe in die Grundrechte bis heute nicht rückgängig gemacht, auch nicht die staatsterroristischen Anti-Terror-Gesetze der 1970er Jahre. Kaum jemand weiß überhaupt von all diesen Einschränkungen unserer Freiheit, nahezu unbekannt sind die mit der Notstandsverfassung beschlossenen sogenannten Schubladengesetzte, die hervorgeholt werden können, sobald das brave Volk einmal aufbegehren sollte.

Nach wie vor gewährt uns das Grundgesetz die Demonstrationsfreiheit, aber unsere Regierungen verfügen über allerlei Mittel, dieses Grundrecht auszuschalten. Zum Beispiel die Einkesselung der Demonstranten durch die Polizei. Stunden über Stunden. Auch in Winterkälte. Ohne Toiletten ... Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Verfassungswidrigkeit dieser Methode festgestellt, aber die Polizeibehörden wenden sie weiterhin an.

Freiheit – ja, eine schöne Idee, ein großer Gedanke, den ich nicht aufgeben möchte. Aber, wenn unser neuer Präsident über Freiheit schwadroniert, sollten wir immer vernehmlich nachfragen: Freiheit für wen? Freiheit wovon, Freiheit wozu? Und: Ist Freiheit möglich ohne Gleichheit und Brüderlichkeit? Ohne Befreiung vom Dämon Eigentum? Das Kapital wird nie ein Freund von Gleichheit und Brüderlichkeit sein, unter Freiheit versteht es nur, daß es sich nicht an Regeln halten muß, die seine Macht einschränken (sollten). Gegenüber allen Regeln, die einmal in günstigen historischen Momenten demokratisch erkämpft werden konnten, dringt es auf Deregulierung. Aber niemals ruft es nach Abbau der vielen Gesetze, die die individuellen und kollektiven Grundrechte des Volkes einschränken, das Volk einschüchtern.

Können wir also, vom Kapital beherrscht, zur Unfreiheit verurteilt, nichts machen – außer möglichst viel Urlaub nehmen und wegfliegen zu möglichst weit entfernten Stränden? Unser gewohntes Bier steht da schon bereit. Große Freiheit Nummer 7.